Wer einen nahen Menschen pflegt, รผbernimmt hรคufig weit mehr als praktische Hilfe. Pflege organisiert den Alltag neu, verschiebt Prioritรคten, frisst Zeit, belastet emotional und bringt nicht selten eine Frage mit, รผber die viele Familien erst sprechen, wenn es schon brennt: Wie lรคsst sich Pflege leisten, ohne beruflich und finanziell abzustรผrzen?
Genau an dieser Stelle setzt die Idee eines Familienpflegegeldes an, das die Bundesregierung perspektivisch einfรผhren mรถchte. Gedacht ist es als Lohnersatzleistung fรผr pflegende Angehรถrige, รคhnlich dem Elterngeld. Wer die Arbeitszeit reduziert oder vorรผbergehend aus dem Beruf aussteigt, soll nicht komplett ohne Einkommen dastehen.
Die Debatte ist nicht neu, gewinnt aber spรผrbar an Tempo. In der aktuellen politischen Vereinbarung ist festgehalten, dass Pflegezeit- und Familienpflegezeitregelungen zusammengefรผhrt, Freistellungen flexibler gestaltet und der Kreis der Angehรถrigen erweitert werden sollen.
Zudem soll geprรผft werden, wie ein Familienpflegegeld eingefรผhrt werden kann. Damit ist die Richtung beschrieben, nicht jedoch der konkrete Weg. Ein Starttermin ist offen, und die politischen wie finanziellen Hรผrden sind erheblich.
Wann soll das Familienpflegegeld eingefรผhrt werden?
Es gibt derzeit keinen konkreten beschlossenen Beginn fรผr ein Familienpflegegeld. In der jรผngsten, sehr klaren Stellungnahme der Bundesregierung auf eine Anfrage der Partei “Die Linke” (Drucksache 21/2702, insbesondere zu den Fragen 15/16 sowie zur Einbindung in den โZukunftspakt Pflegeโ) heiรt es, der Koalitionsvertrag sehe lediglich eine Prรผfung vor, wie ein Familienpflegegeld โperspektivischโ eingefรผhrt werden kรถnne.
รber Ausgestaltung und zeitliche Umsetzung sei noch nicht entschieden, so die Bundesregierung. Die Frage werde unter anderem in der Bund-Lรคnder-Arbeitsgruppe โZukunftspakt Pflegeโ beraten.
Solange es weder einen Kabinettsbeschluss noch einen Referentenentwurf oder einen Gesetzentwurf gibt, bleibt das Familienpflegegeld ein Vorhaben โin Arbeitโ, aber ohne belastbares Datum. Aussagen wie โfrรผhestens 2026โ sind damit eher eine Einordnung aus Debatten und Planungslogik โ kein offiziell festgelegter Start.
Konkreter wird es erst, wenn die Bundesregierung die Ergebnisse des โZukunftspakt Pflegeโ in einen verbindlichen Gesetzgebungsfahrplan รผberfรผhrt, also einen Entwurf vorlegt, der im Bundestag beraten wird und zugleich eine Regelung zum Inkrafttreten enthรคlt. Bis dahin bleibt es bei der Prรผfung und den laufenden Beratungen.
Was es aber heute schon gibt
Bereits jetzt existieren Regelungen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Sie sind wichtig, wirken in der Praxis aber oft wie ein Werkzeugkasten, in dem ausgerechnet das Teil fehlt, das in der Krise am meisten gebraucht wird: planbare finanzielle Absicherung รผber mehr als wenige Tage.
Fรผr akute Situationen gibt es die Mรถglichkeit einer kurzfristigen Arbeitsverhinderung, die mit dem Pflegeunterstรผtzungsgeld verbunden ist. Diese Leistung soll einen spontanen Lohnausfall abfedern, wenn plรถtzlich Pflege organisiert oder sichergestellt werden muss. Seit 2024 besteht ein kalenderjรคhrlicher Anspruch von bis zu zehn Arbeitstagen je pflegebedรผrftiger Person. Das hilft im Akutfall, lรถst aber nicht das Problem lรคngerer Pflegephasen.
Fรผr lรคngere Zeitrรคume gibt es die Pflegezeit, die eine vollstรคndige oder teilweise Freistellung bis zu sechs Monaten ermรถglicht. Zusรคtzlich existiert die Familienpflegezeit, die eine teilweise Freistellung รผber einen lรคngeren Zeitraum erlaubt, allerdings bei einer Mindestarbeitszeit.
Beide sind mit einem zinslosen Darlehen verknรผpft, das รผber das Bundesamt fรผr Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben beantragt werden kann.
Das Darlehen kann den Lebensunterhalt abfedern, ist aber eben ein Kredit, der spรคter zurรผckgezahlt werden muss. Genau das empfinden viele Betroffene als Hemmschwelle. Wer ohnehin unter Druck steht, will nicht zusรคtzlich Schulden aufbauen, um eine gesellschaftlich notwendige Aufgabe zu erfรผllen.
