Studie: 20 Jahre Deutsche Einheit

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20 Jahre Deutsche Einheit: Ziel nicht erreicht

Die Sicht der Bürger auf die deutsche Einheit ist nach 20 Jahren gespalten. 40 Prozent meinen, dass Ost und West zusammengewachsen sind und sehen nur noch kleine Unterschiede. 56 Prozent stellen immer noch große Unterschiede fest oder glauben, dass es diese noch in 50 Jahren gibt. Das gehört zu den Ergebnissen der Studie „Sozialreport 2010 – Die deutsche Vereinigung – 1990 bis 2010 – Positionen der Bürgerinnen und Bürger“, die am Dienstag in der Bundespressekonferenz in Berlin vom Sozial- und Wohlfahrtsverband Volkssolidarität vorgestellt wurde. Für die Studie, im Auftrag des Verbandes vom Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrum Berlin-Brandenburg (SFZ) e.V. erarbeitet, wurden insgesamt 2.090 Bürger aller Altersgruppen ab 18 Jahren sowie aus allen sozialen Schichten und allen Bundesländern befragt. Dabei wurden laut SFZ erstmals für den Ost-West-Vergleich auch die Bewertungen der Westdeutschen zu den gleichen Sachverhalten erfasst.

Verbandspräsident Prof. Dr. Gunnar Winkler machte bei der Vorstellung der Studie darauf aufmerksam, dass die Bilanz der deutschen Einheit in Ost und West konträr bewertet werde. In den alten Bundesländern würden 47 Prozent der Befragten die Einheit als weitgehend vollendet betrachten, im Osten nur 17 Prozent. Zugleich würden 35 Prozent der Westdeutschen für sich deutlich mehr Verluste durch die Einheit sehen. Bei den Ostdeutschen seien es nur 24 Prozent. Der Studie zufolge stellen mit 42 Prozent mehr Bürger im Osten für sich Gewinne fest als im Westen, wo das nur 37 Prozent so sehen. "52 Prozent der Westdeutschen gehen davon aus, dass es dem Osten inzwischen besser bzw. teilweise besser geht als dem Westen", so Winkler, "75 Prozent der Ostdeutschen sind da genau anderer Meinung." Winkler warnte vor einer "Atmosphäre des gegenseitigen "Aufrechnens". Mehr als die Hälfte der Ostdeutschen will laut "Sozialreport" weder die DDR wiederhaben noch fühlt sie sich in der Bundesrepublik schon richtig wohl. Nur neun Prozent von ihnen wollen die DDR zurück, während in den alten Bundesländern immerhin elf Prozent am liebsten die Mauer wieder sähen. Das habe vor allem mit der sozialen Lage nach 20 Jahren Einheit zu tun, meinte Winkler.

Die Bürger der Bundesrepublik seien in der Mehrheit zufrieden mit ihrem Leben, so der Verbandspräsident. Zugleich erwarte mehr als die Hälfte von ihnen, dass sich gerade im sozialen Bereich weiterhin einiges verschlechtere. 59 Prozent der Bürger seien mit ihrem Leben alles in allem sehr zufrieden bzw. zufrieden, heißt es im "Sozialreport". "Dabei ist die Bewertung der allgemeinen Lebenszufriedenheit im Westen mit 62 Prozent an Zufriedenen und acht Prozent Unzufriedenen positiver als im Osten", stellte Winkler fest. In Ostdeutschland seien aber immerhin noch 51 Prozent zufrieden. Es sei "kein positives Signal", dass jeder Vierte für die Zukunft eher Befürchtungen hat und 51 Prozent der Studie zufolge Hoffnungen und Befürchtungen angaben. Mehr als die Hälfte würde erwarten, dass sich die soziale Lage weiter verschlechtere.

Zunehmende Armut ist eine der grundlegenden Entwicklungstendenzen des sozialen Wandels in Deutschland, wird im "Sozialreport" festgestellt. "2010 lebten 18 Prozent der ab 18-jährigen Bürger unterhalb der Armutsrisikoschwelle von 798 Euro oder weniger im Monat. Das waren in Ostdeutschland 24 Prozent und in Westdeutschland 16 Prozent. Alleinerziehende, Arbeitslose und Familien mit mehreren Kindern sind das am meisten betroffene Potenzial." Verbandspräsident Winkler forderte deshalb von der Politik "klare Strategien zur Armutsvermeidung". Dazu gehörten für die Volkssolidarität Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung. Bei der Alterssicherung werden Korrekturen zugunsten von Langzeitarbeitslosen, Niedrigverdienern, erwerbsgeminderten Menschen und so genannten Solo-Selbstständigen eingefordert. "Menschen müssen von ihren Arbeitseinkommen leben können", so Winkler. Prekäre Arbeitsverhältnisse, Minijobs und Niedriglöhne führten zu wachsender "Armut trotz Arbeit". Zudem dürfe das Leistungsniveau in der Rentenversicherung nicht weiter abgesenkt werden und es müssten die Kürzungsfaktoren in der Rentenformel abgeschafft werden. Der Verbandspräsident sprach sich gegen die "Rente mit 67" aus, die laut "Sozialreport" von der übergroßen Mehrheit der Bürger abgelehnt werde.

Der Studie zufolge ist bei den Befragten der Stellenwert von Demokratie hoch, aber das Vertrauen in Politik und deren Institutionen gering. "Nicht einmal 20 Prozent der Bürger in Ost und West bringen dem Bundestag bzw. der Bundesregierung noch ‘volles’ bzw. ‘viel’ Vertrauen entgegen," stellte Verbandspräsident Winkler fest, "obwohl es ein gestiegenes starkes politisches Interesse gibt." Wahlen würden "mehrheitlich als nicht hinreichend und neue Formen der Mitwirkung für erforderlich gehalten". Der "Sozialreport 2010" macht auch darauf aufmerksam, dass die Bürger in Ost und West nach 20 Jahren deutsche Einheit insgesamt "nicht ausländerfeindlich, aber auch nicht hinreichend ausländerfreundlich" seien. Immerhin 71 Prozent der Befragten fanden ganz oder teilweise, dass "in Deutschland zu viele Ausländer leben" und ihre Zahl reduziert werden müsse. 73 Prozent meinten, dass sich Ausländer den hiesigen Gegebenheiten "mehr anpassen" sollten. (PM, 31.08.2010)

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