Sie haben die Pflegebegutachtung hinter sich, aber sind mit dem Ergebnis nicht zufrieden? Die Pflegekasse hat keinen Pflegegrad festgestellt oder der zugewiesene Pflegegrad ist zu niedrig?
In diesem Beitrag erfahren Sie, wie Sie gegen die Entscheidung der Pflegekasse vorgehen können, ob Sie dafür vor Gericht gehen müssen, ob Sie anwaltliche Hilfe benötigen und wie Sie diese finanzieren können, falls Sie sie sich nicht leisten können.
Widerspruchsfrist: Was muss ich beachten?
Das Wichtigste zuerst: Sie müssen die Widerspruchsfrist einhalten. Der Widerspruch gegen den Bescheid der Pflegekasse muss innerhalb eines Monats nach Erhalt bei der Pflegekasse eingegangen sein.
Es empfiehlt sich, den Widerspruch per einfachem Brief zu versenden. Ein Einschreiben ist in diesem Fall nicht sinnvoll, da es im Streitfall nicht als Beweis anerkannt wird.
Sollten Sie innerhalb der Frist keine Eingangsbestätigung erhalten, kontaktieren Sie die Pflegekasse telefonisch und bitten um eine schnelle Bestätigung. Wenn die Zeit drängt, können Sie den Widerspruch auch persönlich abgeben oder eine Vertrauensperson damit beauftragen.
Was muss mein Widerspruch enthalten?
Ihr Widerspruch muss schriftlich erfolgen, also per Post oder Fax. Eine E-Mail ist nicht ausreichend, es sei denn, sie ist mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Folgende Punkte sollten im Widerspruch enthalten sein:
- Name der pflegebedürftigen Person: Stellen Sie sicher, dass Ihr Name korrekt angegeben ist.
- Klare Formulierung des Widerspruchs: Schreiben Sie deutlich, dass Sie Widerspruch einlegen.
- Aktenzeichen und Datum des Bescheids: Diese Angaben helfen der Pflegekasse, Ihren Fall schnell zuzuordnen.
- Unterschrift: Ohne Ihre Unterschrift ist der Widerspruch ungültig.
Falls die pflegebedürftige Person nicht selbst unterschreiben kann, kann eine bevollmächtigte Person oder der rechtliche Betreuer dies übernehmen. Bei Minderjährigen müssen die Sorgeberechtigten unterschreiben; ab 16 Jahren können Jugendliche dies auch selbst tun.
Was tun, wenn die Widerspruchsfrist verpasst wurde?
Sollten Sie die Frist unverschuldet versäumt haben, können Sie einen “Antrag auf Wiedereinsetzung” stellen und gleichzeitig Widerspruch einlegen. Sie müssen darlegen und belegen, warum Sie die Frist nicht einhalten konnten. Falls Sie die Frist versäumt haben, ohne dass besondere Gründe vorliegen, können Sie immer noch einen Überprüfungsantrag stellen. Hier gibt es keine Frist, jedoch werden Leistungen maximal vier Jahre rückwirkend nachgezahlt.
Wie kann ich meinen Widerspruch begründen?
In der Begründung müssen Sie genau darlegen, welche Fehler im Pflegegutachten vorliegen. Dabei können folgende Fragen hilfreich sein:
- Gibt es Fehler bei der Gewichtung der Module?
- Haben Sie Rechenfehler entdeckt?
- Geht das Gutachten von falschen Tatsachen aus?
- Fehlen wichtige Punkte oder werden Probleme nicht ernst genug genommen?
- Gibt es logische Fehler im Gutachten?
Welche Unterlagen unterstützen meinen Widerspruch?
- Medizinische Dokumente: Arztbriefe, Atteste, Operationsberichte oder Entlassungsberichte können Ihre Argumente untermauern.
- Pflegetagebuch: Ein detailliertes Pflegetagebuch zeigt den tatsächlichen Pflegebedarf im Alltag. Eine Vorlage dafür finden Sie oft bei Pflegediensten oder Pflegeberatungsstellen.
- Ärztliche Unterstützung: Bitten Sie Ihren Arzt oder Ihre Ärztin um eine Stellungnahme.
- Pflegeberatung: Nutzen Sie die kostenlose Pflegeberatung durch Pflegestützpunkte oder Ihren Pflegedienst.
Ein eigenes Gutachten auf eigene Kosten erstellen zu lassen, ist meist nicht erforderlich, da das Gericht im Falle eines Prozesses ein unabhängiges Gutachten in Auftrag gibt.
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Ist anwaltliche Unterstützung notwendig?
Für den Widerspruch und eine eventuelle Klage beim Sozialgericht besteht kein Anwaltszwang. Sie können diese Schritte selbst durchführen. Dennoch kann anwaltliche Unterstützung sinnvoll sein, um auf Augenhöhe mit der Rechtsabteilung der Pflegekasse zu agieren und formale Fehler zu vermeiden.
Wann ist anwaltliche Hilfe empfehlenswert?
- Komplexe Rechtslage: Wenn Sie unsicher sind, ob Sie alle rechtlichen Aspekte korrekt erfassen.
