Jetzt wird’s ernst: Änderungen beim Bürgergeld für Herbst angekündigt

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Der CDU‑Generalsekretär Carsten Linnemann hat für den Herbst 2025 eine tiefgreifende Neuordnung der Grundsicherung angekündigt. Vor allem die Sanktionen sollen deutlich verschärft werden.

Damit kündigt die Union einen Kurswechsel an, der die bisherige Architektur des Bürgergelds infrage stellt und in kurzer Frist spürbare Auswirkungen für Betroffene entfalten könnte.

Zugleich berührt der Plan verfassungsrechtliche Fragen, die seit dem maßgeblichen Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2019 die Grenzen sozialrechtlicher Sanktionen aufzeigten.

Politischer Kontext und Zeitplan

Die CDU/CSU hat die Abschaffung des Bürgergelds zugunsten einer „Neuen Grundsicherung“ zu einem ihrer zentralen Vorhaben erklärt.

Die Vorstellung der Reform ist für den Herbst 2025 avisiert. Parallel kursiert in der politischen Debatte ein Zeithorizont, wonach eine gesetzgeberisch und administrativ tragfähige Neuaufstellung angesichts der Vielzahl an Schnittstellen – etwa zum Wohngeld – bis ins Jahr 2026 reichen dürfte.

In jedem Fall deutet sich ein gestuftes Vorgehen an: Zunächst die Präsentation eines Konzepts, anschließend ein reguläres parlamentarisches Verfahren mit Anhörung von Fachpraxis und Wissenschaft.

Es soll „an die Substanz“ vom Bürgergeld gehen

Linnemann reklamiert, “das gegenwärtige System setze zu viele falsche Anreize und motiviere arbeitsfähige Menschen nicht hinreichend, Erwerbsarbeit aufzunehmen”.

Die Union will deshalb “einen grundlegenden Umbau statt bloßer Detailkorrekturen”. Der neue Ordnungsrahmen soll konsequent auf Arbeitsmarktintegration zielen, Sanktionen beschleunigen und verschärfen sowie das Sanktionsinstrumentarium um die Möglichkeit vollständiger Leistungsentzüge für wiederholte, unbegründete Ablehnungen zumutbarer Arbeit erweitern.

Flankiert werden soll dies durch großzügige Unterstützung dort, wo Qualifizierung, Gesundheitsförderung oder Betreuungslasten echte Hürden darstellen.

Bundesagentur für Arbeit soll reformiert werden

Ein weiterer Baustein der Pläne isoll “eine fokussierte Bundesagentur für Arbeit” sein. Die Vermittlung in Erwerbsarbeit soll an erster Stelle stehen, Beratung und Qualifizierung sollen zielgenauer aus einem Guss organisiert werden.

Aus Sicht der Union hat sich der Auftrag der Jobcenter zu stark verbreitert; künftig sollen Vermittlung, Aktivierung und ein eng geführtes Fallmanagement den Takt vorgeben. Damit einher ginge eine veränderte Steuerung: Kennzahlen zur schnellen, stabilen und nachhaltigen Integration erhielten größeres Gewicht, während rein formale Prozessziele in den Hintergrund träten.

Streit in der Koalition: SPD zwischen Bewahrung und Reform

Die SPD signalisiert Reformbereitschaft, lehnt jedoch eine Sanktionslogik ab, die das menschenwürdige Existenzminimum gefährdet. Sie warnt vor unverhältnismäßigen Härten insbesondere für psychisch Erkrankte, Alleinerziehende, Menschen mit Pflegeverantwortung oder in instabilen Lebenslagen.

In der Koalitionsdebatte prallen zwei Verständnisse von Wirksamkeit aufeinander: Die Union setzt auf spürbare Sanktionen als Steuerungsimpuls; die SPD betont, dass nachhaltige Integration vor allem durch verlässliche Unterstützung, Qualifizierung und passgenaue Vermittlung gelingt.

Verfassungsrechtliche Leitplanken: Das Urteil von 2019

Das Bundesverfassungsgericht hat 2019 Leitlinien für Sanktionen im Bereich der Grundsicherung formuliert. Die Richterinnen und Richter betonten, dass das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern ist und Leistungskürzungen nur unter strengen Voraussetzungen zulässig sind.

