Die gesetzliche Rentenversicherung ist eine zentrale Säule der Altersvorsorge in Deutschland und existiert seit 1889.
Trotz ihrer langen Geschichte und stetigen Anpassungen gibt es zahlreiche Missverständnisse, die bei vielen Versicherten für Verunsicherung sorgen. Dieser Artikel klärt die 12 häufigsten Irrtümer auf.
Inhaltsverzeichnis
1. Die gesetzliche Rente wird ständig gesenkt
Ein weitverbreiteter Irrtum ist, dass die gesetzliche Rente kontinuierlich gekürzt wird. Tatsächlich sind individuelle Rentenkürzungen durch die staatliche Rentengarantie ausgeschlossen.
Das Rentenniveau, also das Verhältnis zwischen der Durchschnittsrente und dem Durchschnittseinkommen, kann jedoch sinken. Dies liegt daran, dass das Niveau die finanzielle Leistungsfähigkeit des Rentensystems abbildet.
Trotz eines potenziell sinkenden Rentenniveaus bleibt die tatsächliche Rentenhöhe stabil. Die Rentengarantie verhindert direkte Einschnitte in die Renten, sodass Rentner keine Kürzungen befürchten müssen.
2. Top-Verdiener erhalten eine entsprechend hohe Rente
Viele Menschen gehen davon aus, dass besonders hohe Gehälter zu überproportional hohen Renten führen. Dies ist jedoch nur begrenzt der Fall. Die Beitragsbemessungsgrenze, die 2024 bei 90.600 EUR im Jahr liegt, legt fest, bis zu welchem Einkommen Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt werden.
Einkommen, das darüber hinausgeht, fließt nicht in die Berechnung der Rente ein und führt auch nicht zu höheren Rentenansprüchen. Beispielsweise zahlt ein Manager, der 200.000 EUR im Jahr verdient, nicht mehr Beiträge als ein Arbeitnehmer, der 90.600 EUR verdient, und erhält dementsprechend auch keine höhere Rente für diesen zusätzlichen Verdienst.
3. Ostdeutsche erhalten für die gleichen Beiträge weniger Rente
Das ist falsch. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Osten erhalten für die gleichen Rentenbeiträge sogar mehr Rentenansprüche als ihre Kolleginnen und Kollegen im Westen.
Der Grund dafür liegt im Umrechnungsfaktor, der Ostgehälter aufwertet, um die nach wie vor bestehenden Lohnunterschiede zwischen Ost und West auszugleichen.
Ein Beispiel: Ein Beschäftigter in Weimar, der 2023 ein Jahresgehalt von 45.358 EUR erzielt, erhält dafür höhere Rentenanwartschaften als ein Beschäftigter in Düsseldorf mit dem gleichen Einkommen.
Diese Differenz entsteht durch die Anwendung des Umrechnungsfaktors, der 2024 bei 1,014 liegt. Durch ihn wird das Einkommen im Osten auf einen fiktiven, höheren Betrag angehoben. Ab 2025 wird dieser Umrechnungsfaktor jedoch schrittweise abgeschafft.
4. Abschläge entfallen ab dem regulären Rentenalter
Ein weiteres Missverständnis besagt, dass Rentenabschläge, die durch einen vorzeitigen Renteneintritt entstanden sind, mit Erreichen des regulären Rentenalters wieder wegfallen. Dies stimmt nicht. Rentenabschläge bleiben dauerhaft bestehen.
Für jeden Monat, den eine Person vor dem regulären Rentenalter in Rente geht, wird die Rente um 0,3 Prozent gekürzt. Diese Kürzung gilt lebenslang. Ein vorzeitiger Renteneintritt kann also langfristige finanzielle Auswirkungen haben. Beispiel: Wer drei Jahre vor dem regulären Rentenalter in Rente geht, muss mit einem dauerhaften Abschlag von 10,8 Prozent rechnen.
5. Für die Grundrente müssen 35 Jahre Beiträge eingezahlt werden
Es stimmt nicht, dass ausschließlich 35 Jahre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung notwendig sind, um die volle Grundrente zu erhalten. Auch andere Zeiten wie Kindererziehungszeiten, Pflegezeiten oder Zeiten von Leistungen bei Krankheit und Rehabilitation werden berücksichtigt.
Zusätzlich zählen Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder Pflege sowie Ersatzzeiten, etwa für politische Haft in der DDR.
Versicherte, die mindestens 33, aber weniger als 35 Jahre anrechenbare Zeiten haben, erhalten eine anteilige Grundrente, die mit jedem zusätzlichen Monat bis zur vollen Grundrente ansteigt.
6. Rentenbeiträge sind kontinuierlich gestiegen
Zwar gibt es immer wieder Berichte über steigende Rentenbeiträge, aber diese Aussage trifft nur bedingt zu. Der aktuelle Beitragssatz zur Rentenversicherung liegt bei 18,6 Prozent und ist damit nur geringfügig höher als in den 1980er Jahren, als er 18,5 Prozent betrug. Seit 1993, als der Beitragssatz bei 17,5 Prozent lag, hat er sich auf ein ähnliches Niveau wie heute eingependelt.
