Verjährung: So lange darf das Jobcenter Bürgergeld zurück fordern

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Das Sozialrecht regelt die Beziehungen zwischen Bürgern und staatlichen sowie kommunalen Sozialleistungsträgern. Innerhalb dieses Rechtsrahmens spielt die Verjährung eine entscheidende Rolle, denn sie definiert die Fristen, in denen der Leistungsträger Ansprüche geltend machen oder Leistungen zurückfordern kann.

Dieser Ratgeber zeigt die komplexen Regelungen der Verjährungsfristen im Sozialrecht und deren Anwendung auf das Bürgergeld, die Sozialhilfe, das Wohngeld und den Kinderzuschlag. Ziel sollte sein, unnötige Forderungen vom Jobcenter zu vermeiden.

Verjährungsfristen: Das Wichtigste in Kürze

Grundsätzlich gilt: Wer zu viel oder zu Unrecht Sozialleistungen erhält, muss diese zurückzahlen.

Der Anspruch auf Rückforderung erlischt in den meisten Fällen vier Jahre Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Überzahlung stattgefunden hat. Hier die wichtigsten Fakten in diesem Zusammenhang:

  • Die rechtliche Grundlage für die Verjährung von Erstattungen zwischen Behörden untereinander ist im § 113 SGB X geregelt.
  • Die Verjährung von Erstattungen, die Behörden gegenüber Bürgern geltend machen, ist im § 50 Abs. 4 SGB X festgelegt.
  • Erstattungsansprüche verjähren demnach vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Überzahlung stattfand.
  • Der Leistungsträger hat nach § 45 SGB X jedoch nur zwei Jahren Zeit, einen rechtswidrigen Verwaltungsakt nach seiner Bekanntgabe zurückzunehmen.
  • Ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt mit Dauerwirkung infolge grober Fahrlässigkeit oder arglister Täuschung entstanden, hat der Leistungsträger bis zu 10 Jahre Zeit, diesen zurückzunehmen.
  • Auch zu viel gezahlte Wohngeld-, Kindergeld- und Kinderzuschlag-Leistungen können zurückgefordert werden.
  • Rückforderungen unter 50 Euro werden aufgrund der Bagatellgrenze vom Leistungsträger nicht eingefordert.

Grundlagen der Verjährung im Sozialrecht

Das Sozialrecht regelt die Ansprüche und Leistungen zwischen Bürgern und Sozialleistungsträgern sowie zwischen verschiedenen Behörden untereinander. Die Verjährung stellt in diesem Zusammenhang eine rechtliche Frist dar, nach deren Ablauf Ansprüche nicht mehr durchsetzbar sind.

Die Verjährung dient der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden, indem sie dafür sorgt, dass nach einem angemessenen Zeitraum keine Ansprüche mehr geltend gemacht werden können. Dies fördert die Planungssicherheit sowohl für Leistungsempfangende als auch für Leistungsträger.

Der § 113 des Zehnten Sozialgesetzbuches (SGB X) bildet die rechtliche Grundlage für die Verjährung für Erstattungen, die eine Behörde, bzw. ein Leistungsträger, gegenüber einer anderen Behörde geltend machen kann. Darin legt der Gesetzgeber fest, dass Erstattungsansprüche innerhalb von vier Jahren nach dem Ende des Kalenderjahres verjähren, in dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger Kenntnis von der Entscheidung über die Leistungspflicht erlangt hat.

Die Verjährung von Erstattungen, die Behörden gegenüber Bürgern geltend machen können, ist hingegen im § 50 Abs. 4 SGB X folgendermaßen festgelegt:

„Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 unanfechtbar geworden ist.“

Oder einfacher ausgedrückt: Wenn jemand Sozialleistungen wie Bürgergeld erhält und es stellt sich heraus, dass diese Person zu viel Geld bekommen hat, dann hat die Behörde, die das Geld ausgezahlt hat, vier Jahre Zeit, um das zu viel gezahlte Geld zurückzufordern. Diese vier Jahre beginnen nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Überzahlung stattgefunden hat.

Wenn das Jobcenter beispielsweise im Jahr 2020 zu viel Bürgergeld gezahlt hat, beginnt die Verjährungsfrist Anfang 2021. Das Jobcenter hat in dem Fall bis Ende 2024 Zeit, das Geld zurückzufordern.

Rechtswidrige Verwaltungsakte

Überzahlte Sozialleistungen wie beispielsweise Bürgergeld basieren in der Regel auf rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakten mit Dauerwirkung. Nach § 45 SGB X darf der Leistungsträger solche Verwaltungsakte nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurücknehmen.

Eine Ausnahme zu dieser Regelung besteht jedoch, wenn der Leistungsempfänger die zu Unrecht gezahlten Leistungen durch argliste Täuschung, grobe Fahrlässigkeit oder ähnliches bösartiges Verhalten erwirkt hat. In diesem Fall hat der Leistungsträger bis zu 10 Jahre Zeit, einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zurückzunehmen.

