Kaum ein Thema beschäftigt die sogenannte Baby‑Boomer‑Generation derzeit stärker als die Frage, wann und unter welchen Bedingungen der Ausstieg aus dem Berufsleben möglich ist.
Wer 1965 geboren wurde, steht in einer Übergangsphase: Der Gesetzgeber hat den Anstieg der Regelaltersgrenze bei der Rente bereits abgeschlossen, doch viele Detailregeln zu Abschlägen, Schwerbehinderung, Hinzuverdienst und Ausgleichszahlungen werfen Fragen auf.
Der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt beantwortet alle Fragen, wann der Jahrgang 1965 in Rente gehen kann.
Wann greift für 1965 Geborene die reguläre Altersgrenze?
Für alle Versicherten des Geburtsjahrgangs 1965 gilt die Regelaltersgrenze von 67 Jahren. Erst mit Erreichen dieses Alters kann die klassische Regelaltersrente ohne Abschläge bezogen werden – vorausgesetzt, es liegen mindestens fünf Jahre Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung vor.
Die Stufenanhebung auf 67 Jahre endet mit Jahrgang 1964; 1965 markiert damit den ersten Jahrgang, für den die volle Grenze durchgängig gilt.
Welche Möglichkeiten für die Rente eröffnet die 35‑jährige Wartezeit?
Wer auf insgesamt 35 Versicherungsjahre kommt – dazu zählen neben Pflichtbeitragszeiten auch Kindererziehungszeiten, längere Krankheits‑ oder Arbeitslosengeldphasen sowie Berücksichtigungszeiten – darf bereits mit 63 Jahren in die sogenannte „Altersrente für langjährig Versicherte“ eintreten.
Doch jeder Monat vor Erreichen der regulären Altersgrenze kostet dauerhaft 0,3 Prozent der Rente. Für den Jahrgang 1965 bedeutet ein Ruhestand mit 63 somit einen Abschlag von 14,4 Prozent; zwei Jahre Vorverlegung (Start mit 65) vermindern die Zahlung um 7,2 Prozent.
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Wie wirkt sich eine anerkannte Schwerbehinderung auf eine frühere Rente aus?
Liegt zum Rentenbeginn ein Grad der Behinderung von mindestens 50 vor, greift die „Altersrente für schwerbehinderte Menschen“. Schon 35 Wartejahre reichen, um abschlagsfrei mit 65 Jahren in Rente zu gehen.
Wird der Ruhestand trotzdem auf 63 Jahre vorgezogen, wird nur die Differenz zu 65 Jahren mit 0,3 Prozent pro Monat gekürzt; das ergibt 7,2 Prozent. Wichtig: Die Schwerbehinderung muss am Tag des Rentenbeginns bestehen. Gelingt der Antrag, bleibt die Rente auch dann bestehen, wenn die Behinderung später aberkannt wird.
Rente mit 45 Versicherungsjahren
Die „Altersrente für besonders langjährig Versicherte“ erlaubt einen abschlagsfreien Übergang zwei Jahre vor der Regelaltersgrenze. Für 1965 Geborene bedeutet das: Renteneintritt mit 65 ohne Abzüge.
Wer die 45 Jahre zusammenbringt, hat also dasselbe Einstiegsalter wie schwerbehinderte Versicherte, allerdings ohne Möglichkeit, noch weiter vorzuverlegen.
Zeiten schulischer Vollzeit‑Ausbildung, längere Phasen mit Bürgergeld beziehungsweise früherer Sozial‑ oder Arbeitslosenhilfe sowie die letzten beiden Jahre Arbeitslosengeld unmittelbar vor Rentenbeginn werden bei dieser Wartezeit nicht angerechnet.
Lohnt sich Arbeiten neben einer vorgezogenen Rente noch?
Ja – seit 1. Januar 2023 sind alle Hinzuverdienstgrenzen bei vorgezogenen Altersrenten abgeschafft.
Ob Nebenjob oder Vollzeitbeschäftigung: Der zusätzliche Lohn führt nicht mehr zu Rentenkürzungen. Er fließt ungekürzt aufs Konto, und die darauf entrichteten Rentenbeiträge erhöhen künftig den Rentenanspruch, wenn auch in moderater Höhe.
Können Abschläge wieder ausgeglichen werden?
