Schwerbehinderung: GdB wird neu geregelt – neue Reform zwingt zum schnellen handeln

Am 14.08.2025 wurde die ร„nderungsverordnung zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) als Bundesratsdrucksache 353/25 eingebracht. Damit startet formal das Verfahren, das die BegutachtungsmaรŸstรคbe fรผr den Grad der Behinderung (GdB) und fรผr Merkzeichen neu ordnen soll. Fรผr Betroffene heiรŸt das: Jetzt Aktenlage sichern, Argumente schรคrfen und auf den Inkrafttretens-Tag vorbereiten.

Kern der Reform: Teil A neu, Teil B bleibt

Die Reform setzt am Teil A der Anlage zur VersMedV an โ€“ also an den allgemeinen Grundsรคtzen der Begutachtung. Kรผnftig steht die Teilhabeorientierung deutlich stรคrker im Fokus; die Logik der GdB-Bildung wird prรคzisiert, Wechselwirkungen werden klarer beschrieben.

Wichtig fรผr die Praxis: Teil B โ€“ die diagnosespezifischen Bewertungsrahmen โ€“ wird zunรคchst nicht geรคndert. Es geht also jetzt um die Methodik der Bewertung, nicht um neue Tabellenwerte fรผr einzelne Krankheitsbilder.

Heilungsbewรคhrung: klare Mindest-GdB und Regeldauern

Die Heilungsbewรคhrung wird systematisch im Teil A verankert. Bei Krebserkrankungen und Organtransplantationen soll wรคhrend der Heilungsbewรคhrung ein Mindest-GdB gesichert sein โ€“ in fortgeschrittenen Stadien regelmรครŸig hรถher. Die Regeldauern (typisch 2 bis 5 Jahre) werden einheitlich benannt.

Spezialfรคlle wie Carcinoma in situ bleiben auรŸerhalb der Heilungsbewรคhrung im diagnosespezifischen Teil geregelt.
Konsequenz: Wer die Heilungsbewรคhrung sauber belegt, sichert schneller den Schwerbehindertenstatus mit den dazugehรถrigen Nachteilsausgleichen.

Schmerz und Psyche: getrennte, eigenstรคndige Wertung mรถglich

Schmerz und psychische Stรถrungen werden ausdrรผcklich als eigenstรคndige Beeintrรคchtigungen adressiert โ€“ zusรคtzlich zu der Grunderkrankung. Voraussetzung ist eine klare Diagnose (ICD-Kodierung).
Das ist entscheidend fรผr Menschen mit chronischen Schmerzerkrankungen, Fatigue, Angst- und Depressionskomorbiditรคten oder entstellenden Folgen von Erkrankungen oder Therapien: Diese Aspekte kรถnnen kรผnftig sichtbarer und eigener in die Gesamt-GdB-Bewertung einflieรŸen.

Gesamt-GdB verstรคndlich: +10-Regel statt Zahlenspiel

Die Bildung des Gesamt-GdB wird transparent gefasst: Man startet mit dem hรถchsten Einzel-GdB. Weitere Gesundheitsstรถrungen erhรถhen den Gesamt-GdB nur dann, wenn sie die Beeintrรคchtigung wesentlich verstรคrken โ€“ Richtschnur: mindestens +10 Punkte.

Unzulรคssig bleibt das Addieren oder Mittelwertbilden von Einzelwerten. Einzel-GdB 10 (und hรคufig 20) erhรถhen in der Regel nicht โ€“ Ausnahmen sind zu begrรผnden.

Praxisnutzen: Wer Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Funktionssystemen (z. B. Atmung + Kreislauf + Psyche) sauber darstellt, kann den Gesamt-GdB belastbar begrรผnden.

Schnell progrediente Verlรคufe: frรผher berรผcksichtigen

Bei Erkrankungen mit rascher Verschlechterung (z. B. ALS, aggressive Tumoren) kรถnnen gravierende Einschrรคnkungen ausnahmsweise frรผhzeitig berรผcksichtigt werden โ€“ auch wenn seit Eintritt der Stรถrung noch kein halbes Jahr verstrichen ist. Das verkรผrzt die Lรผcke zwischen klinischer Realitรคt und amtlicher Bewertung.

