Viele Beschäftigte schieben die Pflege der Eltern, des Partners oder eines Kindes vor sich her, weil sie eines fürchten: „Wenn ich das meinem Chef sage, bin ich den Job los.“ Genau in dieser Situation gibt es bereits heute einen sehr starken, aber kaum bekannten Schutz: den besonderen Kündigungsschutz bei Pflegezeit und Familienpflegezeit.
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Versteckter Schutzschirm: Was das Gesetz wirklich vorsieht
Die Basis sind zwei Gesetze: das Pflegezeitgesetz (PflegeZG) und das Familienpflegezeitgesetz (FPfZG). Sie regeln drei unterschiedliche Instrumente: Zum einen die kurzzeitige Arbeitsverhinderung bis zu zehn Arbeitstagen, um eine akute Pflegesituation zu organisieren – mit Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld.
Zum Zweiten die Pflegezeit mit bis zu sechs Monaten vollständiger oder teilweiser Freistellung von der Arbeit zur Pflege naher Angehöriger. Und zum Dritten die Familienpflegezeit mit bis zu 24 Monaten Teilzeit, in der Regel mit mindestens 15 Wochenstunden im Jahresdurchschnitt.
Für Beschäftigte ist wichtig, dass in allen drei Fällen ein besonderer Kündigungsschutz greifen kann, der dem Mutterschutz sehr ähnlich ist.
Kündigungsschutz: Ab Ankündigung und nicht erst ab Pflegebeginn
Der entscheidende Paragraf ist § 5 PflegeZG. Er stellt klar, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis von der wirksamen Ankündigung – höchstens jedoch zwölf Wochen vor dem angekündigten Beginn – bis zum Ende der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung oder Freistellung nicht kündigen darf. Über Verweisnormen im Familienpflegezeitgesetz gilt dieser Schutz auch für die Familienpflegezeit.
Der Schutz beginnt nicht erst, wenn die Pflegezeit tatsächlich startet, sondern schon, sobald die Pflegezeit oder Familienpflegezeit formell angekündigt ist, und zwar begrenzt auf maximal zwölf Wochen vor dem geplanten Beginn.
Während dieser Zeit ist eine Kündigung nur in Ausnahmefällen mit Zustimmung der zuständigen Landesbehörde zulässig, etwa bei besonders schweren Pflichtverletzungen oder bei einer Betriebsschließung.
Damit ergibt sich faktisch ein Kündigungsverbot mit behördlichem „Schutzwall“ – vielen Beschäftigten ist das schlicht nicht bekannt.
Anspruchsvoraussetzungen: Wer den Schutz nutzen kann
Der Kündigungsschutz ist an die Freistellungsansprüche gekoppelt. Die kurzzeitige Arbeitsverhinderung können alle Beschäftigten in Anspruch nehmen, unabhängig von der Betriebsgröße. Ein festgestellter Pflegegrad ist noch nicht zwingend erforderlich; eine ärztliche Bescheinigung, dass die Situation einer voraussichtlichen Pflegebedürftigkeit entspricht, reicht aus.
Die Pflegezeit besteht als Rechtsanspruch grundsätzlich in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten. Die Familienpflegezeit besteht als Rechtsanspruch in Betrieben mit mehr als 25 Beschäftigten (ohne Azubis).
In kleineren Betrieben ist Pflegezeit oder Familienpflegezeit nur per Vereinbarung mit dem Arbeitgeber möglich. Kommt eine solche Freistellung zustande, erstreckt sich der besondere Kündigungsschutz zumindest auf den vereinbarten Zeitraum der Freistellung.
Kaum bekannt, selten genutzt – warum das Thema so wichtig ist
Studien zeigen, dass nur ein kleiner Teil der pflegenden Angehörigen die gesetzlichen Freistellungsrechte überhaupt nutzt. Ein Bericht von 2024 kommt zu dem Ergebnis, dass viele Betroffene Pflegezeit und Familienpflegezeit gar nicht kennen oder für nicht zuständig halten, während andere vor Bürokratie und möglichen Konflikten im Job zurückschrecken.
