Mit zunehmendem Grad der Behinderung steigt meistens die Wahrscheinlichkeit, auf Pflege angewiesen zu sein. Die Zuteilung eines Pflegegrades kann hierbei helfen, den Alltag zu erleichtern und Zugang zu wichtigen Leistungen der Pflegeversicherung zu erhalten.
Inhaltsverzeichnis
Definition und Bedeutung des Pflegegrades
Der Pflegegrad dient als Maß für den Grad der Selbstständigkeit einer Person und bestimmt den Umfang der Leistungen, die von der Pflegekasse bereitgestellt werden. Es existieren fünf Pflegegrade, die unterschiedliche Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit abbilden:
- Pflegegrad 1: Geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
- Pflegegrad 2: Erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
- Pflegegrad 3: Schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
- Pflegegrad 4: Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
- Pflegegrad 5: Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung
Seit der Reform im Jahr 2017, bei der die Pflegestufen durch Pflegegrade ersetzt wurden, werden auch Menschen mit psychischen oder geistigen Behinderungen angemessener berücksichtigt.
Unterschied zwischen Schwerbehinderung und Pflegebedürftigkeit
Eine Schwerbehinderung allein bedeutet nicht automatisch, dass eine Person pflegebedürftig ist. Pflegebedürftigkeit liegt vor, wenn aufgrund von körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen die Selbstständigkeit so weit eingeschränkt ist, dass Hilfe im Alltag erforderlich ist.
Voraussetzungen für die Zuteilung eines Pflegegrades
Um einen Pflegegrad zu erhalten, müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein:
- Erhebliche Einschränkung der Selbstständigkeit: Die Pflegebedürftigkeit muss einen bestimmten Schweregrad aufweisen, der im § 15 SGB XI festgelegt ist. Die Einstufung erfolgt anhand eines Punktesystems, das die Selbstständigkeit in verschiedenen Lebensbereichen bewertet.
- Dauerhaftigkeit der Pflegebedürftigkeit: Die Beeinträchtigungen müssen voraussichtlich für mindestens sechs Monate bestehen.
- Versicherungsrechtliche Voraussetzungen: In den letzten zehn Jahren vor der Antragstellung müssen mindestens zwei Jahre Beiträge zur Pflegeversicherung gezahlt worden sein, entweder durch eigene Versicherung oder über eine Familienversicherung.
Schritte zur Beantragung eines Pflegegrades
- Kontaktaufnahme mit der Pflegekasse: Der erste Schritt besteht darin, den “Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung” bei der zuständigen Pflegekasse anzufordern und vollständig auszufüllen.
- Einreichen des Antrags: Nach dem Ausfüllen wird der Antrag an die Pflegekasse zurückgesendet. Es ist wichtig, alle Angaben korrekt und vollständig zu machen, um Verzögerungen zu vermeiden.
- Begutachtung durch den Medizinischen Dienst: Die Pflegekasse beauftragt den Medizinischen Dienst (bei gesetzlich Versicherten) oder die MEDICPROOF GmbH (bei Privatversicherten) mit der Durchführung einer Pflegebegutachtung.
- Durchführung der Pflegebegutachtung: Ein Gutachter besucht den Antragsteller in dessen häuslichem Umfeld, um den Grad der Selbstständigkeit in verschiedenen Lebensbereichen zu beurteilen.
- Entscheidung der Pflegekasse: Anhand des Gutachtens entscheidet die Pflegekasse über die Zuteilung des Pflegegrades und informiert den Antragsteller schriftlich innerhalb von 25 Arbeitstagen nach Antragstellung.
Die Pflegebegutachtung und ihre Module
Die Pflegebegutachtung erfolgt anhand von sechs Modulen, die verschiedene Aspekte der Selbstständigkeit bewerten:
- Mobilität: Beurteilt wird die Fähigkeit, sich fortzubewegen und die Körperhaltung zu ändern.
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Hier geht es um Orientierung, Verständnis und Kommunikation.
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: Bewertet werden Verhaltensauffälligkeiten und psychische Belastungen.
- Selbstversorgung: Untersucht wird die Fähigkeit zur Körperpflege, Ernährung und Ausscheidung.
- Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen: Hier wird betrachtet, wie selbstständig medizinische Maßnahmen durchgeführt werden können.
- Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Bewertet wird die Fähigkeit, den Tagesablauf zu strukturieren und soziale Kontakte zu pflegen.
Aus der Bewertung dieser Module ergibt sich ein Punktwert, der den entsprechenden Pflegegrad festlegt:
- 12,5 bis unter 27 Punkte: Pflegegrad 1
- 27 bis unter 47,5 Punkte: Pflegegrad 2
- 47,5 bis unter 70 Punkte: Pflegegrad 3
- 70 bis unter 90 Punkte: Pflegegrad 4
- 90 bis 100 Punkte: Pflegegrad 5
Vorbereitung auf die Pflegebegutachtung
Eine sorgfältige Vorbereitung kann den Ablauf der Begutachtung erleichtern:
- Dokumente bereithalten: Schwerbehindertenausweis, ärztliche Befunde, Krankenhausberichte und Medikamentenpläne sollten vorliegen.