Wie kommt es zu Überzahlungen bei Sozialleistungen?

Überzahlungen bei Sozialleistungen wie dem Bürgergeld können aus verschiedenen Gründen entstehen. Zu den häufigsten Ursachen gehören:

  • Änderungen der persönlichen Verhältnisse: Wenn sich die persönlichen oder finanziellen Verhältnisse des Leistungsempfängers ändern (z.B. durch Aufnahme einer Arbeit, Erhöhung des Einkommens oder Veränderungen im Familienstand), kann dies Einfluss auf die Höhe der Anspruchsberechtigung haben. Werden solche Änderungen nicht rechtzeitig oder gar nicht an die zuständige Behörde gemeldet, kann es zu Überzahlungen kommen.
  • Fehler bei der Antragstellung: Fehlerhafte oder unvollständige Angaben im Antragsprozess können dazu führen, dass Leistungen in einer Höhe gewährt werden, die über dem tatsächlichen Anspruch liegt.
  • Verzögerte Informationsverarbeitung: Manchmal kann es vorkommen, dass die Behörden Änderungen in den Lebensumständen des Empfängers oder Fehler in der Berechnung der Leistungen erst nach einer gewissen Zeit erkennen. Bis zur Korrektur der Leistungshöhe kann es dann bereits zu Überzahlungen gekommen sein.
  • Fehler in der Berechnung durch die Behörden: Auch auf Seiten der Behörden können Fehler bei der Berechnung der Leistungshöhe auftreten. Solche Fehler können sowohl technischer Natur sein als auch aus Missverständnissen oder Fehlinterpretationen der anzuwendenden Regeln resultieren.
  • Rückwirkende Änderungen in der Leistungsberechnung: Gelegentlich werden Ansprüche auf Sozialleistungen aufgrund neuer Informationen oder nachträglicher Entscheidungen rückwirkend angepasst. Dies kann ebenfalls zu Überzahlungen führen, wenn bereits höhere Beträge ausgezahlt wurden.

In allen diesen Fällen sind die Empfängerinnen und Empfänger von Sozialleistungen in der Regel verpflichtet, die zu viel erhaltenen Beträge zurückzuzahlen. Die genauen Umstände und die Art und Weise der Rückforderung können je nach Fall und rechtlichen Rahmenbedingungen variieren.

Es ist daher wichtig, dass man bei Änderungen ihrer persönlichen oder finanziellen Situation umgehend die zuständige Behörde informieren, um Überzahlungen zu vermeiden.

Überzahlung von Kindergeld und Kinderzuschlag

Als Empfänger von Kindergeld oder Kinderzuschlag tragen Sie die Verantwortung, die Familienkasse über jegliche Veränderungen in Ihren Lebensverhältnissen zu informieren. Zu den wichtigen Änderungen gehören Anpassungen Ihres Namens, Ihrer Adresse, Ihres Familienstands, Ihres Arbeitsverhältnisses oder Ihres Einkommens.

Veränderungen in Ihren Lebensumständen können eine Anpassung der Ihnen zustehenden Leistungen wie Kindergeld oder Kinderzuschlag nach sich ziehen, was in einigen Fällen zu einer Überzahlung führen kann. Sollte es zu einer solchen Überzahlung kommen, informiert Sie die Familienkasse mittels eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids.

Dieses Schreiben klärt Sie darüber auf, warum eine Rückzahlung erforderlich ist, wie hoch der zurückzuzahlende Betrag ist und welche Frist für die Begleichung der Forderung gesetzt wird. Für die Rückforderung gelten grundsätzlich die gleichen Verjährungsfristen wie beim Bürgergeld oder bei anderen Sozialleistungen – also vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem eine Überzahlung des Kindergeldes oder des Kinderzuschlages stattgefunden hat.

Komplizierter wird es jedoch, wenn zusätzlich zur Überzahlung ein steuerrechtliches Problem vorliegt. Denn wenn die Familienkasse von vorsätzlicher Steuerhinterziehung spricht, gilt eine verlängerte Rückforderungszeit von 10 Jahren. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn das Kindergeld oder der Kinderzuschlag zu Steuervergünstigungen beigetragen hat, die dem Empfänger aufgrund falscher Angaben gar nicht zustanden.

Verjährung von Wohngeld-Ansprüchen

Hat eine wohngeldberechtigte Person zu Unrecht Wohngeld erhalten, muss sie dieses gemäß § 50 SGB X zurückzahlen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Zahlung ohne Rechtsgrund erfolgt ist oder der Rechtsgrund nachträglich weggefallen ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn

  • der Wohngeldbescheid nach § 45 SGB X zurückgenommen wurde,
  • eine Aufhebung nach § 27 Abs. 2 oder § 28 Abs. 2 WoGG erfolgte,
  • eine Unwirksamkeit nach § 28 Abs. 1 oder 3 WoGG vorliegt.

