Sechs Monate musste die ehemals obdachlose Gisa M. wegen Fahrens ohne gรผltigen Fahrschein ins Gefรคngnis. Das Landgericht Dรผsseldorf verurteilte sie zu insgesamt eineinhalb Jahren Haft, weil sie in elf Fรคllen ohne gรผltigen Fahrschein Bahn gefahren war. Gefรคngnisstrafen fรผr “Schwarzfahren” soll es bald nicht mehr geben, jedenfalls hat sich die Mehrheit der Experten bei einer Anhรถrung im Deutschen Bundestag dafรผr ausgesprochen, keine Ersatzfreiheitsstrafen mehr zu verhรคngen.
Experten: Keine Strafttat bei Nutzung รถffentlicher Verkehrsmittel ohne gรผltigen Fahrschein
Eine รถffentliche Anhรถrung des Rechtsausschusses am 19. Juni 2023 hat ergeben, dass die รผberwiegende Mehrheit der Sachverstรคndigen empfiehlt, die Benutzung รถffentlicher Verkehrsmittel ohne gรผltigen Fahrschein nicht mehr als Straftat nach ยง 265a StGB zu behandeln.
Einige Experten schlugen vor, diesen Tatbestand stattdessen als Ordnungswidrigkeit einzustufen. Um dem Problem zu begegnen, dass von Ersatzfreiheitsstrafen hรคufig Arme, Bedรผrftige und Obdachlose betroffen sind, die weder das Ticket noch die Geldstrafe bezahlen kรถnnen, sprachen sich mehrere Sachverstรคndige fรผr eine Senkung der Ticketpreise und die Einfรผhrung eines kostenlosen รถffentlichen Personennahverkehrs (รPNV) aus.
Gesetzesentwurf der Linken
Der Anlass fรผr die รถffentliche Anhรถrung war ein Gesetzentwurf der Fraktion “Die Linke” zur รnderung des Strafgesetzbuchs (20/2081). Die Partei setzt sich darin dafรผr ein, das Fahren ohne Ticket zukรผnftig nicht mehr als Straftat zu ahnden.
DDie Abgeordneten argumentieren, dass die Strafandrohung des ยง 265a StGB (“Befรถrderungserschleichung”) unverhรคltnismรครig sei und der Funktion des Strafrechts als letztes Mittel (ultima ratio) widerspreche.
Derzeit drohen Geldstrafen und bei Zahlungsunfรคhigkeit hรคufig ersatzweise Freiheitsstrafen. Das รberwinden von Schutzvorrichtungen oder “kriminelle Energie” sei beim Einsteigen in Busse und Bahnen nicht erforderlich.
Verfassungsrechtliche Bedenken
Professor Roland Hefendehl von der Albert-Ludwigs-Universitรคt Freiburg hรคlt es fรผr “nicht nur kriminalpolitisch sinnvoll, sondern auch verfassungsrechtlich geboten”, die Strafbarkeit der Befรถrderungserschleichung ersatzlos zu streichen (siehe auch seine schriftliche Stellungnahme).
Die erhรถhte Befรถrderungsgebรผhr sei bereits eine empfindliche Sanktion. Wer argumentiere, dass diese nur schwer einzutreiben sei, mรผsse zugeben, dass dies bei Buรgeldern noch schlechter funktioniere. Auch die Lรถsung รผber das Ordnungswidrigkeitenrecht รผberzeugte Professor Hefendehl nicht.
Nach einhelliger Auffassung der deutschen Strafrechtswissenschaft und des Bundesverfassungsgerichts kรถnne die bloรe Nichtzahlung kein strafrechtliches Unrecht begrรผnden. Auch der Gesetzgeber gehe davon aus, dass โeine Strafbarkeit der Nichtzahlung einer den eigenen Vermรถgensbereich betreffenden Schuld dem deutschen Strafrecht grundsรคtzlich fremd istโ, so der Sachverstรคndige.
Strafen stehen in keinem Verhรคltnis
Die Strafen bei Erschleichen von Befรถrderungsleistungen stehen in keinem Verhรคltnis. Ein Rechenbeispiel verdeutlicht dies. Ein Tag in Haft kostet uns alle 178,91 Euro. Gisa sitzt fรผr zwei Mal Fahren ohne Fahrschein ein halbes Jahr in Haft. Die Rheinbahn kostet ihr Vergehen gerade mal 6,00 Euro.
Demnach kostet die sechsmonatige Haft 32.740,53 Euro. Statt das Geld fรผr die Haft auszugeben, kรถnnte der Staat betroffenen Wohnungslosen alternativ ein 49-Euro-Ticket fรผr 55,5 Jahre kaufen. Dann wรผrden Wohnungslose nicht mehr ohne Ticket fahren.