Schwerbehinderung: So wird aus zwei Einzel-GdB von 30 ein Gesamt-GdB von 50

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Die Feststellung eines Gesamt-GdB erfolgt nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches IX (SGB IX) und den Versorgungsmedizinischen Grundsรคtzen (VMG). Die VMG regeln die Bewertung einzelner Funktionsbeeintrรคchtigungen sowie deren Auswirkungen auf die gesellschaftliche Teilhabe.

Bei zwei voneinander unabhรคngigen Funktionsstรถrungen mit einem Einzel-GdB von jeweils 30 regelmรครŸig ein Gesamt-GdB von 50 festgestellt werden kann, wodurch die Schwerbehinderteneigenschaft erreicht wird.

GemรครŸ ยง 152 SGB IX wird der GdB in Zehnerschritten festgelegt, um die Beeintrรคchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu bemessen. Im Mittelpunkt steht dabei die Gesamtschau aller relevanten gesundheitlichen Einschrรคnkungen und deren kumulativen Auswirkungen.

Der konkrete Fall: Zwei Einzel-GdB von 30 und der Antrag auf Hรถherbewertung

Ein 1963 geborener Klรคger beantragte die Erhรถhung seines bestehenden Gesamt-GdB von 40 auf 50. Bereits im Jahr 2004 war aufgrund eines chronisch-entzรผndlichen Darmleidens ein Einzel-GdB von 30 anerkannt worden. Mit einem Neufeststellungsantrag im Jahr 2021 machte der Klรคger weitere gesundheitliche Beeintrรคchtigungen geltend, die er als wesentlich fรผr die Bewertung seines Gesamt-GdB ansah.

Zu diesen Beeintrรคchtigungen zรคhlten Lungenfunktionsstรถrungen in Form von COPD Grad II und Lungenemphysem, ein Schlaf-Apnoe-Syndrom, Migrรคne, Depressionen sowie Beschwerden im Bereich der Wirbelsรคule. Der Klรคger argumentierte, dass diese Erkrankungen in ihrer Gesamtheit eine Erhรถhung des Gesamt-GdB rechtfertigen wรผrden.

Der Beklagte bewertete die Gesundheitsstรถrungen wie folgt:

  1. Chronisch-entzรผndliches Darmleiden: Einzel-GdB von 30.
  2. Lungenfunktionseinschrรคnkungen: Einzel-GdB von 30.
  3. Schlaf-Apnoe-Syndrom: Einzel-GdB von 20.
  4. Funktionsbehinderungen im Bereich der Wirbelsรคule: Einzel-GdB von 10 (ohne Auswirkungen auf den Gesamt-GdB).
  5. Psychische Stรถrungen: Kein anerkannter GdB mangels รคrztlicher Nachweise.

Der Gesamt-GdB wurde auf 40 festgelegt, da die unabhรคngigen Einzel-GdB keine ausreichende Wechselwirkung fรผr eine Hรถherbewertung zugeschrieben wurde. Dies wurde vom Klรคger durch Widerspruch und Klage angefochten.

Chronisch-entzรผndliches Darmleiden

Das Darmleiden des Klรคgers ist seit 2004 anerkannt und wurde mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet. Trotz Therapie mit Methotrexat bestehen weiterhin erhebliche Beschwerden, insbesondere sechs bis acht tรคgliche Durchfรคlle, die den Alltag stark einschrรคnken.

GemรครŸ Teil B Nr. 10.2.2 der VMG rechtfertigen solche anhaltenden Symptome einen GdB von 20 bis 30. Eine hรถhere Bewertung wรคre nur bei erheblichen Begleiterscheinungen wie starkem Gewichtsverlust oder Krรคfteminderung mรถglich, was hier nicht vorliegt (Gewicht: 84 kg bei 181 cm KรถrpergrรถรŸe).

Lungenfunktionseinschrรคnkungen

Die COPD Grad II des Klรคgers, kombiniert mit einem Lungenemphysem, wurde nach einer Lungenfunktionsdiagnostik wie folgt bewertet:

  • Vitalkapazitรคt (VC): 85 % des Solls,
  • Einsekundenkapazitรคt (FEV1): 53 % des Solls.

Diese Werte zeigen eine mittlere Beeintrรคchtigung gemรครŸ Teil B Nr. 8.3 der VMG. Ergรคnzt wird die Lungenproblematik durch ein beatmungspflichtiges Schlaf-Apnoe-Syndrom, das mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet wurde.

Trotz dieser Einschrรคnkungen ist der Klรคger seit der Aufgabe des Rauchens im Jahr 2019 in der Lage, zwei bis drei Kilometer ohne Pause zu gehen.

Weitere Beeintrรคchtigungen

Zusรคtzliche Beeintrรคchtigungen wie Wirbelsรคulenbeschwerden und psychische Erkrankungen hatten keinen signifikanten Einfluss auf die Bewertung des Gesamt-GdB.

Eine leichte Skoliose sowie muskulรคre Dysbalance wurden diagnostiziert, rechtfertigten jedoch keinen zusรคtzlichen Einzel-GdB, da die Auswirkungen als gering eingestuft wurden. Ebenso wurden Migrรคne und Depressionen nicht berรผcksichtigt, da keine ausreichenden fachรคrztlichen Nachweise vorlagen.

Der Weg von zwei Einzel-GdB von 30 zu einem Gesamt-GdB von 50

Die Kombination zweier unabhรคngiger Funktionsbeeintrรคchtigungen mit einem Einzel-GdB von jeweils 30 fรผhrt gemรครŸ den VMG oft zu einem Gesamt-GdB von 50. Entscheidend ist dabei:

1. Unabhรคngigkeit der Beeintrรคchtigungen:
Die Funktionsstรถrungen des Klรคgers betreffen unterschiedliche Bereiche des Lebens und wirken sich nicht kompensatorisch aus. Die Beeintrรคchtigungen durch das Darmleiden und die Lungenproblematik summieren sich in ihren Auswirkungen.

2. Gesamtschau der Teilhabebeeintrรคchtigung:
Die kumulativen Effekte der Erkrankungen werden unter Berรผcksichtigung der VMG bewertet. Der Vergleich mit festen Werten zeigt, dass die Einschrรคnkungen des Klรคgers Behinderungen mit einem GdB von 50 entsprechen.

3. Rechtliche Vorgaben:
Nach Teil A Nr. 3 der VMG ist eine Hรถherbewertung gerechtfertigt, wenn mehrere unabhรคngige Funktionsstรถrungen vorliegen, die gemeinsam die Kriterien fรผr einen hรถheren GdB erfรผllen.

Gerichtsentscheidung: Anerkennung des Gesamt-GdB von 50

Das Sozialgericht Aurich hob den Bescheid des Beklagten auf und entschied zugunsten des Klรคgers. Die Entscheidung basierte auf mehreren zentralen Argumenten. Zum einen wurde hervorgehoben, dass die Auswirkungen des chronisch-entzรผndlichen Darmleidens und der Lungenproblematik eigenstรคndig und voneinander unabhรคngig sind, wodurch sie sich in ihrer Gesamtwirkung summieren.

Weiterhin belegten diagnostische Ergebnisse und รคrztliche Befundberichte eindeutig das Vorliegen erheblicher Beeintrรคchtigungen. AbschlieรŸend stellte das Gericht fest, dass die Gesamtsituation des Klรคgers mit Behinderungen vergleichbar ist, fรผr die die Versorgungsmedizinischen Grundsรคtze (VMG) einen Gesamt-GdB von 50 vorsehen.