Schwerbehinderung: 900 € vs. 4.500 € – Pauschbetrag oder Belege?

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Mobilität kostet – besonders, wenn gesundheitliche Einschränkungen Wege aufwändiger machen oder ohne Auto gar nichts geht. Steuerlich stehen zwei Hebel bereit, die oft verwechselt werden: der Behinderten-Pauschbetrag (§ 33b EStG) und die Fahrtkosten-Pauschale für behinderungsbedingte Privatfahrten (§ 33 Abs. 2a EStG: 900 € bzw. 4.500 €).

Wer seine Steuerlast spürbar senken will, muss wissen, welcher Hebel in welcher Lebenslage stärker greift – und an welcher Stelle Einzelnachweise überhaupt noch Sinn ergeben.

Die zwei Hebel – und ihr „Kernunterschied“

Der Behinderten-Pauschbetrag mindert das zu versteuernde Einkommen direkt. Er hängt vom Grad der Behinderung ab und wirkt ohne zumutbare Belastung, also ohne Selbstbehalt. Er ist die „immer-wirksam“-Option für den typischen, regelmäßig wiederkehrenden behinderungsbedingten Mehraufwand – unabhängig davon, wie viel im Alltag tatsächlich ausgegeben wurde.

Die Fahrtkosten-Pauschale deckt behinderungsbedingte Privatfahrten ab, und zwar pauschal mit 900 € (GdB ≥ 80 oder GdB ≥ 70 + Merkzeichen G) oder 4.500 € (Merkzeichen aG, Bl, TBl, H). Diese Pauschale zählt zu den außergewöhnlichen Belastungen und wird daher erst wirksam, wenn die zumutbare Belastung überschritten ist.

Wichtig: Sie ist abgeltend – wer sie nutzt, kann für behinderungsbedingte Privatfahrten keine höheren Einzelnachweise (Kilometer, ÖPNV, Taxi, Parkkosten) mehr ansetzen.

Merkzeichen B erhöht die Fahrtkosten-Pauschale nicht. Es belegt die Notwendigkeit einer Begleitung. Mehrkosten einer zwingend erforderlichen Begleitperson können – je nach Fallgestaltung – zusätzlich als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden. Für Arzt- und Therapiefahrten gelten gesonderte Regeln (siehe unten).

Was gehört wohin? (Kilometer, ÖPNV, Parken)

  • Behinderungsbedingte Privatfahrten: vollständig in der Fahrtkosten-Pauschale enthalten. Keine zusätzliche Kilometerliste, keine extra Parktickets – die Pauschale ist abschließend.
  • Arzt-, Therapie-, Reha-Fahrten: Einzelnachweis bleibt zulässig (Pkw pauschal mit 0,30 €/km oder tatsächliche ÖPNV-/Taxi-Kosten plus Parken). Diese Kosten laufen zusätzlich – jedoch ebenfalls als außergewöhnliche Belastungen und damit nur wirksam oberhalb der zumutbaren Belastung.
  • Arbeitsweg & Dienstfahrten: Pendeln bleibt Entfernungspauschale (ohne separate Parkkosten), Dienst-/Auswärtstermine als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben, nicht bei den außergewöhnlichen Belastungen.

„Wann ist was besser?“ – der Entscheidungsrahmen in der Praxis

1. Nur Pauschbetrag oder zusätzlich Fahrtkosten-Pauschale?
Der Behinderten-Pauschbetrag wirkt sofort und unabhängig von Schwellen. Die Fahrtkosten-Pauschale lohnt sich nur dann, wenn die Summe der außergewöhnlichen Belastungen die zumutbare Belastung übersteigt. Bei eher niedrigem sonstigem Krankheits- und Pflegeaufwand bleibt die 900-€-Stufe oft wirkungslos; die 4.500-€-Stufe reißt die Hürde in vielen Fällen.

2. Einzelnachweise statt Pauschale für Privatfahrten?
Nein. Für behinderungsbedingte Privatmobilität ist die Pauschale ab 2021 „Deckel und Schluss“. Mehr Kilometer, höhere ÖPNV-Tickets oder zusätzliche Parkbelege bringen keinen Mehrabzug.

3. Einzelnachweise bei Heilbehandlung
Arzt-, Klinik-, Physio- und Reha-Fahrten bleiben per Einzelnachweis abziehbar (Pkw 0,30 €/km, ÖPNV/Taxi in tatsächlicher Höhe, Parkgebühren dazu). Sie können die zumutbare Belastung mit knacken helfen – zusätzlich neben dem Behinderten-Pauschbetrag und neben der Fahrtkosten-Pauschale (ohne dieselbe Fahrt doppelt zu zählen).

