Ein “Jobturbo” soll die Vermittlung von Leistungsbeziehern beim Bürgergeld in Arbeit beschleunigen. Personalräte der Jobcenter kritisierten diese Praxis jetzt in einem Schreiben scharf.
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Die zweite Kritik innerhalb einer Woche
Kurz zuvor hatten die Personalräte der Jobcenter Finanzminster Christian Lindner (FDP) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kritisiert, die Jobcenter “endgültig kaputt zu sparen”.
In einem Schreiben vom 31. Mai 2024 werfen die Mitarbeiter sogar vor, der “Jobturbo” sorge für eine “umgekehrte Diskriminierung”. Dieses Schreiben richtete sich an Andrea Nahles, die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, an Arbeitsminister Heil sowie an den Landkreistagspräsidenten Reinhard Sager.
“Jobturbo verfehlt sein Ziel”
Der im Herbst 2023 eingeführte “Jobturbo” verfehle sein Ziel. Vermittelt würden nämlich vor allem Helferjobs. Deren positive Effekte seien nur kurzfristig. Landfristig könnte so der Fachkräftemangel nicht behoben werden.
Laut Moritz Duncker, dem Vorsitzenden der Personalräte der Jobcenter, gebe es keinen Helfertätigkeitsmangel, sondern einen Fachkräftemangel. Dies erklärte er gegenüber dem Spiegel. Sinnvoller sei eine langfristige Qualifikation, besonders von Geflüchteten.
“Umgekehrte Diskriminierung”
Die Mitarbeiter der Jobcenter sehen zudem eine “umgekehrte Diskriminierung”. So müssten Geflüchtete aus der Ukraine und acht weiteren Herkunftsländern alle sechs Wochen vorgeladen werden. Infolge des Personalmangels der Jobcenter und den fehlenden finanziellen Mitteln bekämen andere Leistungsbezieher deutlich weniger Termine.
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Verstoß gegen die Gleichbehandlung
Mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz sei dies nicht zu vereinbaren. Wörtlich heißt es: „Spätestens, wenn der irrationale zentrale Druck aber dazu führt, dass (…) vor Ort Maßnahmen nur noch für Leistungsberechtigte der neun Hauptherkunftsländer konzipiert (…) werden, bewegen wir uns im Bereich der „umgekehrten Diskriminierung“ (…).“
Harte Worte
Die Personalräte unterstellen Heil, Nahles und Sager eine Kosmetik der Vermittlungszahlen. Es handle sich um einen “nervös herbeigeführten schönen Datensatz”. Dieser könne aber keine nachhaltige Sozial- und Arbeitsmarktintegration ersetzen. Die Dokumentation der Fälle würde schöngemalt.
“Keine Beratung auf Augenhöhe”
Der “Jobturbo” stelle einen Bruch dar mit dem Anspruch des Bürgergeldes, Betroffene auf Augenhöhe zu vermitteln. Dies bedeute nämlich, sie eher weiter zu qualifizieren als in Helferjobs zu vermitteln. Bei Ukrainern und weiteren Flüchtlingen jetzt anders zu verfahren sei erstens schwer vermittelbar und zweitens gesetzlich fragwürdig.
Überlastung durch Statistiken
Für die Jobcenter bedeute dies zudem Mehrarbeit. Sie seien verpflichtet, elf zusätzliche statistische Auswertungen zu vollbringen. Dies führe zu höheren bürokratischen Anforderungen und ließe den Verdacht der Augenwischerei aufkommen, nämlich „dass ein schöner Datensatz längst wieder wichtiger ist als der reale Integrationsprozess“.
Was fordern die Jobcenter?
Die Personalräte der Behörde fordern eine bessere finanzielle Ausstattung der Jobcenter und ein Überprüfen der gegenwärtigen Strategie. Qualität und Gleichbehandlung aller Bürgergeld-Empfänger dürften nicht unter der schnellen Vermittlung in Arbeit leiden.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.