Versicherte, die spürbare Rentenminderungen vermeiden möchten, dürfen seit Vollendung des 50. Lebensjahres Sonderbeiträge einzahlen. Diese sogenannten Ausgleichszahlungen nach § 187a SGB VI können die Abschläge ganz oder teilweise neutralisieren.
Die Deutsche Rentenversicherung berechnet auf Antrag (Formular V0210) den genauen Betrag; er lässt sich in Einmalzahlung oder Raten bis zum Rentenbeginn leisten. Bei arbeitgeberfinanzierten Ausgleichszahlungen winken steuerliche Vergünstigungen.
Worauf sollten Antragstellende besonders achten?
Zeitliche Reihenfolge der Anträge: Der Rentenantrag sollte etwa drei Monate vor dem gewünschten Beginn gestellt werden, damit Unterlagen rechtzeitig geprüft werden können.
Wer einen befristeten Schwerbehindertenausweis hat, muss sicherstellen, dass der Ausweis noch gültig ist oder rechtzeitig verlängert wird – selbst ein kurzer Verzug kann die günstigeren Konditionen gefährden.
Lückenfreie Versicherungsverläufe: Gerade bei langen Ausbildungs‑ oder Arbeitslosenzeiten lohnt der Blick ins Versicherungskonto, um Anrechnungs‑ und Berücksichtigungszeiten korrekt eintragen zu lassen. Eine Kontenklärung kann fehlende Monate erschließen und so Wartezeiten sichern.
Strategische Kombination von Teilrente und Job: Wer seine Arbeitszeit reduzieren möchte, kann zunächst eine Teilrente beziehen. Seit 2023 lässt sich der Übergang flexibel gestalten, ohne dass die Teilrente wegen zu hohen Verdienstes gekürzt wird. Die hierbei entrichteten Beiträge fließen in spätere Rentensteigerungen ein.
Steuerliche Folgen: Je früher die Rente beginnt, desto höher ist der steuerpflichtige Anteil. Auch Hinzuverdienste erhöhen das zu versteuernde Einkommen. Eine Beratung durch Steuerfachleute oder Lohnsteuerhilfevereine ist empfehlenswert.
Praxisbeispiel: Rente mit Jahrgang 1965 von Sabine K.
Sabine K. wurde am 10. September 1965 in Flensburg geboren. Nach einer kaufmännischen Ausbildung beginnt sie 1984 in Vollzeit zu arbeiten. Ihr weiterer Lebens‑ und Versicherungsverlauf verläuft nicht schnurgerade, sondern spiegelt typische Brüche und Wendepunkte wider:
Sabine bekommt 1992 und 1995 zwei Kinder. Für die Kindererziehungszeiten – insgesamt sechs Kalendermonate pro Kind plus die ersten drei Lebensjahre – werden ihr rentenrechtlich drei Jahre je Kind gutgeschrieben. Zusätzlich zu ihren Arbeitsjahren sammelt sie dadurch wertvolle Versicherungszeiten an.
Im Jahr 2002 erkrankt Sabine schwer an Rheuma. Mehrere Operationen und Rehabilitationsaufenthalte führen zu längeren Krankengeldphasen und schließlich zu einer zeitweisen Teilerwerbsminderungsrente, bevor sie 2004 in ihren Beruf zurückkehrt.
Die Krankengeld‑ und Reha‑Zeiten zählen als Pflichtbeitragszeiten; die vorübergehende Erwerbsminderungsrente wird als sogenannte Anrechnungszeit verbucht – alles Punkte, die ihre 35‑ und 45‑Jahres‑Konten füllen.
Nach einer betrieblichen Umstrukturierung verliert sie 2013 ihre Stelle. Für 15 Monate bezieht sie Arbeitslosengeld I, anschließend findet sie eine neue Anstellung in Teilzeit. Diese Episode zählt bis auf die letzten beiden ALG‑I‑Monate vor einem möglichen Rentenbeginn ebenfalls zu den anrechenbaren Zeiten.
2020 verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand. Das Versorgungsamt stellt einen Grad der Behinderung von 50 fest, befristet auf fünf Jahre. Damit erfüllt Sabine, sollte die Schwerbehinderung bestehen bleiben, eine der wesentlichen Zugangsvoraussetzungen für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen.
