Eine ärztliche Prognose über den weiteren Verlauf einer Erkrankung und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit entscheidet nicht über den Anspruch auf Krankengeld. Sie ist keine Bescheinigung über eine tatsächliche Arbeitsunfähigkeit. (S 19 KR 959/13)
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Kündigung wegen Arbeitsunfähigkeit
Der Betroffene arbeitete zuletzt als Staplerfahrer. Er erkrankte arbeitsunfähig an Gastroenteritis und einem Wirbelsäulenleiden. Eine ärztliche Untersuchung zeigte Bandscheibenvorfälle. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis; bis zum Kündigungstag zahlte er das Arbeitsentgelt weiter.
Voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit
Ein behandelnder Arzt schrieb den Betroffenen voraussichtlich bis zum 30.06.2013 arbeitsunfähig. Dem lag eine Diagnose wegen akuter Gastroenteritis und Wirbelsäulensyndrom zugrunde. Der Erkrankte gab an, er habe sich am 20.06.2013 zur Behandlung zur Praxis des Arztes begeben. Diese sei jedoch außerplanmäßig geschlossen gewesen.
Am 01.07.2013 schrieb der Arzt die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich bis zum 15.07.2013 fort. Eine weitere Folgebescheinigung verlängerte die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich bis zum 18.08.2013. Zu einem letzten Besuch beim Hausarzt am 16.09.2013 erschien der Betroffene nicht mehr, weil er, seinen Worten zufolge, nicht wusste, wie er diesen finanzieren solle.
Grund dafür war eine Mitteilung der Krankenkasse, er sei nicht mehr versichert.
Krankenkasse will kein weiteres Krankengeld zahlen
Die Krankenkasse teilte dem Erkrankten mit, er habe keinen Anspruch auf Krankengeld. Der behandelnde Arzt habe nur bis zum 30.06.2013 Arbeitsunfähigkeit attestiert; erst am 01.07.2013 sei erneut eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden.
„Um die Mitgliedschaft aufrechtzuerhalten, hätte die Arbeitsunfähigkeit am 30.06.2013 ärztlich attestiert werden müssen.“ Die Krankenkasse wies darauf hin, dass mit dem Ende der Mitgliedschaft am 30.06.2013 auch Sachleistungen wie ärztliche Behandlungen entfielen.
Widerspruch wegen fehlender Schuld
Der Betroffene legte Widerspruch ein und machte geltend, er habe nicht wissen können, dass die Arztpraxis am 20.06.2013 geschlossen gewesen sei, und er habe die Vertretung vor 18.00 Uhr nicht mehr erreichen können.
Weitere Arbeitsunfähigkeit
Eine Ärztin im Medizinischen Dienst der Krankenkasse begutachtete den Betroffenen am 09.07.2013. Sie stellte Arbeitsunfähigkeit fest mit den Diagnosen „sonstige Krankheiten der Wirbelsäule“ und „sonstige chronisch obstruktive Lungenkrankheit“.
Zudem hatte sie den Eindruck einer Alkoholkrankheit und hielt eine Prüfung für ein Berufsverbot als Staplerfahrer für nötig. Das Gutachten stützte damit die tatsächliche Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit.
Krankenkasse weist Widerspruch zurück
Die Krankenversicherung wies den Widerspruch zurück. Es habe am 01.07.2013 kein Versicherungsverhältnis mehr bestanden und damit auch kein Anspruch auf Krankengeld. Beim „Weiterbestehen von Arbeitsunfähigkeit“ hätte die Bescheinigung spätestens am Tag der prognostizierten Fortdauer erfolgen müssen.
Es geht vor Gericht
Der Erkrankte klagte vor dem zuständigen Sozialgericht. Dort wiederholte er, dass er nicht gewusst habe, dass die Hausarztpraxis geschlossen gewesen sei. Selbst wenn er zur Vertreterpraxis gekommen wäre, hätte die Vertretung ihn nur bis Sonntag krankschreiben können.
Anspruch auf Krankengeld besteht weiter
Die Richter entschieden, dass der Kläger weiterhin einen Anspruch auf Krankengeld hatte. Dieser Anspruch sei wirksam entstanden und habe nicht geendet, obwohl die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst am 01.07.2013 ausgestellt worden sei.
Es geht um tatsächliche Arbeitsunfähigkeit – nicht um Prognosen
Gesetzlich muss jemand arbeitsunfähig erkrankt sein und ein Arzt diese Arbeitsunfähigkeit feststellen, damit Krankengeld gezahlt wird. Der Betroffene war in der gesamten Zeit arbeitsunfähig erkrankt – wegen seines Wirbelsäulenleidens, einer Alkoholproblematik, der Entzündung im Magen-Darm-Trakt und weiterer gesundheitlicher Einschränkungen.
Das MDK-Gutachten vom 09.07.2013 zeigte sogar eine funktionelle Verschlechterung; die Einschränkungen bestanden nach Mitteilung des Sachverständigen bereits am 05.04.2013. Entscheidend ist die ärztliche Feststellung der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit; eine vorausschauende ärztliche Einschätzung („Prognose“) über die Dauer ist dafür keine Voraussetzung.
Fehlerhafte Mitteilung der Krankenkasse
Die Mitteilung der Krankenkasse, dass die Mitgliedschaft des Betroffenen am 30.06.2013 ende und er ab diesem Zeitpunkt keine Leistungen mehr erhalte, war nach Ansicht der Richter fehlerhaft.
Die Mitgliedschaft kann bei Krankengeldbezug fortbestehen; maßgeblich ist die tatsächliche Arbeitsunfähigkeit mit ärztlicher Feststellung. Die falsche Information der Kasse habe dazu geführt, dass der Betroffene nach dem 16.09.2013 seinen Arzt nicht mehr aufgesucht habe.
Kein Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit
Für die Richter gab es keinen Zweifel daran, dass die Arbeitsunfähigkeit die gesamte Zeit über bestand. Die Erkrankungen hielten nicht nur an, sondern verstärkten sich teilweise. Wichtig: Die gesetzlich notwendige ärztliche Feststellung ist nicht mit einer bloßen Prognose gleichzusetzen.
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dient regelmäßig als Nachweis der ärztlichen Feststellung – eine lückenlose Kette bloßer Prognosen ist hingegen nicht erforderlich.
Rechtliche Einordnung
Anspruch/Entstehung: Der Krankengeldanspruch entsteht am Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (u. a. § 44, § 46 SGB V).
Mitgliedschaft: Bei Krankengeld kann die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung fortbestehen (u. a. § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V).
Praxis heute (eAU): Die Übermittlung erfolgt inzwischen in der Regel elektronisch (eAU). Materiell bleibt es dabei: Entscheidend ist die ärztliche Feststellung der tatsächlichen AU; eine Prognose über die Dauer ist keine Anspruchsvoraussetzung.