Längste Einzahlung gleich höchste Rente: Hier liegt ein Denkfehler

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Wer sein gesamtes Arbeitsleben Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlt, vermutet häufig, die höchste monatliche Rente gäbe es bei Eintritt in die „normale“ Altersrente zum gesetzlichen Rentenalter.

Dieser Gedanke klingt erst einmal logisch: Längere Beitragszeit, mehr Entgeltpunkte, folglich eine höhere Rente. Selbst wenn es vorgezogene, abschlagsfreie Varianten gibt, fehlen dort in der Theorie zusätzliche Jahre, in denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber Beiträge leisten könnten. In der Praxis sieht das Bild jedoch anders aus.

Durchschnittswerte und Selektionseffekte

Aus der Praxisberatung und aus statistischen Übersichten ergibt sich ein gegenläufiges Muster: Im Durchschnitt fällt die Regelaltersrente am niedrigsten aus. Höher liegen regelmäßig die Altersrente für besonders langjährig Versicherte (nach 45 Jahren Wartezeit), gefolgt von der Altersrente für schwerbehinderte Menschen und der Altersrente für langjährig Versicherte (frühestens ab 63 mit Abschlägen).

Dieses Ergebnis irritiert viele zunächst, erklärt sich aber durch einen starken Selektionseffekt: In der Regelaltersrente finden sich besonders viele Versicherte, die die längeren Wartezeiten für eine vorgezogene Rente nicht erfüllen und daher erst zum Regelalter einsteigen – oft mit vergleichsweise kurzen oder unterbrochenen Erwerbsbiografien und entsprechend geringeren Entgeltpunkten.

Wartezeiten: Was hinter 5, 35 und 45 Jahren steckt

Entscheidend für den Zugang zu den verschiedenen Rentenarten sind Wartezeiten. Für die Regelaltersrente reichen fünf Jahre, die in der Regel schnell erreicht sind, auch wenn die Erwerbszeit lückenhaft war.

Für die vorgezogenen Varianten sind mindestens 35 Jahre erforderlich; angerechnet werden dabei nicht nur klassische Beschäftigungszeiten, sondern auch bestimmte Zeiten wie etwa Kindererziehung oder Phasen der Krankheit.

Die besonders privilegierte abschlagsfreie Variante setzt sogar 45 Jahre voraus. Je höher die Wartezeit, desto eher handelt es sich um Versicherte mit langen, oft nahezu durchgehenden Erwerbsverläufen – mit entsprechend mehr Entgeltpunkten und damit höheren durchschnittlichen Renten.

Warum die Regelaltersrente im Schnitt hinten liegt

Die niedrigen Durchschnittsbeträge in der Regelaltersrente haben daher weniger mit einem „Nachteil“ der Rentenart selbst zu tun als mit der Zusammensetzung der Gruppe. Wer erst zum Regelalter in Rente geht, tut das häufig nicht, weil es finanziell die beste Variante ist, sondern weil die längeren Wartezeiten anderer Rentenarten nicht erfüllt wurden.

In dieser Gruppe finden sich überproportional viele mit Teilzeitphasen, längeren Erwerbsunterbrechungen oder insgesamt geringeren beitragspflichtigen Einkommen. All das reduziert jedoch die Entgeltpunkte und drückt die Durchschnittsrenten nach unten.

45 Jahre Wartezeit: Warum diese Rente häufig vorne liegt

Die Altersrente für besonders langjährig Versicherte gilt als der „starke“ Durchschnittsgewinner. Sie steht für Lebensläufe mit sehr langer und oft stabiler Erwerbstätigkeit. Solche Biografien bringen naturgemäß viele Entgeltpunkte, weil über Jahrzehnte regelmäßig Beiträge geflossen sind.

Dass in dieser Rentenart die durchschnittlichen Monatsbeträge deutlich höher ausfallen, folgt also weniger aus einem besonderen gesetzlichen „Bonus“, sondern aus den dahinterstehenden Erwerbsverläufen, die in Summe mehr Punkte auf dem Rentenkonto ergeben.

