Pflegegeld muss auch rückwirkend gezahlt werden

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Beim Pflegegeld lohnt ein genauer Blick auf den sozialrechtlichen Begriff „rückwirkend“. In der sozialen Pflegeversicherung werden Leistungen grundsätzlich erst ab Antragstellung gewährt – nicht für Zeiten davor.

Wird der Antrag später bewilligt (weil die Begutachtung Zeit braucht oder ein Widerspruch Erfolg hat), erfolgt eine Nachzahlung für den Zeitraum seit dem maßgeblichen Antragsbeginn. Eine Zahlung für Monate vor Antragstellung ist im Regelfall ausgeschlossen. Rechtsgrundlage ist § 33 SGB XI.

Ab wann Pflegegeld-Leistungen beginnen

Das Gesetz ordnet an: Versicherte erhalten Pflegeleistungen auf Antrag. Leistungen werden „ab Antragstellung“ gewährt, frühestens ab dem Zeitpunkt, zu dem alle Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Wird der Antrag nicht im Monat des Eintritts der Pflegebedürftigkeit, sondern später gestellt, gelten die Leistungen ab dem ersten Tag des Antragsmonats.

Praktisch heißt das: Kein Geld für Zeiträume vor der Antragstellung; wohl aber Nachzahlung ab dem gesetzlich festgelegten Beginn (Tag der Antragstellung bzw. Erster des Antragsmonats, je nach Fall).

Erstantrag, Höherstufung, Widerspruch: Unterschiede beim Leistungsbeginn

Beim Erstantrag entsteht der Anspruch mit der Antragstellung – die spätere Bewilligung löst eine Nachzahlung für die seitdem „aufgelaufenen“ Monate aus. Bei einer Höherstufung gilt Entsprechendes: Das erhöhte Pflegegeld wird in der Regel ab dem Monat der Höherstufungs-Antragstellung gezahlt (nicht für frühere Monate).

Wird ein Antrag zunächst abgelehnt und im Widerspruch doch bewilligt oder der Pflegegrad angehoben, knüpft die Kasse den Beginn regelmäßig an den ursprünglichen Antrag, sodass für diese Zeit nachgezahlt wird. Hintergrund ist, dass § 33 SGB XI den Leistungsbeginn an die Antragstellung bindet.

Wenn die Begutachtung lange dauert: Fristen und 70-Euro-Pauschale

Die Pflegekasse muss in der Regel innerhalb von 25 Arbeitstagen über den Antrag entscheiden. Wird diese Frist überschritten, ist zusätzlich zur späteren Leistungsnachzahlung eine Pauschale von 70 Euro je begonnener Woche der Fristüberschreitung zu zahlen – eine Art Verzögerungsentschädigung.

Wichtig: Diese 70 Euro sind keine Pflegeleistung, sondern eine separate Zahlung wegen Fristversäumnisses. Ausnahmen sind möglich, etwa wenn die Kasse die Verzögerung nicht zu vertreten hat.

Auszahlung in der Praxis: Vorauszahlung und anteilige erste Überweisung

Bewilligtes Pflegegeld wird monatlich im Voraus, in der Regel am ersten Werktag des Monats, überwiesen. Nach einer Erstbewilligung oder Höherstufung erhält man zusätzlich die Nachzahlung für den Zeitraum seit dem maßgeblichen Antragsbeginn.

Ist der Antrag innerhalb eines laufenden Monats gestellt worden, erfolgt die erste Zahlung häufig anteilig für die Tage ab diesem Stichtag bis Monatsende; anschließend laufen die regulären Monatsbeträge im Voraus.

Seltene Ausnahme: Rückwirkung trotz fehlendem Antrag – der Herstellungsanspruch

Vom Regelfall gibt es eine enge, gerichtlich entwickelte Ausnahme: den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Er kann greifen, wenn ein Leistungsträger (oder zurechenbar eine Klinik im Entlassmanagement) seine Beratungs- oder Informationspflichten verletzt hat und es deshalb nicht oder verspätet zur Antragstellung kam.

Dann kann ausnahmsweise eine Rückwirkung über den Antragszeitpunkt hinaus in Betracht kommen. Das bleibt die Ausnahme, ist einzelfallabhängig und oft streitig.

Häufige Verwechslung: Verhinderungspflege & Co. können rückwirkend sein

Mit Pflegegeld werden oft andere Leistungen verwechselt. Verhinderungspflege etwa lässt sich – anders als Pflegegeld – bis zu vier Jahre rückwirkend abrechnen, weil Ansprüche auf Sozialleistungen regelmäßig erst nach vier Jahren verjähren.

Dafür müssen allerdings die Voraussetzungen erfüllt und Belege vorhanden sein. Das ändert nichts daran, dass Pflegegeld selbst grundsätzlich nicht für Zeiten vor Antragstellung gezahlt wird.

Antragstellung: Frühzeitig und formlos möglich – auch telefonisch

Damit kein Monat verloren geht, sollte der Antrag so früh wie möglich gestellt werden. Das ist formlos möglich – per Telefon, E-Mail, Fax oder Brief bei der Pflegekasse bzw. der privaten Pflege-Pflichtversicherung; sinnvoll ist ein nachweisbarer Zugang. Nach Antragseingang veranlasst die Kasse die Begutachtung (MD bzw. Medicproof).

Gilt das auch bei privater Pflege-Pflichtversicherung?

Ja. Private Pflege-Pflichtversicherer müssen für Feststellung der Pflegebedürftigkeit und Zuordnung zum Pflegegrad dieselben Maßstäbe wie die soziale Pflegeversicherung anwenden. Auch hier gilt: Antragserfordernis und Leistungsbeginn nach SGB XI. Die Begutachtung erfolgt durch Medicproof.

Fazit

Pflegegeld wird nicht „rückwirkend“ für Zeiten vor der Antragstellung gezahlt. Nachzahlungen gibt es ab Antrag (bzw. ab dem ersten Tag des Antragsmonats), sobald die Voraussetzungen festgestellt sind. Bei verzögerter Entscheidung kommt zusätzlich die 70-Euro-Pauschale in Betracht. Nur in seltenen Konstellationen fehlerhafter Beratung kann über den Herstellungsanspruch eine weitergehende Rückwirkung erreicht werden. Wer frühzeitig und nachweisbar beantragt, vermeidet Verluste.