Im Frühjahr 2024 lässt sie ihr Rentenkonto von der Deutschen Rentenversicherung klären. Das Ergebnis: Zum 31. Dezember 2024 weist ihr Versicherungsverlauf 44 anerkannte Jahre auf. Ab März 2026 – nach weiteren zwölf Monaten Berufstätigkeit – erreicht sie exakt 45 Jahre.
Nun steht Sabine vor drei realistischen Szenarien:
1. Vorzeitige Rente mit 63 Jahren ohne Schwerbehinderung
Entscheidet sie sich, die Altersrente für langjährig Versicherte direkt zum 1. Oktober 2028 (ihr 63. Geburtstag) zu beantragen, fallen für die 48 Monate bis zur Regelaltersgrenze insgesamt 14,4 Prozent Abschlag an. Würde ihre monatliche Bruttorente ohne Kürzung bei etwa 1 700 Euro liegen, erhielte sie nur noch rund 1 455 Euro. Der Abschlag gilt lebenslang.
2. Vorzeitige Rente mit 63 Jahren und Schwerbehinderung
Bleibt ihr GdB 50 bestehen – oder wird rechtzeitig verlängert –, kann Sabine dieselbe Rente zwei Jahre früher als Schwerbehinderte antreten. Da die Kürzung nur von 65 auf 63 Jahre, also 24 Monate, berechnet wird, sinkt ihre Rente lediglich um 7,2 Prozent. Auf Basis der genannten 1 700 Euro blieben ihr etwa 1 579 Euro.
3. Abschlagsfreie Rente mit 65 Jahren über die 45‑Jahres‑Regel
Hält Sabine bis Oktober 2030 durch, erreicht sie die magische Marke von 45 Jahren. Dann kann sie ihre Altersrente für besonders langjährig Versicherte völlig ohne Abzug ab 1. Oktober 2030 beziehen – zwei Jahre früher als die Regelgrenze, aber trotzdem abschlagsfrei. Sie bekäme die vollen (prognostizierten) 1 700 Euro und könnte ab diesem Zeitpunkt unbegrenzt hinzuverdienen.
Sabine kalkuliert nicht nur das Monatseinkommen, sondern auch ihre Steuerbelastung, die Entwicklung ihrer Gesundheitslage und die Frage, ob sie in Teilzeit weiterarbeiten möchte.
Nach einem Beratungsgespräch entscheidet sie sich, die Schwerbehindertenrente mit 63 zu wählen, aber in einem Minijob aktiv zu bleiben. Der nicht gekürzte Zuverdienst fängt den moderaten Abschlag schnell wieder auf, und die geringeren Belastungen im Alltag passen besser zu ihrer chronischen Erkrankung.
Am Ende stehen drei handfeste Erkenntnisse: Frühe Kontenklärung schafft Planungssicherheit; der Schwerbehindertenausweis kann den finanziellen Verlust halbieren; und wer weiterarbeiten möchte, profitiert vom Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen. Sabines Beispiel zeigt, wie komplexe Lebensläufe in der Praxis zu sehr unterschiedlichen, aber allemal gestaltbaren Rentenwegen führen.
Fazit: Welche Strategie ist für 1965 Geborene sinnvoll?
Der Jahrgang 1965 profitiert von mehreren Optionen: Ein abschlagsfreier Start ist über 45 Versicherungsjahre oder eine anerkannte Schwerbehinderung möglich, jeweils ab 65 Jahren.
Frühester Ruhestand mit 63 bleibt erreichbar, erfordert jedoch die Bereitschaft, lebenslange Abschläge hinzunehmen oder diese gegen Zahlung auszugleichen. Dank wegfallender Hinzuverdienstgrenzen kann ein gleitender Übergang finanziell attraktiv sein.
Entscheidend ist, den persönlichen Versicherungsverlauf rechtzeitig prüfen zu lassen und auf Basis belastbarer Daten – Kontenklärung, Rentenauskunft, Steuerprognose – eine individuelle Entscheidung zu treffen. Dabei unterstützen die Auskunfts‑ und Beratungsstellen der Deutschen Rentenversicherung ebenso wie unabhängige Sozialverbände.
Das Fazit lautet daher: Früh planen, Varianten durchrechnen und die eigene Lebens‑ und Gesundheitslage in die Wahl des Rentenbeginns einbeziehen.