Schwerbehinderung: So kannst Du den GdB von 30 auf 50 erhöhen

Ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 ist in Deutschland die Grenze zur Schwerbehinderung – und damit ein Zugang zu weitreichenden Nachteilsausgleichen.

Dazu zählen insbesondere zusätzlicher bezahlter Urlaub, ein besonderer Kündigungsschutz über das Integrationsamt, steuerliche Vergünstigungen sowie – bei erfüllten Voraussetzungen – die vorgezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

Die maßgeblichen Ansprüche ergeben sich aus dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), dem Einkommensteuergesetz (EStG) und einschlägigen Verwaltungsvorschriften.

So haben schwerbehinderte Beschäftigte etwa fünf Tage Zusatzurlaub im Jahr (§ 208 SGB IX) und genießen Kündigungsschutz, weil jede Kündigung die vorherige Zustimmung des Integrationsamts braucht (§ 168 SGB IX). Steuerlich steigt ab GdB 50 der Behinderten-Pauschbetrag, und für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen verlangt die Deutsche Rentenversicherung einen GdB von mindestens 50 zum Rentenbeginn.

Rechtsgrundlagen und wie der GdB gebildet wird

Der GdB misst die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Grundlage der Bewertung sind die Versorgungsmedizin-Verordnung und die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“.

Wichtig ist: Einzelgrade werden nicht addiert. Ausgangspunkt ist der höchste Einzelwert; weitere Beeinträchtigungen erhöhen den Gesamt-GdB nur, soweit sie das Ausmaß der Behinderung in der Gesamtschau vergrößern. Heilungsbewährung und außergewöhnliche Schmerz- und Folgelasten werden berücksichtigt.

Zwei Wege: Neufeststellungsantrag oder Widerspruch

Wenn sich Ihr Gesundheitszustand seit der letzten Feststellung verschlechtert hat oder neue Diagnosen hinzugekommen sind, stellen Sie bei der zuständigen Behörde einen Antrag auf Neufeststellung (oft umgangssprachlich „Verschlimmerungsantrag“).

Das ist etwas anderes als ein Widerspruch gegen einen aktuellen Bescheid. Der Neufeststellungsantrag zielt auf eine neue Bewertung, der Widerspruch bekämpft die bestehende Entscheidung und muss binnen eines Monats nach Bekanntgabe eingelegt werden.

Gute Vorbereitung entscheidet: Belege, die überzeugen

Das Verfahren ist beweisgetrieben. Fügen Sie Ihrem Antrag möglichst aktuelle und aussagekräftige Unterlagen bei: Facharztberichte, Krankenhaus- und Reha-Entlassungsberichte, Befunde, Pflegegradgutachten und – falls relevant – berufsbezogene Stellungnahmen etwa zu Leistungseinschränkungen. Behörden weisen ausdrücklich darauf hin, dass vollständige medizinische Unterlagen das Verfahren beschleunigen und die Beurteilung verbessern.

Zuständige Stelle, Antragstellung, Dauer und Kosten

Zuständig sind die Versorgungsämter bzw. Landesämter für Soziales. In vielen Ländern – etwa Niedersachsen – lässt sich die Neufeststellung online beantragen. Die Bearbeitungsdauer variiert, liegt nach Behördenangaben oft bei mehreren Monaten; als Orientierungswert nennen Stellen etwa drei bis vier Monate.

Für die Feststellung selbst fallen in der Regel keine Gebühren an; Kosten können jedoch anfallen, wenn Sie Unterlagen bei Ärzten anfordern oder Akteneinsicht nehmen.

So läuft die Prüfung ab – und worauf Gutachter schauen

Nach Antragseingang holt die Behörde Berichte bei Ihren Behandlern ein oder beauftragt eine Untersuchung. Entscheidend ist, wie stark Ihre Gesundheitsstörungen dauerhaft Funktionen einschränken und sich im Alltag überlagern.

Mehrere leichtere Leiden führen nicht automatisch zu einer Summierung; ausschlaggebend ist die Gesamtwirkung. Dokumentieren Sie objektiv, wie sich Beschwerden, Medikation, Nebenwirkungen, Fatigue, Schmerzspitzen oder psychische Folgen auf Mobilität, Konzentration, Belastbarkeit und Selbstversorgung auswirken – genau diese Funktionsfolgen spiegeln die Bewertungssystematik der Versorgungsmedizin.