- Pflegetagebuch führen: Eine Aufzeichnung des täglichen Pflegebedarfs kann dem Gutachter ein umfassendes Bild vermitteln.
- Hilfsmittel auflisten: Eine Übersicht über bereits genutzte Hilfsmittel zeigt den bestehenden Unterstützungsbedarf.
- Anwesenheit einer vertrauten Person: Eine Begleitung kann während der Begutachtung hilfreich sein, um zusätzliche Informationen zu geben.
Leistungen bei zugeteiltem Pflegegrad
Je nach Pflegegrad stehen verschiedene Leistungen der Pflegeversicherung zur Verfügung:
- Pflegegeld: Finanzielle Unterstützung für die Pflege durch Angehörige oder ehrenamtliche Helfer.
- Pflegesachleistungen: Übernahme der Kosten für ambulante Pflegedienste.
- Entlastungsbetrag: Monatlicher Betrag für Angebote zur Unterstützung im Alltag.
- Verhinderungspflege: Finanzierung einer Ersatzpflege, wenn die Pflegeperson verhindert ist.
- Kurzzeitpflege: Temporäre stationäre Pflege in einer Pflegeeinrichtung.
- Pflegehilfsmittel: Bereitstellung von Hilfsmitteln zum Verbrauch oder technischen Hilfsmitteln.
- Wohnumfeldverbessernde Maßnahmen: Zuschüsse für Umbaumaßnahmen zur Erleichterung der Pflege zu Hause.
Nicht alle Leistungen stehen ab Pflegegrad 1 zur Verfügung. Beispielsweise können Pflegegeld und Pflegesachleistungen erst ab Pflegegrad 2 in Anspruch genommen werden.
Leistungen | PG 1 | PG 2 | PG 3 | PG 4 | PG 5 |
Pflegegeld (monatlich) | – | 332€ | 573€ | 765€ | 947€ |
Pflegesachleistungen (monatlich) | – | 761€ | 1.432€ | 1.778€ | 2.200€ |
Entlastungsbetrag (monatlich) | 125€ | 125€ | 125€ | 125€ | 125€ |
Pflegehilfsmittel zum Verbrauch (monatlich) | bis zu 40 € | bis zu 40 € | bis zu 40 € | bis zu 40 € | bis zu 40 € |
Hausnotruf (monatlich) | 25,50€ | 25,50€ | 25,50€ | 25,50€ | 25,50€ |
Verhinderungspflege (jährlich) | – | 1.612€ | 1.612€ | 1.612€ | 1.612€ |
Kurzzeitpflege (jährlich) | – | 1.774€ | 1.774€ | 1.774€ | 1.774€ |
Tages- und Nachtpflege (monatlich) | – | 689€ | 1.298€ | 1.612€ | 1.995€ |
Anpassung am Wohnraum (je Maßnahme) | 4.000€ | 4.000€ | 4.000€ | 4.000€ | 4.000€ |
DiPA (monatlich) | 50€ | 50€ | 50€ | 50€ | 50€ |
Wohngruppenzuschuss (monatlich) | 214€ | 214€ | 214€ | 214€ | 214€ |
Vollstationäre Pflege (monatlich) | – | 770€ | 1.262€ | 1.775€ | 2.005€ |
Besonderheiten bei der Begutachtung von Kindern
Bei Kindern unter 18 Monaten wird automatisch ein Pflegegrad höher anerkannt, um den erhöhten Pflegeaufwand zu berücksichtigen. Ab dem 11. Lebensjahr erfolgt die Begutachtung nach den gleichen Kriterien wie bei Erwachsenen.
Tipps für den Umgang mit Pflegegrad und Schwerbehinderung
- Beratungsangebote nutzen: Pflegestützpunkte und Pflegeberatungsstellen bieten Unterstützung bei Fragen rund um Pflegegrad und Leistungen.
- Rechtzeitig handeln: Frühzeitige Antragstellung sichert zeitnah den Zugang zu Leistungen.
- Anspruch auf Schwerbehindertenausweis prüfen: Ein Schwerbehindertenausweis kann zusätzliche Vorteile und Nachteilsausgleiche bieten.
- Kombination von Leistungen: Unterschiedliche Leistungen können kombiniert werden, um den individuellen Bedarf abzudecken.
- Widerspruchsmöglichkeiten kennen: Bei Ablehnung oder zu niedrigem Pflegegrad besteht die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen.
- Über den Autor
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht, Gesundheitsprävention sowie bei gesellschaftspolitischen Themen. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und engagiert sich politisch für Armutsbetroffene.