Jobcenter ignoriert neue Bürgergeld-Regeln und fordert Regelleistungen zurück

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Die Hilfe- und Beratungsstelle Tacheles e.V. kritisiert erneut das rechtswidrige Vorgehen des Jobcenters in Wuppertal.  Obwohl sich die Erreichbarkeitsverordnung (ErrV) geändert hat, agieren die Sachbearbeiter in der Behörde nach den alten Regeln.

Geänderte Erreichbarkeitsverordnung

Mit der Einführung der Bürgergeldreform wurden die Bestimmungen zur Erreichbarkeit von Leistungsbeziehenden angepasst. Ziel dieser Reform war es, besonders schutzbedürftige Gruppen, darunter Wohnungs- und Obdachlose, beim Zugang zu existenzsichernden Leistungen zu unterstützen. Im Grundsatz besteht für Bürgergeld-Beziehende die Anforderung, werktäglich erreichbar zu sein, um Mitteilungen des Jobcenters entgegennehmen zu können.

Diese Regelung wurde jedoch in der neuen Erreichbarkeitsverordnung so erweitert, dass auch eine Erreichbarkeit über Dritte ausreichend ist. Somit können Freunde, Verwandte oder soziale Einrichtungen, wie die Diakonie in Wuppertal, als Mittelsmänner fungieren.

Ein Novum der Reform ist die Regelung, dass wohnungs- und obdachlose Personen, die keine Erreichbarkeit über Dritte sicherstellen können, einmal im Monat persönlich beim Jobcenter erscheinen müssen, um ihre Erreichbarkeit und Kontaktmöglichkeiten anzugeben. Hierbei dürfen sie Telefonnummern, E-Mail-Adressen oder alternative Postanschriften nennen.

Jobcenter Wuppertal ignoriert Rechtslage

Trotz dieser klaren gesetzlichen Anpassungen zeigt sich das Jobcenter Wuppertal nicht bereit, die Erleichterungen für Wohnungs- und Obdachlose umzusetzen, kritisiert Tacheles.

Stattdessen scheint es, dass das Jobcenter durch restriktive Auslegungen und eigenmächtige Handlungen diese Menschen gezielt benachteiligt.

Wohnungslose werden nicht nur verpflichtet, postalisch erreichbar zu sein, sondern müssen darüber hinaus monatlich im Jobcenter vorsprechen und erklären, dass sich an ihrer Lebenssituation und Erreichbarkeit nichts geändert hat. Diese Praxis ist rechtlich fragwürdig, da sie über die gesetzlich festgelegten Anforderungen hinausgeht.

Welche rechtlichen Grundlagen widerspricht das Vorgehen?

Die zusätzliche monatliche Vorsprachepflicht widerspricht § 2 Abs. 4 ErrV, der lediglich für jene Wohnungs- und Obdachlosen greift, die keine Erreichbarkeit über Dritte sicherstellen können.

Außerdem ist laut § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I nur die Mitteilung von Änderungen vorgeschrieben, die für die Leistung relevant sind.

Die Verpflichtung zur Meldung, dass keine Änderungen eingetreten sind, existiert nicht im Gesetzestext, sondern basiert auf einer eigenwilligen Interpretation des Jobcenters Wuppertal.

In einem Beispielbescheid über Aufhebung und Rückforderung von Bürgergeld in Höhe von 1.576,40 EUR wird dokumentiert, wie die Behörde die angebliche Pflicht zur monatlichen Vorsprache konstruiert.

Diese Praxis führt zu der absurden Konsequenz, dass bereits bewilligte Leistungen rückwirkend gestrichen und zurückgefordert werden, wenn die geforderte Vorsprache nicht erfolgt. Wohlgemerkt gegen obdachlose Menschen, die vollkommen mittellos sind und ums Überleben kämpfen.

Welche Konsequenzen hat dies für die Betroffenen?

Die Folgen dieser Praxis sind für wohnungs- und obdachlose Menschen verheerend. Für viele Betroffene bedeutet dies eine Zementierung ihrer ohnehin prekären Lage.

Der Entzug oder die Rückforderung von Leistungen führt zu extremer Mittellosigkeit und Verschuldung. Darüber hinaus ruht bei Zahlungsunfähigkeit der Krankenversicherungsschutz, was den Zugang zu medizinischer Versorgung, Therapie und sozialer Unterstützung erschwert oder unmöglich macht. Eine monatliche Kürzung der Regelleistungen um 30 % (ca. 168,90 EUR) zur Tilgung der „Schulden“ belastet die ohnehin angespannte finanzielle Situation zusätzlich.

Tacheles fordert Jobcenter zum Einlenken auf

Der Verein Tacheles fordert das Jobcenter Wuppertal eindringlich dazu auf, die rechtswidrige Praxis der erzwungenen monatlichen Vorsprache und der Pflicht zur Mitteilung von „Nicht-Änderungen“ sofort einzustellen.

Es sei unerlässlich, dass alle betroffenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide aufgehoben und die einbehaltenen Beträge an die Betroffenen zurückgezahlt werden. Parallel dazu sollten Beratungseinrichtungen ihre Arbeit verstärken, um den von dieser Praxis betroffenen Personen effektiv zur Seite zu stehen.

Abschließende Einschätzung

Die Vorgehensweise des Jobcenters Wuppertal ist nicht nur rechtlich fragwürdig, sondern sie verstärkt die Ausgrenzung und Diskriminierung einer ohnehin verletzlichen Bevölkerungsgruppe. Es bedarf dringend einer umfassenden Untersuchung und einer Rückkehr zu einer Praxis, die den rechtlichen Anforderungen entspricht und den Betroffenen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht.