Schwerbehinderung: Neue Fristen bei Hilfsmitteln setzen Krankenkassen endlich unter Druck

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Die Versorgung mit Hilfsmitteln wie Prothesen, Rollstรผhlen, Hรถrgerรคten oder anderen unterstรผtzenden Gerรคten wird bei den Krankenkassen beantragt. Um die Beantragung und Bearbeitung zu beschleunigen und fรผr schwerbehinderte Versicherte Menschen besser zu machen, wurden gesetzliche ร„nderungen eingefรผhrt, die erhebliche Verbesserungen fรผr Menschen mit einer Behinderung bringen.

Welche gesetzlichen Fristen gelten jetzt fรผr die Bearbeitung von Antrรคgen?

Die Bearbeitung von Antrรคgen auf Hilfsmittel durch die Krankenkassen war in der Vergangenheit oft langwierig, was fรผr die Betroffenen mit erheblichen Nachteilen verbunden sein konnte. Um dem entgegenzuwirken, wurden verbindliche Fristen eingefรผhrt. Ziel dieser Regelung ist, die Entscheidungen der Krankenkassen zu beschleunigen und den Versicherten mehr Planbarkeit und Sicherheit zu geben.

Fรผr Hilfsmittel, die den Erfolg einer medizinischen Behandlung unterstรผtzen sollen, betrรคgt die Frist fรผr die Bearbeitung eines Antrags nun drei Wochen. Sollte die Krankenkasse jedoch ein Gutachten des Medizinischen Dienstes benรถtigen, verlรคngert sich diese Frist auf fรผnf Wochen.

Handelt es sich um Hilfsmittel, die dem Ausgleich einer Behinderung dienen oder prรคventiv eingesetzt werden, haben die Krankenkassen zwei Monate Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Die lรคngere Frist berรผcksichtigt die oft komplexeren Begutachtungen und Entscheidungen in diesem Bereich.

Eine Verlรคngerung der jeweiligen Frist ist nur dann zulรคssig, wenn die Krankenkasse schriftlich nachvollziehbare Grรผnde fรผr die Verzรถgerung mitteilt und einen verbindlichen Termin nennt, bis wann eine Entscheidung zu erwarten ist. Fรผr Versicherte bedeutet dies eine klare Orientierung, wann sie mit einer Antwort rechnen kรถnnen.

Was passiert, wenn die Krankenkasse nicht fristgerecht entscheidet?

Ein ย Vorteil der Neuregelung ist, dass ein Antrag auf ein Hilfsmittel als automatisch genehmigt gilt, wenn die Krankenkasse die vorgegebenen Fristen รผberschreitet.

Das bedeutet, dass Versicherte in diesem Fall das Hilfsmittel selbst beschaffen kรถnnen, sofern sie dies fรผr notwendig halten und eine รคrztliche Verordnung vorliegt. AnschlieรŸend haben sie Anspruch auf Erstattung der entstandenen Kosten durch die Krankenkasse.

Allerdings endet diese Mรถglichkeit zur Selbstbeschaffung, sobald die Krankenkasse den Antrag formell ablehnt oder ein Gericht eine Leistungsklage rechtskrรคftig abweist. Versicherte sollten daher sicherstellen, dass sie die gesetzlichen Vorgaben genau einhalten, um spรคter keine Probleme bei der Kostenรผbernahme zu riskieren.

Welche Hilfsmittel werden von der Krankenkasse gezahlt?

Die Krankenkassen รผbernehmen die Kosten fรผr Hilfsmittel, die bestimmte Voraussetzungen erfรผllen. Dabei stehen drei Hauptkriterien im Fokus:

  1. Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung: Hilfsmittel wie Bandagen oder spezielle medizinische Gerรคte unterstรผtzen den Heilungsprozess und werden von den Krankenkassen finanziert.
  2. Prรคvention von Behinderungen: Hilfsmittel wie orthopรคdische Schuhe oder Rollatoren kรถnnen genutzt werden, um drohenden Einschrรคnkungen vorzubeugen.
  3. Ausgleich bestehender Behinderungen: Hilfsmittel wie Prothesen, Hรถrgerรคte oder Rollstรผhle gleichen eine bestehende Behinderung aus und ermรถglichen den Betroffenen, ein mรถglichst selbststรคndiges Leben zu fรผhren.