Der Bescheid: Rückwirkung, Anhörung und was bei Ablehnung hilft

Der Bescheid nennt den neuen GdB und ggf. Merkzeichen. Je nach Aktenlage kann die Feststellung auch rückwirkend erfolgen; relevant ist das z. B. für steuerliche Pauschbeträge innerhalb des Jahres.

Für rentenrechtliche Fragen gilt: Die Schwerbehinderung muss zum Rentenbeginn vorgelegen haben.

Ob die spätere – aber rückwirkende – Anerkennung diesen Nachweis deckt, sollten Sie im Einzelfall mit der Deutschen Rentenversicherung klären. Wird Ihr Antrag ganz oder teilweise abgelehnt, können Sie binnen eines Monats Widerspruch einlegen; bleibt eine Entscheidung aus, stehen sozialgerichtliche Schritte offen.

Brücke im Job: Gleichstellung mit Schwerbehinderten

Wer „nur“ GdB 30 oder 40 hat, kann sich bei der Agentur für Arbeit Menschen mit Schwerbehinderung gleichstellen lassen, wenn er oder sie den Arbeitsplatz ohne Gleichstellung nicht bekommen oder behalten kann. Die Gleichstellung eröffnet insbesondere Kündigungsschutz und betriebliche Schutzmechanismen.

Sie ersetzt aber keine Schwerbehinderung im Sinne anderer Leistungen: Es gibt dadurch keinen gesetzlichen Zusatzurlaub, keinen Anspruch auf kostenlose ÖPNV-Beförderung und keine besondere Altersrente.

Nach der Erhöhung: Welche Rechte ab GdB 50 konkret greifen

Mit GdB 50 haben Beschäftigte Anspruch auf fünf Tage Zusatzurlaub bei einer Fünf-Tage-Woche; der Anspruch entsteht auch rückwirkend für volle Monate, in denen die Schwerbehinderung anerkannt war.

Zudem dürfen schwerbehinderte Menschen auf eigenes Verlangen von Mehrarbeit freigestellt werden, und Kündigungen bedürfen der Zustimmung des Integrationsamts. Daneben bestehen besondere Ansprüche auf behinderungsgerechte Beschäftigung und Arbeitsplatzgestaltung nach § 164 SGB IX.

Mobilität und Merkzeichen: Freifahrt nur mit Voraussetzungen

Die unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr setzt neben dem Schwerbehindertenausweis bestimmte Merkzeichen voraus, typischerweise G, aG, H, Bl oder Gl, und ein Beiblatt mit Wertmarke. Liegt lediglich eine Gleichstellung ohne solche Merkzeichen vor, besteht kein Freifahrtrecht. Alternativ ist – je nach Merkzeichen – eine Kfz-Steuerermäßigung möglich.

Steuern und Rente: Spürbare Effekte ab GdB 50

Der Behinderten-Pauschbetrag steigt in Stufen mit dem GdB und beträgt bei GdB 50 derzeit 1.140 Euro pro Jahr. Für Blinde, Taubblinde und hilflose Menschen gelten Sonderbeträge.

Wer die Wartezeit von 35 Versicherungsjahren erfüllt, kann mit GdB 50 die Altersrente für schwerbehinderte Menschen früher in Anspruch nehmen; maßgeblich ist, dass die Schwerbehinderung beim Rentenbeginn vorlag.

Praxisnah vorgehen: Worauf es in der Begründung ankommt

Erfolgversprechend ist eine Darstellung, die die Sprache der Versorgungsmedizin spricht: Beschreiben Sie nicht nur Diagnosen, sondern die dauerhaften funktionellen Folgen.

Verdeutlichen Sie, wie sich Ihre Einschränkungen im Alltag überlagern, etwa wenn Schmerz, Fatigue und kognitive Einbußen zusammen zu häufigen Ausfällen führen. Achten Sie auf Konsistenz zwischen Arztberichten, Medikation, Therapien und Ihrem eigenen Vorbringen. Legen Sie neue oder verschärfte Befunde nachträglich zeitnah nach, damit sie in die Entscheidung einfließen.

Häufige Fehler – und wie Sie sie vermeiden

Unvollständige Unterlagen, rein diagnosebezogene Argumentation ohne Funktionsbezug, das Weglassen „kleiner“ Befunde, die in der Summe relevant wären, und versäumte Fristen sind typische Stolpersteine.

Prüfen Sie den Bescheid und die Rechtsbehelfsbelehrung sorgfältig; die Widerspruchsfrist beträgt regelmäßig einen Monat. Bei komplexen Fallkonstellationen lohnt fachkundige Unterstützung, etwa durch Sozialverbände oder spezialisierten Rechtsbeistand.

