Juristischer Teilerfolg gegen den Arbeitszwang in den Niederlanden.
Den Niederländern war ihr "Hartz IV" noch ein Jahr früher als uns beschert worden. Das niederländische “SGB II” heißt Wet Werk en Bijstand (WWB) und es war unser Kollege Louis van Overbeek, der zutreffend auf die gemeinsamen Wurzeln des neoliberalen Rollbacks der sozialen Sicherungssysteme in Lissabon-Strategie und Europäischer Sozialagenda (Nizza) hingewiesen hat.
Am 8 Oktober 2008 erhielt der 44-jährige Bennie Beck als erster in einer Work First-Sache vor einem Arnheimer Sozialgericht teilweise Recht. Das Gericht kritisierte die geläufige Praxis, mit der Hilfebedürftige nach dem Gießkannenprinzip beliebigen Maßnahmen zugewiesen werden und fordert statt dessen eine individuell auf den Betroffenen zugeschnittene Strategie zur Integration in den Arbeitsmarkt. Immerhin 80% der niederländischen Gemeinden nutzen das Work First-Programm.
Bennie Beck war mehr als 20 Jahre im Gastronomie-Gewerbe tätig gewesen, bevor er lohnarbeitslos wurde. Als er dann Unterstützung bei der Stadt Arnheim beantragte, musste er sich umgehend beim örtlichen Arbeits-Trainings-Zentrum melden, wo man ihm einen Vertrag über die Teilnahme am Work First-Programm vorlegte. Er könnte schon am nächsten Tage mit einer Maßnahme beginnen: Kleiderhaken sortieren, Parkanlagen säubern oder Straßenabfälle beseitigen.
Was diese Tätigkeiten denn zu seiner Integration in den Arbeitsmarkt beitragen könnten, wollte Beck wissen. Die Antwort war, dass so seine Arbeitnehmerfähigkeiten getestet werden sollten. Er unterschrieb unter Protest, weil er eine Leistungskürzung vermeiden wollte. Nach einem Tag in der Maßnahme wußte er jedoch, dass sie ihm nicht helfen würde und brach sie ab. Die Stadt Arnheim kürzte ihm darauf hin die Unterstützung für einen Monat um 40 Prozent. Das Gewerkschaftsmitglied verklagte die Stadt.
Sein Anwalt Arno van Deuzen von der Gewerkschaft Abva-Kabo FNV machte einen Verstoß gegen das Verbot von Zwangs- und Pflichtarbeit geltend. Dieser Auffassung wollte das Gericht in seinem Urteil zwar nicht explizit folgen, kritisierte jedoch die massenhafte Zuweisung in Maßnahmen im Work First-Programm. Es hätte zuvor ein auf die individuelle Situation des Klägers maßgeschneiderter Job gefunden werden müssen. Weil dies nicht geschehen war, sei Beck der Abbruch der Maßnahme auch nicht zur Last zu legen.
Niederländische Sozial- und Arbeitsrechtler sehen in dem Urteil zwar kein Ende des Work First-Projekts, jedoch wird eine der individuellen Situation der Betroffenen angemessenere Zuweisungspraxis in geeignete Jobs erwartet. Ein Parlamentatrier der rechts-liberalen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) machte hingegen bereits tags später seinem Unmut über das Urteil Luft: Dies sei ein vollkommen überflüssiger Präzedenzfall – wer staatliche Hilfeleistungen in Anspruch nehme, habe ganz selbstverständlich eine Gegenleistung zu erbringen.
Bennie Beck hat inzwischen wieder eine Arbeit. Die Frage, ob es sich mit dem Work First-Programm um Arbeitszwang handelt, ist für ihn jedoch von prinzipieller Bedeutung. Er will in die Berufung gehen, wenn nötig bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Louis van Overbeek macht in seinem Kommentar auf die Koinzidenz aufmerksam, dass mit dem Arnheimer Richterspruch ein Urteil gegen das neoliberal inspirierte Work First-Programm vorliegt, just in dem Moment, in dem der ganze Neoliberalismus in sich zusammenfällt. Schon sei die Axt an die Wurzeln des Work First-Ideologie gelegt. Wir danken Louis van Overbeek für den Hinweis auf die Entwickelung in Arnheim und seine Unterstützung bei der Recherche zum Vorgang. (Ein Gastartikel von Forced Labour , 13.01.2009)
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