Trotz des zunehmenden Mangels an Fachkräften und der gestiegenen Möglichkeit von Homeoffice ist es für viele Menschen mit Behinderung schwierig, eine Anstellung zu finden.
Vorurteile, Missverständnisse und strukturelle Probleme, die den Einstieg in das Berufsleben verhindern, sind die häufigsten Gründe für diese Situation.
Inhaltsverzeichnis
Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderung als Hindernis
Dorothee Czennia vom Sozialverband VdK betont, dass Menschen mit Behinderung „keine Belastung für Unternehmen sind, sondern eine Bereicherung“. Ihre Fachkenntnisse, Loyalität und der ausgeprägte Teamgeist tragen in vielen Fällen entscheidend zur Bereicherung eines Betriebs bei.
Viele Arbeitgeber sind trotzdem unsicher, wie die Integration in den Arbeitsalltag gelingen kann. Auch die Annahme, dass eine Behinderung automatisch geringere Leistungsfähigkeit bedeutet, trägt dazu bei, dass Betroffene gar nicht erst zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden.
Auswirkungen auf den Berufsweg durch mangelnde Schulabschlüsse
Probleme, die Menschen mit Behinderung während ihres Lebens haben, können sich in erheblichem Maße auf ihren Berufsweg auswirken. So kann etwa die Notwendigkeit längerer Therapien dazu führen, dass die reguläre Ausbildungszeit nicht eingehalten werden kann.
Auch die schulische Laufbahn gestaltet sich oftmals als schwierig. Die Lebenshilfe Deutschland, eine Organisation zur Förderung von Menschen mit geistiger Behinderung und Lernschwierigkeiten, weist darauf hin, dass mindestens zwei Drittel der jungen Menschen mit diagnostiziertem Förderbedarf ihre Schulzeit ohne anerkannten Abschluss beenden.
Ohne qualifizierenden Schulabschluss bleiben ihnen reguläre Ausbildungsplätze und damit die Möglichkeit, in den allgemeinen Arbeitsmarkt einzutreten, weitgehend verschlossen.
Statistische Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt
Die strukturelle Benachteiligung zeigt sich auch in der Statistik: Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung lag im Jahr 2022 bei knapp elf Prozent und ist damit fast doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung. Diese Zahl zeigt die deutlichen Unterschiede in den Chancen der beiden Gruppen.
Noch bedrückender ist die Quote der Langzeitarbeitslosigkeit: Fast die Hälfte (46 Prozent) der arbeitssuchenden Menschen mit Behinderung war langzeitarbeitslos, im Vergleich zu 38 Prozent bei Menschen ohne Behinderung. Diese Unterschiede weisen auf gravierende Hindernisse hin, die das Fortkommen am Arbeitsmarkt erschweren.
Verpflichtung zur Anstellung von Menschen mit Behinderung
Um die Integration von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt zu fördern, sind Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitenden verpflichtet, fünf Prozent der Stellen mit Menschen mit Behinderung zu besetzen. Doch der Stand der Umsetzung ist ernüchternd:
Nur 39 Prozent der Unternehmen erfüllen diese Vorgaben. Das bedeutet, dass von den rund 45.000 Arbeitgebern in Deutschland, die verpflichtet sind, Schwerbehinderte anzustellen, viele ihren Verpflichtungen nicht nachkommen.
Ein Hindernis, das Unternehmen oft als Grund angeben, ist die vermeintliche schlechte Bewerberlage. Viele Betriebe wären bereit, Menschen mit Behinderungen einzustellen, doch es fehle an geeigneten Kandidaten, erklärt Karolin Hiesinger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Studien zeigen, dass 80 Prozent der Unternehmen, die die gesetzliche Quote nicht erfüllen, auf eine mangelnde Zahl geeigneter Bewerber verweisen.
Reformen und Forderungen der Sozialverbände
Um den Anreiz für die Unternehmen zu erhöhen, wurde im Januar 2024 eine Reform umgesetzt, die die Höhe der sogenannten Ausgleichsabgabe angehoben hat. Diese Abgabe müssen Unternehmen zahlen, wenn sie ihrer Verpflichtung zur Einstellung von Menschen mit Behinderung nicht nachkommen.
Der Betrag wurde auf bis zu 720 Euro monatlich pro nicht besetzten Pflichtarbeitsplatz erhöht. Dieser Betrag gilt für Unternehmen mit mehr als 60 Mitarbeitenden; für kleinere Unternehmen liegt die Abgabe niedriger. Trotz dieser Anpassung sind viele Sozialverbände mit der neuen Regelung nicht zufrieden.
Peer Brocke von der Lebenshilfe fordert, die Ausgleichsabgabe noch weiter zu erhöhen, sodass es für Unternehmen attraktiver wird, Menschen mit Behinderung mithilfe staatlicher Zuschüsse einzustellen, statt die Abgabe zu zahlen.
Zusätzlich soll die Pflichtquote für Unternehmen erhöht werden, um mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu schaffen. Sozialverbände setzen sich zudem dafür ein, dass mehr Menschen, die aktuell in Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigt sind, auf den regulären Arbeitsmarkt wechseln können.
Herausforderungen bei der Umsetzung von Arbeitsverhältnissen
Die Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt scheitert jedoch nicht nur an der Einstellung der Unternehmen, sondern auch an strukturellen Hindernissen. Czennia hebt hervor, dass Arbeitgeber, die Menschen mit Behinderung einstellen wollen, oft auf langwierige Verfahren bei den zuständigen Reha-Trägern oder Integrationsämtern stoßen.
Solche Verzögerungen können dazu führen, dass sich Unternehmen gegen die Anstellung entscheiden. Auch die Fähigkeiten der Jobcenter zur Vermittlung von Menschen mit Behinderung sind oft nicht ausreichend ausgeprägt. Die Vertretungen für Schwerbehinderte innerhalb der Unternehmen müssen ebenfalls stärker unterstützt werden, um effektiv arbeiten zu können.
Probleme bei der Bewerbung und Stellenausschreibungen
Ein weiteres Problem für Menschen mit Behinderung stellt der Bewerbungsprozess dar. Die Art und Weise, wie Stellenanzeigen formuliert sind, sendet oft unterschwellige Signale, die potenzielle Bewerber mit Behinderung entmutigen können.
Unternehmen müssen klarer kommunizieren, dass sie bereit sind, Menschen mit Behinderung einzustellen, und Arbeitsplätze entsprechend barrierefrei gestaltet sind.
Fehlende Informationen zu Zugänglichkeit oder Flexibilität können als Zeichen gewertet werden, dass das Unternehmen wenig Interesse an der Anstellung von Menschen mit Behinderung hat. Czennia betont, dass eine klare Ansprache der Zielgruppe ein wichtiger Schritt ist, um Bewerber zu motivieren.
Zusammenführung von Angebot und Nachfrage verbessern
Um langfristig die Arbeitsmarktsituation für Menschen mit Behinderung zu verbessern, müssen Schulen, Ausbildungsstätten und Weiterbildungsprogramme gezielter darauf ausgerichtet werden, Menschen mit Behinderung auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten.
Dies bedeutet nicht nur eine gezielte berufliche Qualifikation, sondern auch eine Anpassung der Ausbildungsinhalte an die Bedürfnisse von Menschen mit verschiedenen Behinderungen.
Unternehmen und potenzielle Bewerber müssen besser miteinander vernetzt werden, damit bestehende Arbeitskräftepotenziale auch genutzt werden können.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.