Bei der Entscheidung รผber die Kostenรผbernahme wird auรŸerdem geprรผft, ob das Hilfsmittel ein sogenanntes allgemeines Grundbedรผrfnis des tรคglichen Lebens betrifft.

Dazu zรคhlen Mobilitรคt, Kommunikation oder grundlegende HygienemaรŸnahmen. Hilfsmittel, die lediglich beruflichen, sozialen oder privaten Zwecken dienen, wie etwa spezielle Arbeitsgerรคte, fallen oft nicht in den Leistungsbereich der Krankenkassen. Hier kรถnnen andere Trรคger, wie die Rentenversicherung oder die Eingliederungshilfe, zustรคndig sein.

Wie lรคuft die Beantragung eines Hilfsmittels ab?

Die Beantragung eines Hilfsmittels ist ein standardisierter Prozess, der mit einer รคrztlichen Verordnung beginnt. Diese ist dann die Grundlage fรผr den Antrag, der bei der Krankenkasse eingereicht wird.

Zunรคchst ist ein Besuch beim Arzt erforderlich, der die medizinische Notwendigkeit des Hilfsmittels feststellt und dokumentiert. Mit dieser Verordnung wendet sich der Versicherte an seine Krankenkasse und reicht den Antrag ein.

Dabei ist es hilfreich, alle relevanten Unterlagen beizufรผgen, um den Prozess zu beschleunigen. Die Krankenkasse prรผft den Antrag und entscheidet innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Frist. Sobald die Genehmigung vorliegt, kann die Versorgung durch einen sogenannten Leistungserbringer erfolgen.

Wer liefert das Hilfsmittel?

Die eigentliche Versorgung mit dem beantragten Hilfsmittel รผbernehmen sogenannte Leistungserbringer, die in vertraglicher Verbindung mit den Krankenkassen stehen. Dazu gehรถren Sanitรคtshรคuser, Apotheken oder spezialisierte Fachbetriebe wie Hรถrgerรคteakustiker. Versicherte kรถnnen sich bei ihrer Krankenkasse erkundigen, welche Anbieter in ihrem Fall infrage kommen.

Was tun bei Ablehnung oder Versorgungsmรคngeln?

Es kommt vor, dass Krankenkassen Antrรคge ablehnen oder dass die bereitgestellten Hilfsmittel nicht den individuellen Bedรผrfnissen entsprechen. In solchen Fรคllen haben Versicherte verschiedene Mรถglichkeiten, ihre Ansprรผche durchzusetzen.

Gegen eine Ablehnung des Antrags kann innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden. Dieser sollte gut begrรผndet sein und gegebenenfalls zusรคtzliche รคrztliche Bescheinigungen oder Gutachten enthalten. Wenn der Widerspruch ebenfalls abgelehnt wird, bleibt der Rechtsweg offen, und Betroffene kรถnnen vor dem Sozialgericht Klage erheben.

Bei Versorgungsmรคngeln, etwa wenn Hilfsmittel in unzureichender Qualitรคt oder Menge geliefert werden, kรถnnen Versicherte sich direkt an die Krankenkasse wenden. Die Krankenkassen sind verpflichtet, die Vertragspartner zu kontrollieren und sicherzustellen, dass die Versorgung den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Falls die Krankenkasse nicht tรคtig wird, kann eine Beschwerde bei der zustรคndigen Aufsichtsbehรถrde eingereicht werden.

Besonderheiten bei bestimmten Hilfsmitteln

In einigen Bereichen gibt es spezifische Regelungen, die Versicherte beachten sollten. So gelten fรผr Hรถrgerรคte Festbetrรคge, die die Erstattungshรถhe durch die Krankenkassen begrenzen. Wenn jedoch kein bedarfsgerechtes Gerรคt zu diesem Festbetrag erhรคltlich ist, kรถnnen Versicherte ein hรถherwertiges und teureres Produkt verlangen.

Bei Inkontinenzhilfen gibt es hรคufig Berichte รผber qualitative Mรคngel. Hier sollten Betroffene ihre Rechte kennen und bei Bedarf gerichtlich durchsetzen. Sehhilfen werden in der Regel nur fรผr Kinder und Jugendliche vollstรคndig รผbernommen, wรคhrend Erwachsene meist nur in Ausnahmefรคllen Anspruch auf eine Kostenรผbernahme haben.

