Steigende Stromkosten – So können sich Bürgergeld-Beziehende wehren

Lesedauer 3 Minuten

Für einen Bürgergeld- Singlehaushalt sind gerade einmal 40,74 Euro für Haushaltsstrom vorgesehen. Im günstigsten Fall zahlen Einpersonenhaushalte in Großstädten wie z.B. Berlin ca. 51 Euro. Selbst wenn die Strompreisbremse greifen würde, bliebe immer noch eine Differenz von knapp 9 Euro (49 Euro).

Nach Angaben des Verbraucherportals Verivox zahlte ein Durchschnittshaushalt für 5000 Kilowattstunden rund 2334 Euro im Jahr (46,7 Cent pro kWh). Im Vorjahreszeitraum zahlte derselbe Haushalt 1704 Euro. Damit sind die Strompreise um satte 37 Prozent gestiegen.

Unterdeckung kann langfristig nicht ausgeglichen werden

Dieser Fehlbetrag kann bei Bürgergeldbeziehern kurzfristig aus anderen Regelbedarfen ausgeglichen werden. Aber: Bei steigenden Lebenshaltungskosten wird das Geld immer knapper. Viele Betroffene haben bereits Mitte des Monats kaum noch Geld, um sich vollwertig zu ernähren.

Härtefallmehrbedarf als unabweisbaren laufenden Bedarf

Der Sozialrechtsexperte Harald Thomé vom Selbsthilfeverein „Tacheles“ schlägt den Betroffenen vor, einen Härtefallmehrbedarf als unabweisbaren laufenden Bedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zu beantragen.

Ausschlaggebend für den Antrag sind die gestiegenen Stromkosten. Sie liegen zwischen 37 und 60 Prozent höher als noch im Jahr 2021. Der Regelbedarf des Bürgergeldes für Strom wurde aber nur um 11,8 Prozent erhöht.

Hinzu kommt, dass die Kostenübernahme für eine dezentrale Warmwasserversorgung gedeckelt ist. Eine Erhöhung ist fast immer ausgeschlossen, da ein zusätzlicher Zähler eingebaut werden muss.

Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits im Zuge der bevorstehenden Preissteigerungen im Energiesektor im Jahre 2014 geurteilt:

“Ergibt sich eine offensichtliche und erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter, muss der Gesetzgeber zeitnah darauf reagieren. So muss die Entwicklung der Preise für Haushaltsstrom berücksichtigt werden. Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten.” (BVerfG AZ: 1 BvL 10/12; AZ: 1 BvL 12/12; AZ: 1 BvR 1691/13; Rn 144).

Nach Ansicht des Sozialrechtsexperten muss der Gesetzgeber jetzt reagieren, indem dieser “zusätzliche Ansprüche auf Zuschüsse zur Sicherung des existenznotwendigen Bedarfs” gewährt wird.

“Entweder wird die Haushaltsenergie jetzt kurzfristig aus den Regelleistungen rausgenommen, oder die Stromkosten, die sich oberhalb der Beträge, die dafür im Regelsatz vorgesehen sind, sind im Rahmen des Härtefallmehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II bzw. abweichende Regelleistungen nach § 27a Abs. 4 SGB XII zu übernehmen”, mahnt Thomé.

Lesen Sie auch:
Bürgergeld: Bei Stromsperre neuen Härtefonds in Anspruch nehmen

Die Versorgung von Energie ist in Deutschland ein Grundrecht. Daher würde hier auch ein unabweisbarer Bedarf besteht.

Ab welcher Höhe ist ein unabweisbarer Bedarf?

Das Landessozialgericht Hamburg hatte beispielsweise “keine Zweifel, dass bei einem regelmäßigen monatlichen Aufwand von – mindestens – 20 Euro ein erhebliches Abweichen von dem durchschnittlichen Bedarf besteht” (AZ: L 4 AS 25/20, Rn 58).

In einem anders gelagerten Fall hatte das Bundessozialgericht entschieden, dass ein zusätzlicher unabweisbarer Bedarf bereits bei 27,20 Euro pro Monat besteht.

Wenn die Stromkosten 20 Euro den Regelsatz-Anteil übersteigen

Im Kontext der gefällten Urteile kann “die Position vertreten werden, dass spätestens dann, wenn die Kosten mehr als 20 EUR im Monat den Betrag übersteigen, der für Haushaltsenergie im Regelsatz vorgesehen ist, dass dann ein Mehrbedarfsanspruch nach § 21 Abs. 6 SGB II in voller Höhe für den Betrag besteht, der den im Regelsatz dafür vorgesehen übersteigt”, sagt Thome´.

Den Leistungsberechtigten kann nicht zugemutet werden, die aufgrund der Preissteigerungen höheren Stromkosten durch Einsparungen bei anderen Bedarfen auszugleichen.

Der Experte fordert daher die “individuelle Anhebung des Regelsatzes nach § 27a Absatz 4 SGB XII oder die Anpassung der Regelbedarfsstufen entsprechend der geplanten Einführung einer Härteklausel im SGB XII nach § 30 Absatz 9 SGB XII – E”.

Jetzt sind die Sozialgerichte gefordert

Jetzt seien die Sozialgerichte gefordert, mahnt Thomé. Die Gerichte sollten Anträge auf höhere Regelsätze nicht – wie in der Vergangenheit häufig geschehen – aus formalen Gründen ablehnen, sondern in der Sache prüfen. Vielmehr sollten die Gerichte den Arbeitsauftrag des Bundesverfassungsgerichts ernst nehmen.

Antrag stellen und Klage beim Sozialgericht

Bürgergeldbezieher sollten daher jetzt einen Härtefallmehrbedarf beantragen und die Stromnachzahlung als einmaligen Bedarf beim zuständigen Jobcenter geltend machen.

Schon jetzt ist aber klar, dass die Jobcenter solche Anträge ablehnen und allenfalls ein Darlehen gewähren werden. Letztlich wird es auf ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht hinauslaufen, um den Härtefallmehrbedarf durchzusetzen. Die Bundesregierung sieht derzeit keinen Handlungsbedarf.

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

Wird geladen ... Wird geladen ...