Hinzu kommen Zugangshรผrden. Ansprรผche hรคngen unter anderem von der Betriebsgrรถรe ab. In kleineren Betrieben sind viele Lรถsungen auf freiwillige Vereinbarungen angewiesen. Das kann gut funktionieren, wenn Arbeitgeber mitziehen, es kann aber auch bedeuten, dass ausgerechnet Personen in weniger abgesicherten Beschรคftigungsverhรคltnissen schlechtere Karten haben.
Was das Familienpflegegeld sein soll โ und was es nicht ist
Das Familienpflegegeld wรคre keine Erhรถhung des klassischen Pflegegeldes aus der Pflegeversicherung. Das Pflegegeld erhalten Pflegebedรผrftige selbst, wenn sie zu Hause gepflegt werden und die Pflege organisieren. Das Familienpflegegeld wรคre demgegenรผber eine einkommensbezogene Lohnersatzleistung fรผr die pflegende Person. Es wรผrde also nicht die Pflegeleistung โbezahlenโ, sondern den Verdienstausfall dรคmpfen, der durch Pflege entsteht.
In der รถffentlichen Debatte wird dabei hรคufig eine Orientierung am Elterngeld genannt. Verbรคnde haben als grobe Richtung eine Ersatzrate von 65 Prozent des letzten Nettoeinkommens ins Spiel gebracht, ergรคnzt um Mindest- und Hรถchstbetrรคge. Genannt werden beispielsweise 300 Euro als Untergrenze und 1.800 Euro als Obergrenze.
Das sind Vorschlรคge aus der Debatte, nicht festgeschriebene Eckwerte. Gerade hier zeigt sich, wie viel politisch noch offen ist: Wer soll anspruchsberechtigt sein, wie lange, in welcher Hรถhe, finanziert aus welchem Topf, und nach welchen Kriterien wird sozial gestaffelt?
Anspruch, Dauer und Hรถhe,
Der Anspruchskreis entscheidet darรผber, ob das Familienpflegegeld in der Lebensrealitรคt ankommt oder an formalen Definitionen hรคngen bleibt. Der unabhรคngige Beirat zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf hat in seinen Empfehlungen bereits darauf hingewiesen, dass moderne Pflegearrangements hรคufig รผber klassische Verwandtschaftsgrade hinausgehen.
Pflege wird nicht nur von Kindern fรผr Eltern geleistet, sondern auch von Patchwork-Familien, Lebenspartnern, Freundinnen, Nachbarn oder Wahlverwandtschaften. Wenn ein Familienpflegegeld zu eng definiert wird, entsteht ein Gerechtigkeitsproblem, weil es reale Sorgebeziehungen ausblendet.
Die Dauer ist ebenso heikel. Pflege verlรคuft selten in klar abgegrenzten zwรถlf Wochen. Einige Pflegephasen sind kurz und intensiv, andere ziehen sich รผber Jahre, wieder andere sind wechselhaft, etwa bei Demenz oder chronischen Erkrankungen.
Ein Lohnersatz รผber wenige Wochen kann Luft verschaffen, kรถnnte aber an den lรคngeren Belastungsstrecken vorbeigehen. Ein sehr langer Bezugszeitraum wiederum macht die Leistung teuer und erhรถht Mitnahmeeffekte. Hier prallen sozialpolitische Zielsetzungen und fiskalische Realitรคt aufeinander.
Die Hรถhe ist besonders sensibel. Eine niedrige Pauschale wรผrde zwar Kosten begrenzen, wรผrde aber gerade fรผr Menschen mit mittleren Einkommen wenig Wirkung entfalten, wenn eine Arbeitszeitreduzierung hohe Einbuรen bedeutet. Eine reine Einkommensersatzlogik birgt umgekehrt das Risiko, dass hรถhere Einkommen deutlich stรคrker profitieren als niedrigere. Deshalb wird รผber Mindest- und Hรถchstgrenzen sowie รผber soziale Staffelungen gesprochen.
Ob das Familienpflegegeld ab 2026 oder spรคter kommt, ist offen
Ob das Familienpflegegeld ab 2026 oder spรคter kommt, ist offen. Sicher ist nur: Der Druck wรคchst, weil die Pflegezahlen steigen und der Bedarf an hรคuslicher Unterstรผtzung weiter zunehmen wird.
Wenn die Reform gelingt, kann sie Familien nicht nur finanziell entlasten, sondern auch Arbeitsleben und Pflege realistischer miteinander vereinbaren helfen. Wenn sie misslingt, bleibt es bei der bekannten Schieflage: Pflege als privates Risiko, getragen von einzelnen, oft mit hohen Folgekosten fรผr Gesundheit, Einkommen und Chancen.