Gleichzeitig berichten pflegende Angehörige, dass sie unter hohem Zeitdruck, beruflichem Stress und Existenzangst stehen; Pflege findet dann „irgendwie nebenbei“ statt. Genau hier liegt der Hebel dieses Themas:
Wer seine Rechte kennt, kann offen mit dem Arbeitgeber sprechen, statt Pflege zu verheimlichen. Der versteckte Kündigungsschutz nimmt vielen die Angst, dass Offenheit automatisch den Job kostet.
Für Beschäftigte mit ohnehin geringem Einkommen, befristeten Verträgen oder Parallelbezug von Bürgergeld ist das ein entscheidender Unterschied – zwischen kontrollierbarer Pflegephase und abruptem Jobverlust.
So funktioniert der Kündigungsschutz in der Praxis
Entscheidend ist die korrekte Ankündigung. Für die kurzzeitige Arbeitsverhinderung reicht der Hinweis, dass eine akute Pflegesituation vorliegt; die Information kann sehr kurzfristig erfolgen, da Pflegefälle oft plötzlich eintreten.
Für die Pflegezeit muss der Arbeitgeber spätestens zehn Arbeitstage vor Beginn schriftlich über Zeitraum, Umfang und die pflegebedürftige Person informiert werden.
Für die Familienpflegezeit gelten längere Ankündigungsfristen, in der Regel acht Wochen, ebenfalls in Textform und mit Angabe der geplanten Arbeitszeitreduzierung.
Ab dem Zugang dieser Ankündigung beim Arbeitgeber gilt der besondere Kündigungsschutz, zeitlich jedoch gedeckelt auf die schon erwähnten zwölf Wochen vor Beginn.
Für Beschäftigte ist außerdem wichtig, dass auch eine betriebsbedingte Kündigung in dieser Zeit grundsätzlich gesperrt ist. Versucht der Arbeitgeber dennoch zu kündigen, kann die Kündigung unwirksam sein. Die zuständige Arbeitsschutzbehörde muss einer Kündigung in der Schutzphase ausdrücklich zustimmen; ohne diese Genehmigung haben Beschäftigte gute Chancen, sich vor dem Arbeitsgericht zu wehren.
Kleinbetrieb, Befristung, Aufhebungsvertrag: Typische Stolperfallen
Der Kündigungsschutz wirkt stark, aber nicht grenzenlos. Für Betroffene sind drei Punkte entscheidend.
1. Kleinbetriebe: Besteht im Kleinbetrieb kein gesetzlicher Anspruch auf Pflegezeit oder Familienpflegezeit, kommt es auf die Vereinbarung mit dem Arbeitgeber an.
Wird eine Freistellung vereinbart, greift für diesen Zeitraum trotzdem der besondere Kündigungsschutz. Beschäftigte sollten die Vereinbarung daher schriftlich festhalten.
2. Befristete Verträge: Der besondere Kündigungsschutz verlängert keine Befristung. Läuft ein befristeter Vertrag aus, endet er grundsätzlich trotz Pflegezeit oder Familienpflegezeit.
Nur missbräuchliche Konstellationen, etwa sehr kurzfristige und ersichtlich vorgeschobene Befristungsverlängerungen, können im Einzelfall ein Thema für das Arbeitsgericht werden; das ist dann aber eine Frage des Einzelfalls und der Beweisbarkeit.
3. Aufhebungsverträge und „freiwillige Lösungen“: Der besondere Kündigungsschutz hindert nicht daran, dass Arbeitgeber Beschäftigte zu Aufhebungsverträgen drängen.
Wer in der Schutzphase unterschreibt, kann seine Rechte freiwillig aufgeben – oft ohne sich der Folgen bewusst zu sein, etwa Arbeitslosengeld-Sperrzeiten oder den Verlust von Kündigungsschutz. Hier ist es wichtig, nichts spontan zu unterschreiben und vorab Beratung zu suchen.