4. Familienstand & Kinder
Die zumutbare Belastung sinkt, wenn Kinder da sind und bei niedrigerem Einkommen. Ergebnis: Schon die 900 € können in Familien schneller „durchschlagen“, insbesondere wenn Einzelnachweise für Heilbehandlung dazukommen.

5. Kilometer-Denke zur Einordnung
900 € entsprechen grob 3.000 km à 0,30 €/km, 4.500 € ≈ 15.000 km. Das ist nur ein Größenmaß, denn die Pauschale benötigt keinen Nachweis – hilft aber, Erwartungen zu kalibrieren.

Typische Konstellationen – und die Konsequenz

G (900 €), alleinstehend, mittleres Einkommen, kaum medizinische Belege:
Der Behinderten-Pauschbetrag wirkt immer. Die 900-€-Fahrtkosten-Pauschale scheitert häufig an der zumutbaren Belastung – Erwartung dämpfen. Wer keine nennenswerten außergewöhnlichen Belastungen hat, sieht hier oft keine Steuerwirkung.

aG/H/Bl/TBl (4.500 €), alleinstehend, mittleres Einkommen:
Die 4.500 € reißen die Schwelle in vielen Fällen. Zusätzliche Heilbehandlungsfahrten per Einzelnachweis erhöhen den Abzug weiter. Der Behinderten-Pauschbetrag läuft davon unabhängig und senkt die Steuer zusätzlich.

G (900 €) in Familie mit Kindern, mittleres Einkommen:
Die zumutbare Belastung liegt niedriger. 900 € plus ein paar belegte Gesundheitskosten können reichen, um die Schwelle zu übersteigen. Ergebnis: Die Fahrtkosten-Pauschale wird spürbar.

Viele Arzt- und Therapiefahrten ohne aG:
Hier kann der Einzelnachweis für Heilbehandlung das Zünglein an der Waage sein. Auch wenn die 900 € die Hürde allein nicht schaffen, kann die Summe aller Belege die Schwelle knacken – dann wirkt die Fahrtkosten-Pauschale mit.

Der jährliche „Wechsel-Check“ – in fünf Schritten

  • Erstens: Status prüfen. Liegen Voraussetzungen für 900 € (GdB ≥ 80 oder ≥ 70 + G) oder 4.500 € (aG/Bl/TBl/H) vor? Falls ja, Pauschale grundsätzlich ziehen.
  • Zweitens: Behinderten-Pauschbetrag nie vergessen. Er wirkt immer – unabhängig von Schwellen – und addiert sich nicht mit Einzelnachweisen derselben Kostenart.
  • Drittens: Heilbehandlung sauber trennen. Arzt-, Reha-, Therapiefahrten und Zuzahlungen konsequent sammeln. Diese Belege entscheiden regelmäßig, ob die Hürde fällt.
  • Viertens: Familien- und Einkommenssituation einbeziehen. Niedrigere Schwelle bedeutet: Schon 900 € + Belege können reichen.
  • Fünftens: Doppelerfassung vermeiden. Dieselbe Fahrt taucht nicht gleichzeitig als Privatmobilität und als Heilbehandlung auf; Pendeln bleibt außerhalb der außergewöhnlichen Belastungen.

Merkzeichen B – was es bringt und was nicht

B macht die Fahrtkosten-Pauschale nicht höher. Es dokumentiert die Notwendigkeit einer Begleitung. Entstehen zwangsläufige Mehrkosten durch eine Begleitperson (etwa bei Reisen oder einzelnen notwendigen Fahrten), können diese – im Rahmen des Üblichen und nach Nachweis – als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

Für Arzt- und Therapietermine gilt: Muss eine Begleitperson zwingend mit, lassen sich deren Mehrkosten ebenfalls einordnen, solange sie notwendig, angemessen und belegt sind.

Praxis-Fazit

  • Harter Hebel für sofortige Wirkung: der Behinderten-Pauschbetrag.
  • Großer Hebel bei starker Einschränkung: die 4.500-€-Pauschale, häufig kombiniert mit belegten Heilbehandlungskosten.
  • Begrenzt wirksam allein: die 900-€-Pauschale – oft erst im Zusammenspiel mit Belegen über der Schwelle.
  • Einzelnachweise schlagen die Pauschale?
    Nur bei Heilbehandlung – für Privatmobilität ist die Pauschale abschließend.
    Jährlich rechnen lohnt sich. Familienstand, Einkommen und die tatsächliche Krankheitslast verschieben die Schwellen – und damit die beste Strategie.