Das Kreissozialamt Neunkirchen steht wegen massiver datenschutzrechtlicher Verstöße in der Kritik. Seit 2017 verlangt die Behörde von Sozialhilfeempfängern im Rahmen der Weiterbewilligung von Leistungen nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) pauschale Einverständniserklärungen zur Einsicht ihrer Bankkonten – ein Vorgehen, das Fachleute als rechtlich unzulässig und datenschutzwidrig einstufen.
Betroffene berichten von drohender Leistungsversagung, wenn sie diesen Forderungen nicht nachkommen.
Bankauskunft per Blanko-Vollmacht: Behördenpraxis sorgt für Empörung
Statt gezielter Nachweise fordert das Amt umfassende Ermächtigungen: Die Mitarbeitenden des Sozialamts verlangen das Recht, bei allen angegebenen Kreditinstituten eigenständig Informationen einzuholen – darunter Kontostände und Bewegungen der letzten sechs Monate. Die Konsequenz bei Weigerung? Leistungsverkürzung oder komplette Streichung.
In dem offiziellen Formular, das Betroffene unterzeichnen sollen, heißt es, die Bankauskünfte sollen sich „insbesondere“ auf Kontostände und Bewegungen beziehen. Diese Formulierung öffnet laut Experten Tür und Tor für noch weitergehende Datenerhebungen – etwa zu Zahlungszielen, Empfängern oder wiederkehrenden Überweisungen. Damit droht ein gläsernes Bankkonto für Menschen in ohnehin prekären Lebenslagen.
Verletzung grundlegender Datenschutzprinzipien
Mehrere rechtliche Grundsätze werden durch das Vorgehen des Amtes offenbar unterlaufen. Zunächst widerspricht die angeforderte Pauschalvollmacht dem sogenannten „Direkterhebungsgrundsatz“ (§ 67a Abs. 2 SGB X). Dieser schreibt vor, dass Behörden persönliche Daten zunächst bei den Betroffenen selbst erfragen müssen – und erst im zweiten Schritt, bei fehlender Mitwirkung, Dritte kontaktieren dürfen.
Außerdem missachtet das Kreissozialamt das Prinzip der Datensparsamkeit. Kontoauszüge dürfen laut geltender Rechtsprechung höchstens für drei Monate angefordert werden. Die Regelung, auf Daten aus sechs Monaten zuzugreifen, steht dazu in klarem Widerspruch (vgl. BSG 19.09.2008 – B 14 AS 45/07 R).
Ein weiteres Problem: Werden die Daten direkt bei den Banken abgefragt, verlieren die Betroffenen die Möglichkeit, sensible Informationen – etwa zu ihrer Gesundheit, religiöser Zugehörigkeit oder sexueller Orientierung – vorab zu schwärzen. Der Schutz dieser besonders sensiblen Daten ist jedoch gesetzlich vorgeschrieben (§ 67 Abs. 12 SGB X).
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Juristisch fragwürdige Drohkulisse
Zusätzlich zur problematischen Datenerhebung bedient sich das Kreissozialamt offenbar auch unzulässiger Druckmittel. Wer sich weigert, die Vollmacht zu unterzeichnen oder einen sogenannten „Folgeantrag“ zu stellen, dem droht laut Schreiben des Amtes eine Leistungskürzung.
Doch laut einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG 29.09.2009 – B 8 SO 13/08 R) ist eine erneute Antragstellung für Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII nicht notwendig – die Leistungen müssen bei unveränderten Verhältnissen von Amtes wegen weiter gewährt werden. Die angedrohte Sanktionierung ist daher rechtlich nicht haltbar.
Mangelnde Transparenz und keine Korrektur in Sicht
Besonders kritisch sehen Datenschützer die Tatsache, dass diese Praxis offenbar bereits seit 2017 besteht – und dennoch bisher nicht öffentlich hinterfragt oder revidiert wurde. Weder hat das Amt die Rechtswidrigkeit eingeräumt, noch gibt es bislang Hinweise darauf, dass Betroffene aktiv über ihre Rechte informiert oder bereits erfolgte Datenabfragen zurückgenommen wurden.
Für betroffene Bürgerinnen und Bürger bedeutet das einen tiefgreifenden Eingriff in ihre Privatsphäre. Wer die geforderte Vollmacht nicht unterschreibt, läuft Gefahr, rechtswidrig benachteiligt zu werden – etwa durch Leistungskürzungen oder Verzögerungen bei der Bewilligung.
Gleichzeitig fehlt ihnen jeglicher Schutz vor der ungewollten Offenlegung besonders sensibler Informationen, etwa zu Gesundheitszustand, religiöser Zugehörigkeit oder familiären Verhältnissen.
Forderungen an die Verwaltung
Juristen und Sozialverbände fordern nun ein sofortiges Ende dieser Praxis. Das entsprechende Formular müsse aus dem Verkehr gezogen werden. Zudem sei eine lückenlose Aufklärung erforderlich: Wie viele Menschen haben die Vollmacht unterzeichnet? In wie vielen Fällen wurden Daten direkt bei Banken abgefragt? Und vor allem: Wurden unrechtmäßig erhobene Daten bereits verwendet oder gespeichert?