Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung (oder Gleichstellung) genießen einen besonderen Kündigungsschutz. Grundsätzlich darf der Arbeitgeber eine Kündigung erst aussprechen, wenn zuvor das Integrationsamt zugestimmt hat. Der Schutz greift in der Regel, sobald das Arbeitsverhältnis beim Zugang der Kündigung ununterbrochen länger als sechs Monate besteht.
Inhaltsverzeichnis
Rechtsgrundlagen und Schutzbereich
Die Zustimmungspflicht ergibt sich aus § 168 SGB IX. Die sechsmonatige Wartezeit ist in § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX geregelt. Der besondere Kündigungsschutz gilt sowohl bei ordentlichen als auch bei außerordentlichen Kündigungen – jeweils mit unterschiedlichen Fristen im Verfahren.
Prävention: Arbeitgeber muss Probleme frühzeitig melden und Beteiligte einbeziehen
Kommt es zu personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten, die den Arbeitsplatz eines schwerbehinderten Menschen gefährden, muss der Arbeitgeber frühzeitig tätig werden. Er hat die Schwerbehindertenvertretung, den Betriebs-/Personalrat und – bei schwerbehinderten oder gleichgestellten Beschäftigten – das Integrationsamt einzubeziehen.
Ziel ist es, alle zumutbaren Maßnahmen zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auszuschöpfen (z. B. Anpassung des Arbeitsplatzes, Versetzung, Arbeitszeitgestaltung).
Voraussetzungen des Sonderkündigungsschutzes
Voraussetzung ist das objektive Vorliegen einer Schwerbehinderung oder einer Gleichstellung zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Liegt bereits ein anerkannter Status vor, greift der Schutz. Wurde ein Antrag auf Feststellung/Gleichstellung rechtzeitig vor Kündigungszugang gestellt, ist dies bei der Prüfung einzubeziehen. Entscheidend ist zudem, ob die Kündigungsgründe im Zusammenhang mit der Behinderung stehen und ob mildere Mittel den Arbeitsplatz erhalten können.
Wichtig: Eine fehlende vorherige Zustimmung kann nicht „nachträglich“ geheilt werden. Wird ohne Zustimmung gekündigt, ist die Kündigung grundsätzlich unwirksam; der Arbeitgeber müsste nach erteilter Zustimmung neu kündigen.
Was das Integrationsamt prüft
Das Integrationsamt holt die erforderlichen Auskünfte ein und hört die Beteiligten an. Es prüft insbesondere,
- ob die Kündigung (auch) behinderungsbedingt ist,
- ob zumutbare Alternativen zur Kündigung bestehen (z. B. Umsetzung, andere Tätigkeiten, technische/organisatorische Anpassungen),
- wie die Interessen des Arbeitgebers und des Beschäftigten zu gewichten sind.
Das Amt soll in jeder Phase auf eine gütliche Einigung hinwirken. Ist die Kündigung nicht vermeidbar, kommen Vereinbarungen – etwa zu Fristen oder zu einer Abfindung – in Betracht.
Fristen im Zustimmungsverfahren
Bei ordentlicher Kündigung muss der Arbeitgeber nach erteilter Zustimmung die Kündigung innerhalb eines Monats erklären.
Bei außerordentlicher Kündigung gelten engere Fristen: Der Antrag beim Integrationsamt ist binnen zwei Wochen nach Kenntnis der maßgeblichen Gründe zu stellen; das Amt entscheidet grundsätzlich ebenfalls binnen zwei Wochen. Nach Zustimmung ist die außerordentliche Kündigung unverzüglich auszusprechen.
Ausnahmen von der Zustimmungspflicht
Die Zustimmung des Integrationsamts ist nicht in allen Fällen erforderlich. Wichtige Ausnahmen sind:
- Wartezeit: Das Arbeitsverhältnis besteht beim Zugang der Kündigung noch keine sechs Monate.
- Besondere Beendigungsszenarien ab 58 Jahren: Unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen (etwa Abfindungs-/Ausgleichsleistungen nach Sozialplan oder vergleichbare Leistungen) findet der Sonderkündigungsschutz keine Anwendung, wenn der Arbeitgeber die Kündigungsabsicht rechtzeitig mitgeteilt hat und der/die Beschäftigte dem nicht widerspricht.
- Zeit-/Witterungsentlassungen mit gesicherter Wiedereinstellungsmöglichkeit.
- Kein Nachweis der Schwerbehinderung, z. B. wenn die Feststellung an fehlender Mitwirkung scheitert.
Fazit und Praxis-Hinweis
Der besondere Kündigungsschutz schwerbehinderter oder gleichgestellter Beschäftigter ist stark, aber fristgebunden und verfahrensabhängig. Arbeitgeber müssen frühzeitig Präventionsmaßnahmen einleiten und vor jeder Kündigung die Zustimmung des Integrationsamts einholen.
Betroffene sollten ihren Status rechtzeitig klären (Anerkennung/Gleichstellung beantragen) und im Fall einer Kündigung zügig rechtliche Schritte prüfen – insbesondere die dreiwöchige Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage.