Eine Rentenerhöhung um monatlich 400 Euro klingt fast unglaublich. Im vorliegenden Fall einer selbstständigen Kunstschaffenden aus Halle wurde genau dieser Betrag möglich, nachdem eine Rentenberatung Unstimmigkeiten im Versicherungsverlauf aufgedeckt hatte.
Auslöser war nicht ein Rechentrick, sondern die systematische Klärung rentenrechtlicher Zeiten – die sogenannte Kontenklärung. Der Fall macht deutlich, wie groß die finanzielle Bedeutung korrekt erfasster Zeiten sein kann, insbesondere bei Kindererziehungs- und Pflegezeiten.
Inhaltsverzeichnis
Was eine Kontenklärung ist – und was sie leistet
Unter Kontenklärung versteht die Deutsche Rentenversicherung die förmliche Feststellung aller rentenrechtlich relevanten Zeiten einer versicherten Person. Rechtsgrundlage ist § 149 Abs. 5 SGB VI.
In einem Bescheid legt die Rentenversicherung verbindlich fest, welche Zeiten im Versicherungsverlauf berücksichtigt werden.
Dazu zählen unter anderem Pflichtbeitragszeiten aus Beschäftigung oder selbstständiger Tätigkeit, Zeiten der Kindererziehung und Kinderberücksichtigung, Schul-, Fachschul- und Hochschulausbildungen, gegebenenfalls Ersatz- und Anrechnungszeiten sowie – unter Voraussetzungen – Zeiten der häuslichen Pflege.
Der Versicherungsverlauf ist damit die Grundlage jeder Rentenauskunft und später des Rentenbescheids. Fehler oder Lücken in diesem Verlauf wirken sich unmittelbar auf die spätere Rentenhöhe aus.
Warum die Kontenklärung so wichtig ist
Die Bedeutung liegt in der Verbindlichkeit. Mit der Kontenklärung werden Zeiten nicht nur informell vermerkt, sondern rechtswirksam festgestellt. Versicherte erhalten einen Bescheid und können innerhalb der Frist Einwände erheben. Wer den Bescheid ungeprüft hinnimmt, riskiert, dass falsche oder fehlende Zeiten erst sehr spät entdeckt werden.
Eine aktive Mitwirkung, das Sammeln von Nachweisen und gegebenenfalls ein frühzeitiger Hinweis auf Unstimmigkeiten erhöhen die Chance, dass der Versicherungsverlauf vollständig und korrekt ist – lange bevor der eigentliche Rentenantrag gestellt wird.
Der konkrete Fall: fünf Kinder, Pflegeverantwortung – und eine große Lücke
Im vorliegenden Beispiel suchte eine Versicherte mit fünf Kindern Beratung dazu, ob sie im Oktober oder November 2025 eine vorgezogene Altersrente mit Abschlägen beziehen kann.
Der Versicherungsverlauf zeigte auf den ersten Blick: Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten waren grundsätzlich korrekt erfasst. Beim jüngsten Kind, das seit Geburt beeinträchtigt ist und Pflegegrad 4 hat, fiel jedoch ein Bruch auf.
Für die ersten Jahre waren Pflegezeiten zugunsten der Mutter als pflegender Person vermerkt, danach klaffte bis zum 31. Dezember 2024 eine rund zwanzigjährige Lücke.
Wie es zu dem Fehler kam – und wie er behoben wurde
Die Auflösung ergab sich erst durch erneute Dokumentensichtung: Die Pflegekasse hatte nach eigenen Angaben die Pflegezeiten jährlich festgestellt, sie aber über lange Jahre nicht an die Rentenversicherung gemeldet.
Damit fehlten im Rentenkonto Beitragszeiten, für die die Pflegekasse grundsätzlich Rentenbeiträge hätte melden und abführen müssen, wenn die persönlichen und zeitlichen Voraussetzungen der Pflegetätigkeit vorlagen. Die Versicherte legte daraufhin Widerspruch gegen den Kontenklärungsbescheid ein; sofern ein Widerspruch nicht mehr möglich ist, kommt ein Überprüfungsantrag in Betracht.
Die Pflegekasse sagte die Nachmeldung der Zeiten für fast zwei Jahrzehnte zu. Nach Eingang der Nachmeldungen erließ die Rentenversicherung einen neuen Kontenklärungsbescheid und eine aktualisierte Rentenauskunft – mit dem Ergebnis einer Rentensteigerung um brutto 400 Euro monatlich.
Was Pflegezeiten rentenrechtlich bedeuten
Pflegezeiten haben in der gesetzlichen Rentenversicherung ein besonderes Gewicht. Wer einen pflegebedürftigen Menschen zu Hause pflegt, kann unter bestimmten Voraussetzungen rentenrechtlich so gestellt werden, als seien für diese Zeit Beiträge gezahlt worden.
Zuständig für Meldung und Beitragszahlung ist in der Regel die Pflegekasse. Entscheidend sind unter anderem der Pflegegrad, der zeitliche Umfang der Pflege und die Erwerbstätigkeit der pflegenden Person.