Schwerbehindertenrente vs. Rente für langjährig Versicherte

Die Altersrente für schwerbehinderte Menschen ist an besondere gesundheitliche Voraussetzungen geknüpft. Sie kann vorzeitig in Anspruch genommen werden, teils mit Abschlägen, teils – je nach individueller Konstellation – günstiger.

Im Durchschnitt liegt sie vor der Regelaltersrente, was ebenfalls mit der Struktur der Anspruchsberechtigten zu tun hat: Viele dieser Versicherten haben trotz gesundheitlicher Einschränkungen langjährige Erwerbszeiten vorzuweisen, die sich in den Rentenpunkten widerspiegeln.

Die Altersrente für langjährig Versicherte ist die Variante, die – vereinfacht gesagt – ab 63 möglich ist, allerdings grundsätzlich mit Abschlägen.

Dass sie im Mittel dennoch über der Regelaltersrente liegt, lässt sich ebenfalls mit den Biografien erklären: Wer 35 Jahre Wartezeit zusammenbringt, hat häufig mehr Punkte als viele Neurentnerinnen und -rentner in der Regelaltersrente, die gerade so die Mindestwartezeit erreichen.

Die rechnerischen Abschläge mindern zwar den Monatsbetrag, heben ihn aber nicht zwingend unter das durchschnittliche Niveau der Regelaltersrente, wenn die zugrunde liegenden Entgeltpunkte höher sind.

Theorie gegen Praxis: Der Denkfehler hinter der „längsten Einzahlung“

Die verbreitete Annahme „längste Einzahlung = höchste Rente“ verkennt, dass Durchschnittswerte immer Ausdruck einer Gruppenzusammensetzung sind. Wäre die Gruppe der Regelaltersrentnerinnen und -rentner ausschließlich mit Personen besetzt, die ohne Unterbrechungen von der Ausbildung bis zum Rentenalter voll erwerbstätig waren, lägen deren Renten im Durchschnitt sehr hoch.

In der amtlichen Statistik wird eine solche „Ideal-Kohorte“ jedoch nicht separat ausgewiesen. Näherungsweise abgebildet wird sie durch die Gruppe der besonders langjährig Versicherten, die – wenig überraschend – im Mittel die höchsten Beträge erzielt.

Was das für die persönliche Entscheidung bedeutet

Die statistische Rangfolge ersetzt keine individuelle Berechnung. Wer die Wahl zwischen Rentenarten hat, sollte die eigene Biografie, die vorhandenen Entgeltpunkte, mögliche Abschläge und persönliche Faktoren wie Gesundheit, Arbeitsbelastung und Planungssicherheit zusammen betrachten.

Es ist sinnvoll, die Wartezeiten sauber zu prüfen, Kindererziehungs- und andere Anrechnungszeiten vollständig erfassen zu lassen und die finanziellen Auswirkungen eines früheren oder späteren Eintritts konkret durchrechnen zu lassen.

Nicht selten zeigt sich, dass eine vermeintlich „spätere“ Rente mit zusätzlichen Beitragsjahren weniger bringt als erwartet – oder umgekehrt, dass eine vorgezogene Rente trotz Abschlägen gut tragfähig ist, weil der zugrunde liegende Punktestand solide ist.

Die „höchste Rente“ ist statistisch – Ihre Rente ist individuell

Die Frage „Welche Rentenart bringt am meisten Geld?“ lässt sich statistisch beantworten: Im Durchschnitt führt die Altersrente für besonders langjährig Versicherte das Feld an; die Regelaltersrente liegt am Ende.

Das erklärt sich aus Selektion und Erwerbsbiografien, nicht aus einem systematischen Vor- oder Nachteil der Rentenarten selbst. Für die eigene Entscheidung zählt am Ende nicht der Durchschnitt, sondern das persönliche Rentenkonto, die erfüllten Wartezeiten und die Lebensplanung. Wer diese Aspekte nüchtern zusammendenkt, findet die Variante, die fachlich stimmig ist – und zum eigenen Leben passt.