2022 waren in Deutschland 600.000 Menschen zumindest zeitweise obdachlos. Das waren 58 Prozent mehr als 2021. Rund ein Viertel davon sind sind Kinder und Jugendliche. Besonders betroffen sind Menschen ohne deutschen Pass. Der Hauptgrund für das Leben auf der Straße sind die flächendeckend steigenden Mieten.
Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit
Als wohnungslos gilt jemand, der kein eigenes Mietverhältnis hat. Bisweilen kommen diese Menschen bei Freunden oder Bekannten unter. Obdachlos ist jemand, der kein festes Dach über dem Kopf, also keine Wohnung hat. In der Realität sind die Grenzen zwischen dem einen und dem anderen indessen fließend.
Hoher Anstieg und hohe Dunkelziffer
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) zählte am 30. Juni 2022 447.000 Wohnungslose – im Vergleich zu 268.000 zum Stichtag im Jahr zuvor. Das waren sogar 67 Prozent mehr. Da zeitweilige Obdachlosigkeit nicht einfach zu erfassen ist, liegt die Dunkelziffer weit höher.
Nicht-Deutsche sehr häufig betroffen
Besonders betroffen sind Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Bei deutschen Staatsbürger/innen liegt der Anstieg bei fünf Prozent, bei Menschen ohne deutschen Pass stieg die Zahl der Wohnungslosen auf 118 Prozent. 71 Prozent der Obdachlosen sind keine deutschen Staatsbürger/innen.
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Ohne Arbeit auf der Straße
Oliver Nöll, Sozialstadtrat in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg sieht ein Problem in fehlenden Sozialleistungen: „Viele Menschen aus meist osteuropäischen Ländern sind hier nicht sozialhilfeberechtigt. Wer aus Osteuropa zum Arbeiten herkommt und keinen Job findet, landet schnell auf der Straße.“
Falsch wäre es dennoch, Obdachlosigkeit als „Ausländerproblem“ anzusehen. So erklärt die Geschäftsführerin der BAGW, Werena Rosenke: „Inflation, gestiegene Kosten und steigende Mieten belasten einkommensschwache Haushalte in Deutschland.
Dies führt zu (Energie-)Armut, Mietschulden und Wohnungsverlust. Besonders gefährdete Gruppen sind einkommensarme Ein-Personen-Haushalte, Alleinerziehende und kinderreiche Paare. Der fehlende bezahlbare Wohnraum ist und bleibt der Hauptgrund für die Wohnungsnot in Deutschland.“
Mietexplosion und Inflation
Die rapide steigenden Mieten und die Inflation gelten als Hauptgründe, warum Menschen wohnungslos werden. 57 Prozent der Wohnungslosen standen nach einer Kündigung auf der Straße, bei 21 Prozent waren Miet- und Energieschulden die Ursache. 20 Prozent hatten Konflikte im Wohnumfeld, und bei 16 Prozent waren Trennungen in Beziehungen der Grund für den Verlust der Wohnung.
Hilfsorganisationen sehen mehr und mehr Obdachlose
In Berlin berichten Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen, dass die Zahl der Obdachlosen, mit denen sie es in der Praxis zu tun haben, in der letzten Zeit massiv gestiegen sei. So versorgte die Berliner Stadtmission in den Übernachtungen der Kältehilfe im vergangenen Winter 3.700 Obdachlose, im Winter zuvor waren es 2.700 gewesen. Eine ähnliche Zunahme ist aktuell auch in Berliner Tagestreffs deutlich.
Nicht nur ein Berlin-Problem
Die Zunahme der Obdachlosigkeit ist ein bundesweites Problem und betrifft nicht nur bekannte Brennpunkte wie bestimmte Bezirke Berlins. So gab es laut 2023 auch in Baden-Württemberg lauf offiziellen Zahlen des Sozialministeriums ungefähr 76.500 Menschen ohne Wohnung. In Berlin schätzen derweil Mitglieder von Hilfsorganisationen, dass die wirkliche Zahl der Menschen ohne Wohnung rund fünfmal so hoch ist wie die offiziell genannte.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.