Werden diese Zeiten nicht oder falsch übermittelt, bleibt die spätere Rente hinter dem rechtlich Möglichen zurück. Der Fall zeigt, dass sich eine sorgfältige Kontrolle lohnt, gerade wenn die Pflege über viele Jahre hinweg geleistet wurde.
Vorzeitiger Rentenbezug: Chancen und Abschläge
Die Versicherte plante den vorgezogenen Rentenstart im Herbst 2025. Ein solcher Schritt ist möglich, führt aber – je nach Rentenart und individueller Konstellation – zu dauerhaften Abschlägen. Umso wichtiger ist es, dass der Rentenanspruch auf einer vollständigen Datengrundlage berechnet wird.
Eine gezielte Kontenklärung kann helfen, die Ausgangsbasis zu maximieren, bevor über den Zeitpunkt des Rentenbeginns entschieden wird. Wer weiterhin – etwa in einer selbstständigen Tätigkeit – arbeiten möchte, sollte zudem die Hinzuverdienstregelungen im Blick behalten, damit zusätzliche Einnahmen und Rentenbezug sinnvoll zusammenspielen.
Prüfen, widersprechen, korrigieren
Mit dem Kontenklärungsbescheid haben Versicherte ein Dokument in der Hand, das sie prüfen und bei Fehlern anfechten können. Innerhalb der Rechtsbehelfsfrist kann Widerspruch eingelegt werden. Ist diese Frist verstrichen, kommt ein Überprüfungsantrag in Betracht, insbesondere wenn nachträglich Unterlagen auftauchen oder Meldungen – wie hier von einer Pflegekasse – nachgeholt werden.
Wichtig ist, die eigene Mitwirkung ernst zu nehmen: Wer Belege zu Ausbildung, Beschäftigungen, Kindererziehung oder Pflege hat, sollte sie strukturiert sammeln und bereitstellen. Je besser die Evidenz, desto schneller und reibungsloser lässt sich ein lückenloser Versicherungsverlauf herstellen.
Welche Zeiten besonders häufig fehlen
Erfahrungsgemäß bereiten bestimmte Zeitarten immer wieder Probleme. Dazu gehören Abschnitte der schulischen oder hochschulischen Ausbildung, Phasen der Berufsausbildung, Zeiten der Kindererziehung und Berücksichtigung, aber auch Pflegezeiten.
Bei Selbstständigen kommen Konstellationen hinzu, in denen freiwillige Beiträge, Pflichtbeiträge bei Versicherungspflicht oder längere beitragsfreie Phasen unvollständig erfasst sind.
Auch Beitragsdifferenzen – etwa bei Arbeitgeberwechseln oder Minijobs – können Spuren im Konto hinterlassen. Wer seinen Versicherungsverlauf aufmerksam liest und Auffälligkeiten direkt adressiert, verhindert, dass sich kleine Unstimmigkeiten über Jahre summieren.
400 Euro sind möglich – aber nicht die Regel
Die genannte Rentensteigerung ist eindrucksvoll, sie bleibt aber ein Einzelfall. Nicht jede Kontenklärung endet mit dreistelligen Zuwächsen. Häufig sind es kleinere Beträge, die sich addieren und trotzdem den Unterschied machen.
Schon zehn, zwanzig oder dreißig Euro im Monat wirken sich im Laufe der Jahre spürbar aus, zumal die jährlichen Rentenanpassungen auf dem höheren Niveau aufsetzen. Wichtig ist die Vollständigkeit des Kontos – unabhängig davon, ob am Ende ein großer oder ein kleiner Betrag steht.
Was man jetzt konkret tun sollten
Der erste Schritt besteht darin, den aktuellen Versicherungsverlauf und die Rentenauskunft anzufordern oder die bereits vorhandenen Unterlagen sorgfältig zu prüfen.
Wer Lücken, unplausible Unterbrechungen oder offenkundig fehlende Zeiten erkennt, sollte die Rentenversicherung darauf hinweisen und Nachweise beifügen.
Bei Pflegekonstellationen empfiehlt es sich, parallel bei der Pflegekasse nachzufragen, welche Meldungen für welche Zeiträume erfolgt sind, und sich dies schriftlich bestätigen zu lassen. Wenn bereits ein Kontenklärungsbescheid vorliegt, sollte die Widerspruchsfrist beachtet werden; andernfalls ist zu prüfen, ob ein Überprüfungsantrag zielführend ist. Begleitend kann eine unabhängige Beratung helfen, Prioritäten zu setzen, Fristen zu wahren und das Verfahren zu strukturieren.
Fazit: Kontenklärung ist Vorsorge in eigener Sache
Der Fall aus Halle zeigt, wie stark der Rentenanspruch von vollständigen und korrekt gemeldeten Zeiten abhängt. Die Kontenklärung ist kein Formalakt, sondern ein zentrales Sicherungsinstrument auf dem Weg in den Ruhestand. Wer frühzeitig prüft, Unterlagen ordnet und Unstimmigkeiten klärt, verhindert, dass Ansprüche verloren gehen.
Ob am Ende 400 Euro mehr, ein kleinerer Zuwachs oder „nur“ die Gewissheit steht, dass alles korrekt ist: Es geht stets um bares Geld – und um die Sicherheit, im entscheidenden Moment auf eine verlässliche Datengrundlage bauen zu können.