Ein Beispiel aus der Praxis: Wie eine gesetzliche Fristverletzung einem Versicherten hilft

Der Fall: Frau Mรผller benรถtigt ein Hilfsmittel zur Mobilitรคt

Frau Mรผller, 67 Jahre alt, leidet unter schwerer Arthrose in beiden Knien. Ihr Orthopรคde empfiehlt die Nutzung eines Aktivrollstuhls, um ihre Mobilitรคt zu sichern und den Alltag schmerzfreier zu gestalten. Der Arzt stellt eine Verordnung aus, auf deren Basis Frau Mรผller einen Antrag bei ihrer Krankenkasse einreicht. Der Aktivrollstuhl soll ihr ermรถglichen, wieder eigenstรคndig kurze Strecken zurรผckzulegen und die Teilnahme am sozialen Leben zu erleichtern.

Der Antrag bei der Krankenkasse

Am 1. Mai 2024 reicht Frau Mรผller den Antrag bei ihrer Krankenkasse ein. GemรครŸ der neuen gesetzlichen Regelungen (ยง 13 Abs. 3a SGB V) hat die Krankenkasse drei Wochen Zeit, um eine Entscheidung zu treffen, da der Aktivrollstuhl den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern soll. Es handelt sich um ein Hilfsmittel, das notwendig ist, um die Mobilitรคt zu gewรคhrleisten, ein grundlegendes Bedรผrfnis des tรคglichen Lebens.

Die Verzรถgerung der Entscheidung

Am 22. Mai 2024 โ€“ drei Wochen nach der Antragstellung โ€“ hat Frau Mรผller keine Rรผckmeldung von der Krankenkasse erhalten. Sie wendet sich telefonisch an den Kundenservice, wo man ihr mitteilt, dass der Antrag noch in Bearbeitung sei. Eine Verlรคngerung der Frist wurde jedoch nicht schriftlich mitgeteilt, und es wurden auch keine triftigen Grรผnde genannt, warum die Entscheidung noch aussteht.

GemรครŸ den gesetzlichen Vorgaben gilt der Antrag somit als automatisch genehmigt, da die Frist รผberschritten wurde.

Die Selbstbeschaffung des Hilfsmittels

Frau Mรผller wendet sich an ein Sanitรคtshaus, das den Aktivrollstuhl fรผhrt, den ihr Arzt empfohlen hat. Sie kauft das Hilfsmittel und legt die Rechnung bei der Krankenkasse zur Erstattung vor. Die Kosten belaufen sich auf 3.200 Euro. Da die Krankenkasse die Frist verletzt hat, ist sie nun verpflichtet, die Kosten vollstรคndig zu รผbernehmen.

Die Reaktion der Krankenkasse

Die Krankenkasse prรผft den Fall nachtrรคglich und erkennt an, dass die gesetzliche Frist รผberschritten wurde. Frau Mรผller erhรคlt eine schriftliche Bestรคtigung, dass die Kosten fรผr den Aktivrollstuhl erstattet werden. Innerhalb von zwei Wochen wird ihr der volle Betrag auf ihr Konto รผberwiesen.

Lehren aus dem Fall

  1. Rechte der Versicherten: Der Fall zeigt, wie wichtig es ist, die gesetzlichen Fristen zu kennen. Frau Mรผller konnte dank der neuen Regelungen selbststรคndig handeln und erhielt ihr benรถtigtes Hilfsmittel ohne weitere Verzรถgerung.
  2. Pflichten der Krankenkasse: Krankenkassen sind verpflichtet, Antrรคge fristgerecht zu bearbeiten oder bei Verzรถgerungen schriftlich zu informieren. Andernfalls gehen sie das Risiko ein, dass die Kostenรผbernahme automatisch fรคllig wird.
  3. Proaktive Herangehensweise: Frau Mรผller blieb aktiv, hakte bei der Krankenkasse nach und beschaffte sich das Hilfsmittel selbst. Dieses Verhalten wurde durch die Gesetzgebung abgesichert und fรผhrte zu einer zรผgigen Lรถsung ihres Problems.