Sozialhilfe: Erst zumutbare Selbsthilfe bei Bestattungskosten, dann Sozialhilfe

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Keine รœbernahme von Bestattungskosten ohne ernsthaftes Bemรผhen um zivilrechtliche Geltendmachung

Beantragt der Antragsteller beim Sozialhilfetrรคger Bestattungskosten, kann das Sozialamt die Kostenรผbernahme mit Verweis auf zumutbare Selbsthilfe, nรคmlich der Durchsetzung von Ausgleichsansprรผchen gegenรผber Dritten ( hier den Geschwistern ) ablehnen.

Denn die Sozialhilfe hat nicht die Aufgabe den Antragsteller vor gegebenenfalls unangenehmen Inanspruchnahme leistungspflichtiger Familienangehรถriger zu bewahren ( LSG Mecklenburg Vorpommern, Urt. v. 12.12.2024 – L 9 SO 18/18 – ).

Die Anspruchsberechtigung nach ยง 74 SGB 12 dem Grunde nach kann nicht bereits unter Verweis auf vorrangig Verpflichtete ausgeschlossen werden.

Ob einem (nachrangig) Verpflichtetem im Ergebnis ein Anspruch auf Kostenรผbernahme der Bestattungskosten aber zusteht oder er auf vorrangige Ansprรผche verwiesen werden kann, ist eine Frage der Prรผfung des Tatbestandsmerkmals der Zumutbarkeit.

Sozialhilfe – Bestattungskosten – nachrangig Verpflichteter – Zumutbarkeit der Kostentragung

In der Rechtsprechung und Literatur ist streitig, wie das Tatbestandsmerkmal โ€žVerpflichteterโ€œ auszulegen ist

Denn eine Auffassung sieht nur den vorrangig Verpflichteten als Verpflichteten im Sinne der Norm an (so LSG Baden-Wรผrttemberg, Urteil vom 25. April 2013 โ€“ L 7 SO 5656/11 – ). Mehrere Anspruchsinhaber wรคren dann nur denkbar bei einer Gleichrangigkeit, so insbesondere bei Miterben.

Zum anderen wird auch vereinzelt vertreten, dass nur dann einem ordnungsrechtlich Bestattungspflichtigen der Anspruch nach ยง 74 SGB XII zusteht, wenn tatsรคchlich niemand vorrangig zur Kostentragung endgรผltig verpflichtet sei, also wenn der Erbe die Erbschaft ausgeschlagen habe und der Fiskus gesetzlicher Erbe sei, der nach allgemeiner Auffassung keinen Anspruch nach ยง 74 SGB XII hat, oder wenn der Erbe unbekannt se.

Nach der gewichtigen Gegenauffassung soll ein nachrangig Verpflichteter mรถglicherweise Anspruch auf Kostenรผbernahme haben, obgleich noch andere Personen als vorrangig Verpflichtete vorhanden sind. Die Prรผfung vorrangiger Ansprรผche erfolgt dann im Rahmen der Prรผfung des Tatbestandsmerkmals der Zumutbarkeit.

9. Senat des LSG Mecklenburg-Vorpommern vertritt folgende Auffassung

Der Senat ist der รœberzeugung, dass die Anspruchsberechtigung dem Grunde nach nicht bereits unter Verweis auf vorrangig Verpflichtete ausgeschlossen werden kann. Ob einem (nachrangig) Verpflichtetem im Ergebnis ein Anspruch nach ยง 74 SGB XII zusteht oder er auf vorrangige Ansprรผche verwiesen werden kann, ist eine Frage der Prรผfung des Tatbestandsmerkmals der โ€žZumutbarkeitโ€œ.

Die Anspruchsberechtigung als Verpflichteter iSd. ยง 74 SGB XII wird nicht durch die Kostentragungspflicht des Erben ausgeschlossen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2023 – B 8 SO 20/22 R – ).

Der Nachrang der Sozialhilfe nach ยง 2 Abs. 1 SGB XII schlieรŸt Sozialhilfeleistungen bei anderweitigen Ansprรผchen zwar nicht generell aus. Aus ihm ergibt sich aber eine grundsรคtzliche Verpflichtung zur Selbsthilfe, vgl. Landessozialgericht Baden-Wรผrttemberg, Urteil vom 26. Februar 2019 – L 2 SO 2529/18.

Der Rechtsprechung des BSG folgend ist eine Ausschlusswirkung mรถglich, soweit sich der Bedรผrftige generell eigenen Bemรผhungen verschlieรŸt und Ansprรผche ohne Weiteres realisierbar sind, vgl. BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 23/08 R.

Verweis auf Ausgleichsansprรผche gegenรผber Dritten – Zumutbarkeit der Selbsthilfe

Eine solche Fallkonstellation liegt insbesondere dann vor, wenn ein Ausgleichsanspruch dem Grunde nach unzweifelhaft besteht, aber nicht einmal der Versuch einer auรŸergerichtlichen Geltendmachung unternommen wird. Ein solcher Versuch der Realisierung bestehender Ausgleichsansprรผche ist in aller Regel zumutbar.

Das gilt jedenfalls dann, wenn die wirtschaftlichen Verhรคltnisse des weiteren Bestattungspflichtigen unbekannt sind oder gar der Eindruck entsteht, dass ein wirtschaftlich durchaus leistungsfรคhiges Familienmitglied sich vor der finanziellen Verantwortung im Rahmen der Bestattungspflicht โ€ždrรผckenโ€œ mรถchte (siehe LSG Schleswig-Holstein Urteil vom 25. Januar 2017 โ€“ L 9 SO 31/13 โ€“ ).

Sozialhilfe hat nicht die Aufgabe den Antragsteller vor gegebenenfalls unangenehmen Inanspruchnahme leistungspflichtiger Familienangehรถriger zu bewahren

Denn es ist nicht Aufgabe der Sozialhilfe, den Bedรผrftigen von der gegebenenfalls unangenehmen Inanspruchnahme leistungspflichtiger Familienangehรถriger zu bewahren (LSG Baden-Wรผrttemberg Urteil vom 14. April 2016 โ€“ L 7 SO 81/15 ).

Ein Verweis auf Ausgleichsansprรผche ist im Rahmen von ยง 74 SGB XII deshalb zulรคssig, wenn nur die Durchsetzung des Ausgleichsanspruchs mit Schwierigkeiten verbunden ist, der Anspruchssteller selbst aber keine ernsthaften Bemรผhungen unternommen und nachgewiesen hat, bestehende Ausgleichsansprรผche zu realisieren (siehe LSG Hessen Urteil vom 6. Oktober 2011 โ€“ L 9 SO 226/10 – ).

Fazit

Ein Anspruch auf รœbernahme der Bestattungskosten – kann ausnahmsweise dann ausgeschlossen sein, wenn sich der Anspruchsteller generell eigenen Bemรผhungen verschlieรŸt und Ansprรผche ohne weiteres realisierbar sind (vorliegend bejaht).