Hat der erstattungsberechtigte Leistungsträger die Festsetzung der Rückforderung in einem sogenannten Durchsetzungsbescheid mit der Aufforderung zur Erstattung verknüpft, beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre gemäß § 52 Abs. 2 SGB X.

Enthält die Festsetzung der Rückforderung jedoch keine Zahlungsaufforderung, so verjährt der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Überzahlung stattfand. Erlässt die erstattungsberechtigte Behörde in diesem vierjährigen Zeitraum eine Zahlungsaufforderung, verlängert sich die Verjährungsfrist wieder auf 30 Jahren.

Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung

Wenn es darum geht, die Fristen für die Geltendmachung von Ansprüchen zu verstehen, spielen auch die Begriffe Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung eine zentrale Rolle. Denn diese Mechanismen können den Zeitraum bis zum Eintritt der Verjährung verlängern. Der Leistungsträger hat gegebenenfalls so mehr Zeit, um Ansprüche geltend zu machen.

Hemmung der Verjährung

Die Hemmung der Verjährung bewirkt eine vorübergehende Unterbrechung der Verjährungsfrist. Während dieser Zeit läuft die Verjährungsfrist nicht weiter. Dies kann aus verschiedenen Gründen geschehen, beispielsweise wenn zwischen den Parteien Verhandlungen über den Anspruch geführt werden.

Ein praktisches Beispiel dafür wäre, wenn ein Bürgergeld-Empfänger mit dem Jobcenter über die Höhe seiner Ansprüche verhandelt. Solche Verhandlungen hemmen die Verjährung bis zu ihrem Abschluss, wodurch die Frist für die Geltendmachung verlängert wird.

Ablaufhemmung

Die Ablaufhemmung ist eine spezielle Form der Hemmung, die insbesondere dann eintritt, wenn bestimmte Ereignisse die Beendigung der Verjährungsfrist hinauszögern. Ein Beispiel hierfür wäre, wenn rechtliche Schritte eingeleitet wurden, die die Verjährungsfrist bis zum Abschluss dieser Maßnahmen aussetzen. Die Ablaufhemmung sorgt dafür, dass die Verjährungsfrist erst nach dem Wegfall des Hemmungsgrundes weiterläuft, was den Beteiligten zusätzliche Zeit gibt, ihre Ansprüche geltend zu machen.

Neubeginn der Verjährung

Der Neubeginn der Verjährung setzt die bisherige Verjährungsfrist außer Kraft und startet eine neue Frist. Dies kann geschehen, wenn eine Schuldneranerkenntnis vorliegt oder wenn gegen den Schuldner ein Vollstreckungsbescheid erlassen wird. Im Kontext des Sozialrechts würde dies bedeuten, dass zum Beispiel nach einer offiziellen Anerkennung einer Forderung durch einen Leistungsträger gegenüber einem Leistungsempfänger die Verjährungsfrist von neuem beginnt. Dadurch erhalten Leistungsträger zusätzliche Zeit, um überzahlte Beträge zurückzufordern.

Wann gilt eine Verjährungsfrist von 30 Jahren?

In den meisten Fällen wendet der Leistungsträger bei Rückforderungen im Sozialrecht die 4-jährige Regelverjährungsfrist nach § 50 Abs. 4 SGB X an. Dort ist festgelegt:

„Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 unanfechtbar geworden ist. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß.“

Die dreißigjährige Verjährungsfrist greift laut nach § 52 Abs 2 SGB X nur, wenn ein Verwaltungsakt unanfechtbar geworden ist. Die Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsaktes tritt ein, wenn entweder alle ordentlichen Rechtsbehelfe erfolglos eingelegt wurden, ein Rechtsmittelverzicht erklärt wurde oder die Fristen zur Einlegung von Rechtsbehelfen verstrichen sind.

In den meisten Fällen macht das Jobcenter von dieser Regelung jedoch nur gebrauch, wenn eine „Bösartigkeit“ oder ein vorsätzlicher Sozialbetrug vermutet wird und ein Rechtsstreit um die zurückgeforderte Leistung besteht.

Bagatellgrenze bei Rückforderungen bis 50 Euro

Bei der Einführung des Bürgergeldes wurde eine sogenannte Bagatellgrenze für Erstattungs- und Rückforderungsansprüche eingeführt. Bei Rückforderungen von weniger als 50 Euro macht der Leistungsträger seinen Anspruch nicht geltend, da die Eintreibung von Kleinstbeträgen teuer wäre als die eigentliche Forderung.

Quellen

  • Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – § 113 Verjährung (SGB X § 113)
  • Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – § 111 Ausschlussfrist (SGB X § 111)
  • Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – § 45 Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (SGB X § 45)
  • Wohngeldgesetz (WoGG)
  • Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – § 50 Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen (SGB X § 50)
  • Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – § 52 Hemmung der Verjährung durch Verwaltungsakt (SGB X § 52)