Was bleibt vorerst unverรคndert

Die diagnosespezifischen Tabellenwerte (Teil B) bleiben zunรคchst gleich. Es gibt keine neuen Fixwerte fรผr einzelne Krankheitsbilder (z. B. Long-COVID/ME/CFS) und keine unmittelbare ร„nderung der Merkzeichen-Kriterien. Der aktuelle Schritt zielt auf die Grundsรคtze und die Begrรผndungslogik โ€“ das ist fรผr laufende Verfahren dennoch hochrelevant.

Wer profitiert zuerst?

  • Krebspatient\:innen und Transplantierte, weil die Heilungsbewรคhrung klarer und pauschaler gesichert wird โ€“ der Zugang zu Nachteilsausgleichen lรคsst sich dadurch frรผher herstellen.
  • Menschen mit starker Schmerzsymptomatik oder psychischer Komorbiditรคt: Mit eigener Diagnose werden diese Faktoren sichtbarer und gesondert bewertet.
  • Personen mit Mehrfachbeeintrรคchtigungen in verschiedenen Funktionssystemen โ€“ die Wechselwirkungs-Argumentation gewinnt an Gewicht.
  • Betroffene mit schnell progredienten Erkrankungen โ€“ die frรผhere Berรผcksichtigung gravierender Verlรคufe schlieรŸt bisherige Lรผcken.

Schnell handeln โ€“ in 7 Schritten

  1. Befunde bรผndeln: Arztbriefe, OP-/Therapienachweise, Stadien, Nachsorgeplรคne, Nebenwirkungen dokumentieren.
  2. ICD sichern: Schmerzdiagnosen (chronische Schmerzstรถrung etc.) und psychische Stรถrungen (z. B. depressive Episode) kodiert bestรคtigen lassen.
  3. Verlaufsnachweise fรผhren: Tagebuch zu Schรผben, Anfรคllen, Schmerzintensitรคt, Fatigue, Funktionsverlusten.
  4. Heilungsbewรคhrung belegen: Therapiebeginn, Stadium, erwartete Regeldauer โ€“ alles schriftlich.
  5. Gesamt-GdB logisch begrรผnden: Hรถchster Einzel-GdB โ†’ Wechselwirkungen โ†’ +10-Regel โ€“ kein Addieren/Mitteln.
  6. Antrรคge/Widersprรผche vorbereiten: Textbausteine und Checklisten jetzt erstellen; Belege sortiert beifรผgen.
  7. Verfahrensstand beobachten: Einbringung ist erfolgt; Inkrafttreten abwarten und direkt nach Verkรผndung bei Bedarf Neubewertung/รœberprรผfung beantragen.

Musterformulierung fรผr Antrag/Widerspruch

โ€žIch beantrage die Feststellung/Erhรถhung meines Gesamt-GdB unter Verweis auf die geรคnderten Teil-A-Grundsรคtze der VersMedV. Bitte berรผcksichtigen Sie gesondert meine Schmerzstรถrung und/oder psychische Stรถrung (ICD angefรผgt), die auรŸergewรถhnlichen Behandlungsfolgen sowie die Wechselwirkungen zwischen den betroffenen Funktionssystemen. Den Gesamt-GdB begrรผnde ich anhand der +10-Regel zur wesentlichen Verstรคrkung der Gesamtbeeintrรคchtigung. Zudem liegt bei mir eine Heilungsbewรคhrung vor (Nachweise beigefรผgt).โ€œ

Zeitplan und Rechtslage

Mit der Einbringung am 14.08.2025 ist das Verfahren gestartet. Beratungen in den Fachausschรผssen folgen, die Verkรผndung steht noch aus. Bis zum Inkrafttreten gilt die bisherige VersMedV.

Wer seine Unterlagen und Argumente jetzt ordnet, kann am Tag X ohne Verzรถgerung Neufeststellung/รœberprรผfung anstoรŸen.