Muster für die Begründung im Neufeststellungsantrag

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit beantrage ich die Neufeststellung meines Grades der Behinderung.

Seit der letzten Entscheidung über meinen GdB von 30 hat sich mein Gesundheitszustand deutlich verschlechtert. Es sind neue Erkrankungen hinzugekommen bzw. bestehende Leiden haben sich verstärkt. Diese führen in ihrer Gesamtheit zu einer erheblichen Beeinträchtigung meiner Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Besonders betroffen sind [hier konkret einsetzen: Bewegungsapparat, Herz-Kreislauf-System, Psyche, Sinnesorgane usw.]. Die Funktionsstörungen wirken sich unmittelbar auf meine Belastbarkeit im Alltag und im Berufsleben aus. So bestehen inzwischen [Beispiele: dauerhafte Schmerzen, deutliche Einschränkungen beim Gehen, verminderte Konzentrations- und Leistungsfähigkeit, erheblicher Medikamentenbedarf, schnelle Erschöpfung].

Die gesundheitlichen Probleme haben zur Folge, dass ich [hier konkrete Alltagssituationen beschreiben: Treppensteigen nur unter großen Schmerzen möglich, Wege über 200 Meter ohne Hilfsmittel nicht zu bewältigen, Konzentration in der Arbeit durch Schmerz- und Erschöpfungsphasen stark beeinträchtigt]. Dadurch kommt es regelmäßig zu deutlichen Einschränkungen meiner Selbstversorgung, Mobilität und sozialen Teilhabe.

Zur Untermauerung meines Antrags füge ich aktuelle ärztliche Unterlagen bei, die die Verschlechterung belegen. Ich bitte daher um eine Neubewertung und die Erhöhung meines GdB.
Mit freundlichen Grüßen
[Name]

Checkliste: Unterlagen mit hohem Gewicht im Verfahren

  1. Facharztberichte
    Möglichst aktuelle und detaillierte Befunde von behandelnden Fachärzten (Orthopädie, Neurologie, Kardiologie, Psychiatrie etc.), in denen nicht nur Diagnosen, sondern konkrete funktionelle Einschränkungen beschrieben sind.
  2. Krankenhaus- und Reha-Entlassungsberichte
    Sie dokumentieren den Verlauf und geben eine fachärztliche Einschätzung über die Belastbarkeit und Prognose.
  3. Befunde zu Diagnosen mit Dauerwirkung
    Bildgebende Verfahren (Röntgen, MRT, CT) oder Laborbefunde, die chronische Erkrankungen nachweisen, sind besonders aussagekräftig.
  4. Medikationspläne
    Nachweis über dauerhafte Medikation, insbesondere wenn starke Schmerzmittel, Psychopharmaka oder Herz-/Lungenmedikamente notwendig sind.
  5. Pflegegrad-Bescheid oder MDK-Gutachten
    Falls vorhanden, belegen sie Einschränkungen in der Selbstversorgung und Alltagsbewältigung.
  6. Berichte von Therapeuten
    Stellungnahmen von Physiotherapeuten, Ergotherapeuten oder Psychotherapeuten können die Auswirkungen auf Mobilität, Belastbarkeit oder psychische Stabilität verdeutlichen.
  7. Arbeitsplatzbezogene Stellungnahmen
    Falls die Erkrankung Ihre Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt: Atteste über Arbeitsunfähigkeiten, Arbeitgeberbescheinigungen über Leistungseinschränkungen oder Stellungnahmen des Betriebsarztes.

Wichtig ist immer, die funktionalen Folgen der Erkrankungen klar zu dokumentieren – also nicht nur Diagnosen zu nennen, sondern deren konkrete Auswirkungen auf Alltag, Beruf und Teilhabe zu schildern.

Fazit

Der Schritt von GdB 30 auf 50 ist erreichbar, wenn Sie systematisch vorgehen: medizinisch solide dokumentieren, die funktionellen Auswirkungen nachvollziehbar machen und die richtige verfahrensrechtliche Spur wählen – Neufeststellung oder Widerspruch.

Mit dem Erreichen der 50er-Schwelle öffnen sich wichtige Schutzrechte im Arbeitsleben, steuerliche Entlastungen und je nach Lebensplanung der Zugang zur vorgezogenen Altersrente.

Wer parallel die Gleichstellung nutzt, bleibt im Job vor Kündigungen besser geschützt, bis die Erhöhung durch ist – die vollen Nachteilsausgleiche gibt es aber erst mit anerkannter Schwerbehinderung.