Hartz IV mรผsse verรคndert werden, so die aktuelle Forderung des Hamburger Jobcenter-Chef
In den Reihen der Politik, der Betroffenen, der Richterschaft, Wissenschaft und in den Jobcentern selbst rumort es. Hartz IV steht zur Disposition. War der Kreis der Kritiker zu Beginn der Agenda 2010 vor allem in den Reihen der Erwerbslosen selbst zu verorten, kritisierten immer mehr Kreise die Auswรผchse von Hartz IV. Nun meldet sich hรถchst persรถnlich der Chef der Jobcenter in Hamburg zu Wort. Im Hamburger Abendblatt fordert Dirk Heyden umfassende Reformen.
Hatte die SPD nach ihrem Wahldebakel verlautbaren lassen, man wolle “Hartz IV hinter sich lassen”, hat sich seit dem nicht viel getan, obwohl die Partei mitregierend ist. Doch an der Basis regt sich immer mehr Unmut. Der Leiter der Jobcenter in Hamburg fordert grundlegende รnderungen am Hartz IV System. Er selbst leitet alle Jobcenter in Hamburg, die fรผr die Betreuung von 128.000 Hartz-IV-Bezieher zustรคndig sind.
Rahmenbedingungen haben sich heute verรคndert
Gegenรผber der Zeitung betont zwar Heyden: โWenn Sie mich nach meiner persรถnlichen Meinung fragen: Unser Sozialstaat ist richtig gut, auch im europรคischen Vergleich.โ Jedoch schiebt dieser hinterher: โUnd dennoch, nach knapp 15 Jahren wรผnschte ich mir, dass wir unsere Grundsicherung, umgangssprachlich ,Hartz IVโ, einer konstruktiv-kritischen Bilanz unterziehen, weil sich die Rahmenbedingungen komplett verรคndert haben.โ
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Hartz IV zu kompliziert
Nach seiner Ansicht seien die gesetzlichen Regelungen viel zu komlex und kompliziert. โIm Jobcenter verursacht dies sehr hohen Aufwand und fรผr unsere Bรผrger ist es teilweise schwer verstรคndlich. Mehr als die Hรคlfte meiner Mitarbeiter kรผmmern sich um die Auszahlung der Mieten, Nebenkosten und anderer Leistungen und mรผssen dafรผr von ihren Kunden regelmรครig sรคmtliche Nachweise verlangen.โ Demnach mรผssten viele Regeln vereinfacht werden, um den Verwaltungsaufwand geringer zu gestalten. Das hรคtte auch den Vorteil, dass das Antragsprozedere fรผr die Leistungsberechtigten insgesamt vereinfacht wรผrde.
Forderung nach einer Kindergrundsicherung – Raus aus dem Hartz IV System
Unglรผcklich ist der Jobcenter-Chef auch รผber die Ausgestaltung der Kinderregelsรคtze im SGB II. Kinder sollten seiner Meinung nach aus dem Hartz IV System rausgenommen werden, weil dieses auf Erwachsene zugeschnitten sei. โIch begrรผรe die Idee, Kinder aus ,Hartz IVโ herauszunehmenโ, sagt Heyden. Besser sei die aktuell รผber Parteiengrenzen hinweg diskutierte Kindergrundsicherung. โDann wรผrden alleine in Hamburg 60.000 Kinder der Gefahr einer mรถglichen Stigmatisierung entgehen, weil sie aus einem ,Hartz IVโ-Haushalt kommenโ, erklรคrt Heyden.
Anrechnung von Kindergeld ungerecht
Ungerecht sei auch, dass das Kindergeld an die Regelleistungen angerechnet wird. Diese sollten ungeachtet der sozialen Situation der Eltern und ohne Anrechnung ausgezahlt werden. Exkurs: Aktuell wurde der Kindergeldsatz zum 1. Juli angehoben. Kinder in Hartz IV Familien gehen aber leer aus. Bei ihnen kommt die Erhรถhung nicht an.
Ein weiteres Problem sieht Heyden bei den Begriffen Leistungsfรคhigkeit bzw. Erwerbsfรคhigkeit. Diese seien “falsch definiert”. In ยง 8 (1) SGB II wird festgelegt, dass Personen dann Erwerbsfรคhig sind, die nicht wegen einer Erkrankung oder Behinderung auf absehbarer Zeit nicht im Stande sind, unter den รผblichen Bedingungen mindestens drei Stunden pro Tag zu arbeiten. Solche Arbeitsplรคtze gibt es aber nicht, kritisiert der Jobcenterchef.
Insgesamt nicht sehr gerecht
Insgesamt sei das Hartz IV-System nicht sehr gerecht. Auch die Kassiererin im Supermarkt, die mit ihren Steuern die soziale Sicherung mitfinanziert, muss unser Sozialsystem als gerecht empfinden. Ich erhoffe mir von einer Weiterentwicklung des Gesetzes, dass wir mehr Anreize bieten kรถnnen, einer Beschรคftigung nachzugehen.โ Dabei betont er aber: โDie Menschen mรถchten arbeiten und ihren Beitrag fรผr die Gesellschaft leisten.โ