Besonders hoch war er 1997 mit 20,3 Prozent. Im historischen Vergleich zeigt sich, dass die Beiträge nicht konstant steigen, sondern immer wieder Schwankungen unterliegen.
7. Der Wohnort entscheidet über Ost- oder Westrente
Entscheidend für die Berechnung, ob eine Ost- oder Westrente gewährt wird, ist nicht der aktuelle Wohnort, sondern die Arbeitsorte während des Erwerbslebens.
Wer in verschiedenen Regionen gearbeitet hat, erhält eine Mischrente, die anteilig auf Basis der Beschäftigungszeiten im Osten und Westen berechnet wird. Dies gilt auch für spätere Rentenanpassungen.
Wenn jemand also zunächst in Dortmund, dann in Schwerin gearbeitet hat und seinen Ruhestand in Köln verbringt, wird die Rente auf Grundlage der jeweiligen Beschäftigungszeiten in Ost und West berechnet, unabhängig vom aktuellen Wohnort.
8. Ich bekomme später keine gesetzliche Rente – das System ist am Ende
Die Befürchtung, dass das Rentensystem in Deutschland zusammenbrechen könnte, ist unbegründet. Die gesetzliche Rentenversicherung basiert auf dem Umlageverfahren, bei dem die heutigen Beitragszahler die Renten der aktuellen Rentner finanzieren.
Dieses System hat sich als sehr stabil erwiesen, selbst in Krisenzeiten wie der Finanzkrise oder der Corona-Pandemie. Langfristige Herausforderungen wie die Alterung der Bevölkerung und mögliche wirtschaftliche Krisen können jedoch Anpassungen notwendig machen.
Dazu gehören Maßnahmen wie die Erhöhung staatlicher Zuschüsse, eine Ausweitung des Versichertenkreises auf Beamte und Selbstständige oder eine Anhebung des Rentenalters. Auch eine Förderung der Einwanderung in den Arbeitsmarkt könnte das System stabilisieren.
9. Die Rentenbeiträge werden angelegt und daraus wird später die Rente gezahlt
Dieser Irrtum hält sich hartnäckig. Tatsächlich werden die Beiträge der heutigen Beitragszahler unmittelbar für die Finanzierung der Renten der aktuellen Rentnerinnen und Rentner verwendet.
Dieses Umlageverfahren stellt sicher, dass das Rentensystem relativ unabhängig von Schwankungen an den Finanzmärkten bleibt. Eine kleine Reserve dient als Puffer für unerwartete Schwankungen.
Zukünftig plant die Regierung jedoch eine teilweise Kapitaldeckung, bei der 10 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in einen Fonds fließen sollen, um zusätzliche Erträge zu generieren. Gemessen an den Gesamtausgaben von über 360 Milliarden Euro ist dieser Anteil jedoch eher gering.
10. Nach 45 Jahren Arbeit müsste meine Rente höher ausfallen
Im deutschen Rentensystem zählt nicht nur die Dauer der Einzahlungen, sondern vor allem die Höhe des Einkommens.
Eine Person, die 45 Jahre lang durchschnittlich verdient hat, erhält weniger Rente als jemand, der nur 30 Jahre eingezahlt hat, aber ein deutlich höheres Einkommen hatte.
Der Grundrentenzuschlag kann die Rente bei langjährig Niedrigverdienenden zwar etwas anheben, doch grundsätzlich bleibt das Einkommen der wichtigste Faktor für die Rentenhöhe.
Beispiel: Eine Person mit durchschnittlichem Einkommen erhält nach 45 Jahren etwa 1.692 EUR Rente, während eine Person mit höherem Einkommen nach nur 30 Jahren eine Rente von 2.256 EUR erhält.
11. Die abschlagsfreie Frührente beginnt mit 63 Jahren
Die sogenannte „Rente mit 63“ galt ursprünglich für besonders langjährig Versicherte mit mindestens 45 Beitragsjahren. Für Jahrgänge ab 1953 wurde das Eintrittsalter jedoch schrittweise angehoben.
Wer 1959 geboren wurde, kann diese Rente erst mit 64 Jahren und 2 Monaten in Anspruch nehmen. Wer trotzdem mit 63 Jahren in Rente gehen möchte, muss die „Rente für langjährig Versicherte“ beantragen, bei der jedoch deutliche Rentenabschläge in Kauf genommen werden müssen.
Der Vorteil: Hier reichen bereits 35 Versicherungsjahre für einen Anspruch aus.
12. Die Grundrente muss beantragt werden
Seit dem 1. Januar 2021 wird die Grundrente automatisch an Versicherte ausgezahlt, die lange gearbeitet, aber wenig verdient haben. Die Deutsche Rentenversicherung prüft eigenständig, ob ein Anspruch besteht.
Ein gesonderter Antrag ist nicht notwendig. Anders verhält es sich bei der regulären Altersrente, der Altersrente für Schwerbehinderte oder der Erwerbsminderungsrente.
Diese Rentenarten müssen weiterhin aktiv beantragt werden.
Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht, Gesundheitsprävention sowie bei gesellschaftspolitischen Themen. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und engagiert sich politisch für Armutsbetroffene.