- Vor Gericht: Obwohl kein Anwaltszwang besteht, kann ein Anwalt Ihre Chancen erhöhen.
- Bei Berufung oder Revision: Spätestens beim Bundessozialgericht benötigen Sie einen Anwalt.
Wie finanziere ich die Anwaltskosten?
Möglichkeiten der Kostenübernahme
- Rechtsschutzversicherung: Prüfen Sie, ob Ihre Versicherung sozialrechtliche Angelegenheiten abdeckt.
- Kostenrückerstattung: Bei erfolgreichem Widerspruch muss die Pflegekasse die notwendigen Anwaltskosten erstatten.
- Beratungshilfe: Wenn Sie geringe Einkünfte haben, können Sie Beratungshilfe beantragen. Gegen eine geringe Eigenbeteiligung erhalten Sie anwaltliche Unterstützung.
- Prozesskostenhilfe: Für das Gerichtsverfahren können Sie Prozesskostenhilfe beantragen, die Ihre Anwaltskosten deckt.
Wie beantrage ich Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe?
- Beratungshilfe: Beantragen Sie einen Berechtigungsschein beim Amtsgericht. Mit diesem können Sie einen Anwalt aufsuchen.
- Prozesskostenhilfe: Stellen Sie den Antrag direkt beim zuständigen Sozialgericht. Viele Anwälte unterstützen Sie dabei.
Was tun, wenn der Widerspruch abgelehnt wird?
Wenn Ihr Widerspruch abgelehnt wird, können Sie innerhalb eines Monats Klage beim Sozialgericht erheben. Die Klage muss schriftlich erfolgen und sollte das Aktenzeichen und Datum des Widerspruchsbescheids enthalten. Sie können die Klage auch persönlich zur Niederschrift beim Sozialgericht einreichen.
Wie geht es nach der Klage weiter?
- Sozialgericht: Das Gericht prüft Ihren Fall erneut.
- Berufung: Falls das Urteil nicht zu Ihren Gunsten ausfällt, können Sie Berufung beim Landessozialgericht einlegen.
- Revision: Eine weitere Überprüfung durch das Bundessozialgericht ist nur mit anwaltlicher Vertretung möglich.
Praxisbeispiel: Wie Herr Schmidt erfolgreich Widerspruch einlegt
Herr Schmidt, 78 Jahre alt, hat aufgrund von Mobilitätseinschränkungen und chronischen Erkrankungen einen Antrag auf einen Pflegegrad gestellt. Nach der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst erhielt er jedoch den Bescheid, dass ihm lediglich Pflegegrad 1 zuerkannt wird. Herr Schmidt ist enttäuscht, da er im Alltag deutlich mehr Unterstützung benötigt.
Schritt 1: Fristwahrenden Widerspruch einlegen
Herr Schmidt erhält den Bescheid am 5. April. Bereits am 10. April schreibt er einen Brief an seine Pflegekasse, in dem er ausdrücklich Widerspruch gegen den Bescheid vom 2. April einlegt. Er unterschreibt den Brief und sendet ihn per Post ab. Zur Sicherheit bittet er seine Tochter, bei der Pflegekasse anzurufen und den Eingang des Widerspruchs bestätigen zu lassen.
Schritt 2: Widerspruch begründen
Um den Widerspruch zu begründen, sammelt Herr Schmidt medizinische Unterlagen. Sein Hausarzt stellt ein Attest aus, das die Schwere seiner Erkrankungen dokumentiert. Zusätzlich führt Herr Schmidt über zwei Wochen ein Pflegetagebuch, in dem er alle Pflegetätigkeiten festhält.
Schritt 3: Unterstützung durch Pflegeberatung
Herr Schmidt wendet sich an einen Pflegestützpunkt. Eine Pflegeberaterin hilft ihm, die Widerspruchsbegründung zu formulieren. Sie geht mit ihm das Pflegegutachten durch und identifiziert Bereiche, in denen sein Pflegebedarf nicht ausreichend berücksichtigt wurde.
Schritt 4: Widerspruchsbegründung einreichen
Mit Unterstützung der Pflegeberaterin verfasst Herr Schmidt eine detaillierte Begründung. Er weist auf Fehler im Gutachten hin und fügt das Attest sowie das Pflegetagebuch als Anlagen bei. Die Unterlagen sendet er an die Pflegekasse.
Schritt 5: Neue Begutachtung und Ergebnis
Die Pflegekasse veranlasst eine erneute Begutachtung. Diesmal findet der Termin in Anwesenheit der Pflegeberaterin statt. Der Gutachter erkennt den höheren Pflegebedarf und empfiehlt Pflegegrad 3. Einige Wochen später erhält Herr Schmidt den entsprechenden Bescheid.
Fazit aus dem Praxisbeispiel
Das Beispiel von Herrn Schmidt zeigt, dass ein gut begründeter Widerspruch erfolgreich sein kann. Durch das Einhalten der Fristen, das Sammeln von Beweisen und die Inanspruchnahme von professioneller Beratung konnte er seinen Pflegegrad erhöhen und erhält nun die notwendige Unterstützung.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.