Sanktionen müssen verhältnismäßig sein, die Möglichkeit einer Abmilderung oder Abwendung vorsehen und den Einzelfall berücksichtigen.

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Ein starres Sanktionsregime, das auf Automatismen setzt und nicht hinreichend Rücksicht auf besondere Belastungen nimmt, stößt an verfassungsrechtliche Grenzen. Jede künftige Reform muss sich an diesen Maßstäben messen lassen müssen. Ob die Union das einhalten kann und will, ist allerdings fraglich.

Würde ein weiterer Gang nach Karlsruhe nötig werden, so würden wieder Jahre vergehen, weil sich Betroffene zunächst durch die Instanzen kämpfen müssen.

Faktenlage: Wie häufig werden Leistungen tatsächlich gekürzt?

Die Statistik zeichnet ein differenziertes Bild. 2023 wurden deutschlandweit zahlreiche Leistungsminderungen verhängt, der überwiegende Teil wegen Meldeversäumnissen.

Deutlich seltener sind Kürzungen wegen Arbeitsverweigerung. Die Zahl der Fälle, in denen erwerbsfähige Leistungsberechtigte den Regelsatz aufgrund der Ablehnung zumutbarer Arbeit gekürzt bekamen, lag in einer Größenordnung, die im Verhältnis zur Gesamtzahl der Betroffenen sehr niedrig ist.

Das Bild relativiert verbreitete Zuschreibungen von „Totalverweigerung“ und verweist auf die Notwendigkeit genauer Einzelfallprüfungen.

Praxis: Rechte wahren, Fristen kennen

Betroffene, denen Sanktionen oder gar ein vollständiger Leistungsentzug angedroht oder ausgesprochen werden, sollten umgehend fachkundige Beratung in Anspruch nehmen.

Maßgeblich ist, ob tatsächlich eine zumutbare Arbeit vorlag, ob gesundheitliche Einschränkungen, Pflege- oder Betreuungsverpflichtungen bestanden und ob die Rechtsfolgen ordnungsgemäß belehrt wurden. Gegen Bescheide kann innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden.

Bei existenzgefährdenden Kürzungen ist der einstweilige Rechtsschutz vor den Sozialgerichten ein schnelles Instrument, um die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen oder vorläufige Leistungen zu sichern.

Scharfe Kritik aus der Erwerbslosenberatung

Der Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles e.V. warnt, die diskutierten Totalsanktionen, Pauschalen bei den Unterkunftskosten, die Abschaffung von Karenzzeiten und mögliche Absenkungen der Regelsätze würden das grundrechtlich geschützte Existenzminimum unterlaufen und die soziale Spaltung vertiefen.

Der Verein fordert seit Jahren die Abschaffung von Sanktionen, weil sie nach Beratungserfahrungen häufig in Verschuldung, Energiesperren, Wohnungsverlust und gravierende gesundheitliche Belastungen münden und damit weder arbeitsmarktpolitisch wirksam noch mit der Menschenwürde vereinbar seien.

Besonders scharf kritisiert Tacheles die Idee pauschalierter, unterdeckter Unterkunftskosten. Das Bundesverfassungsgericht habe klargestellt, dass angemessene Wohnkosten Bestandteil des menschenwürdigen Existenzminimums sind;

Pauschalen seien nur zulässig, wenn sie so bemessen sind, dass Leistungsberechtigte jederzeit im unteren Marktsegment eine Wohnung anmieten können.

Bereits heute bestehe eine erhebliche „Wohnkostenlücke“: 2023 erhielten rund 325.000 Bedarfsgemeinschaften – etwa 12,2 Prozent – nicht die tatsächlichen Kosten erstattet; im Schnitt fehlten monatlich 103 Euro, in Stuttgart sogar 338 Euro.

Vor diesem Hintergrund würden weitere Deckelungen Betroffene aus den Städten verdrängen, statt Mietpreistreiberei zu stoppen. Gefordert sind daher bedarfsdeckende Regelsätze, eine verlässliche Übernahme der realen Unterkunftskosten, wirksame Mietbegrenzungen sowie ein Fokus auf Förderung, Qualifizierung und individuelle Unterstützung statt Repression.