Kurzzeitige Arbeitsverhinderung: Kündigungsschutz auch bei den „10 Tagen“
Viele denken beim Kündigungsschutz nur an längere Pflegephasen. Tatsächlich umfasst § 5 PflegeZG ausdrücklich auch die kurzzeitige Arbeitsverhinderung nach § 2 PflegeZG, also jene bis zu zehn Arbeitstage, in denen Beschäftigte bei einem akuten Pflegefall der Arbeit fernbleiben dürfen.
Wer kurzfristig zu Mutter oder Partner ins Krankenhaus muss, um Pflege zu organisieren, steht nicht vollkommen schutzlos da. Ab der formellen Anzeige dieser kurzzeitigen Arbeitsverhinderung greift ebenfalls der besondere Kündigungsschutz, wenn auch hier wieder maximal zwölf Wochen vor Beginn.
Gerade in diesen ersten, chaotischen Tagen einer neuen Pflegesituation ist das wichtig: Niemand sollte in der Not entscheiden müssen, ob er im Krankenhaus bleibt oder im Büro erscheint, um die eigene Stelle nicht zu riskieren.
Fazit
Für die Praxis bedeutet der Kündigungsschutz, dass Beschäftigte die Pflege von Angehörigen früher und offener planen können, statt sie nebenbei und heimlich zu organisieren.
Wer in einer ohnehin prekären wirtschaftlichen Lage ist, gewinnt ein Stück Planbarkeit zurück: Pflege wird möglich, ohne dass sofort die Kündigung droht. In Konfliktsituationen mit dem Arbeitgeber entsteht eine bessere Verhandlungsposition, weil der Job nicht sofort angreifbar ist, während die Pflege geregelt wird.
Gleichzeitig zeigt die geringe Inanspruchnahme von Pflegezeit und Familienpflegezeit, dass der Schutz in der Realität noch viel zu wenig genutzt wird – oft schlicht aus Unwissenheit.
FAQ: Pflegezeit, Familienpflegezeit und Kündigungsschutz
1. Ab wann gilt der besondere Kündigungsschutz?
Der besondere Kündigungsschutz beginnt, sobald du Pflegezeit, Familienpflegezeit oder eine kurzzeitige Arbeitsverhinderung wirksam beim Arbeitgeber angekündigt hast – frühestens jedoch zwölf Wochen vor dem geplanten Beginn.
2. Gilt der Kündigungsschutz auch bei den 10 Tagen kurzzeitiger Arbeitsverhinderung?
Ja. Auch während der bis zu zehn Tagen, in denen du wegen eines akuten Pflegefalls der Arbeit fernbleibst, darf der Arbeitgeber grundsätzlich nicht kündigen, sobald du die Verhinderung angezeigt hast.
3. Darf mein Arbeitgeber mir in dieser Zeit trotzdem kündigen?
Nur in Ausnahmefällen und dann auch nur, wenn die zuständige Landesbehörde der Kündigung vorher zustimmt. Ohne diese Zustimmung ist die Kündigung in der Regel unwirksam.
4. Gilt der Kündigungsschutz auch im Kleinbetrieb?
Wenn es keinen gesetzlichen Anspruch auf Pflegezeit oder Familienpflegezeit gibt, kommt es auf die Vereinbarung mit dem Arbeitgeber an. Wird eine Freistellung vereinbart, greift für diesen Zeitraum trotzdem der besondere Kündigungsschutz.
5. Was ist, wenn der Arbeitgeber mir einen Aufhebungsvertrag anbietet?
Ein Aufhebungsvertrag kann den Kündigungsschutz aushebeln, weil du freiwillig auf Rechte verzichtest. Unterschreibe nichts spontan und hole dir vorher rechtliche Beratung.
6. Muss ich die Ankündigung schriftlich machen?
Für Pflegezeit und Familienpflegezeit ja: Du solltest den Antrag schriftlich bzw. in Textform stellen, mit Angaben zu Zeitraum, Umfang der Freistellung und der pflegebedürftigen Person. Nur so kannst du den Kündigungsschutz später im Zweifel nachweisen.




