Hartz IV
Hartz IV Regelsatz deckt nicht den Bildungsbedarf der Kinder ab! Das Problem, die Problemlösung anhand eines Beispiels aus Oldenburg
Die meisten Kinder freuen sich zu Beginn eines neuen Schuljahres bestimmt schon auf die Schule. Für andere jedoch beginnt das neue Schuljahr mit Sorgen und Angst, oft sind sogar schon die Sommerferien getrübt. Denn alle Jahre wieder flattert Eltern schulpflichtiger Kinder kurz vor den Sommerferien eine Aufstellung ins Haus, welche Bücher und anderen Schulmaterialien für das neue Schuljahr anzuschaffen sind. Eine Liste, an deren Ende die Eltern feststellen, dass sie – je nach Schulstufe – 150 bis 300 Euro aufbringen müssen.
Eltern, die Arbeitslosengeld II beziehen, geraten in Not, weil in den Regelsätzen des ALG II für die Schulbildung ihrer Kinder kein Cent vorgesehen ist. Das haben diejenigen, die sich diese Reform ausdachten, nicht berücksichtigt. Die Kosten der allgemeinen Schulpflicht wurden bei der ganzen Hin- und Herrechnerei um die Regelsätze nicht bedacht – ob mit oder ohne Absicht.
Im Klartext heißt das: Mit 207 Euro (Kinder bis 14) oder 276 Euro (Kinder ab 14) – das Kindergeld wird voll auf diese Sätze angerechnet! – sollen Nahrung, Kleidung, Genussmittel, Strom und einiges Andere bezahlt werden. Die Kosten für die (Schul-) Bildung der Kinder sind darin nicht vorgesehen. Eltern geben für ein Kind, je nach Schulstufe und Ereignis unterschiedlich viel aus. So sind die Kosten z. B. bei der Einschulung eines Kindes höher als bei einem Klassenwechsel innerhalb der Schulstufe. Für Arbeitshefte, Schreibhefte, Stifte, Blöcke, Malutensilien, Kopiergeld, Klassenkasse usw. kommen oft mehr als 100 Euro zusammen.
Stehen besondere Anschaffungen wie zum Beispiel der grafikfähige Taschenrechner an, werden daraus auch schnell schon mal 300 Euro pro Kind. Die Eltern wissen nicht, wovon sie die Sachen bezahlen sollen, aber die ARGE Oldenburg lehnt Anträge auf Beihilfen ab und verweigert bis auf wenige Ausnahmen jede Unterstützung mit dem Hinweis, dass alle Kosten mit den
Regelsätzen abgedeckt seien.
Hier wird ein dringender Handlungsbedarf auf bundespolitischer Ebene deutlich. Aber es wäre fatal, mit diesem Hinweis die betroffenen Eltern vor Ort jedes Jahr aufs Neue allein zu lassen. Jetzt, wo die gesellschaftliche Ausgrenzung von Unterschichten neu „entdeckt“ wird, wo eine weitere Verwahrlosung von Kindern droht, wo klar ist, dass in keinem
anderen Land die Bildungschancen derart von der sozialen Herkunft abhängen wie in Deutschland, scheinen Politikerinnen und Politiker nur hilflos und ohnmächtig zu lamentieren: Frühförderung, Prävention, Bildung rauf und runter… Hier wäre Gelegenheit, den verbalen Beteuerungen Taten folgen zu lassen – konkrete Lösungen sind auf der kommunalpolitischen Ebene möglich. Wir machen dazu einen Vorschlag.
Hartz IV Regelsatz
Die Leistung des Arbeitslosengeldes II (Alg II) setzt sich zusammen aus der Regelleistung – Regelsatz – sowie den Kosten für die Unterkunft (Bruttokaltmiete plus Heizkosten); regelmäßige zusätzliche Leistungen wie Bekleidungsgeld oder Weihnachtsbeihilfe wurden fast komplett abgeschafft. Die gesetzgeberische Grundlage für die Bemessung der Regelsätze ist der aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) abzuleitende Eckregelsatz. Dieser wiederum setzt sich aus prozentualen Teilen von 11 Abteilungen zusammen. Das statistische Bundesamt ermittelt in regelmäßigen Abständen, was die unteren 20 Prozent der Haushalte mit den geringsten Haushaltseinkommen einkaufen. Die Regelsätze des SGB (und XII) leiten sich ab aus der EVS aus dem Jahr 1998 und sollen folgende Bedarfe decken:
Abt. 1: Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren;
Abt. 3: Bekleidung und Schuhe;
Abt. 4: Wohnung, Strom, Gas u. a. Brennstoffe;
Abt. 5: Einrichtungsgegenstände (Möbel), Apparate, Geräte und Ausrüstungen
für den Haushalt sowie deren Instandhaltung;
Abt. 6: Gesundheitspflege;
Abt. 7: Verkehr;
Abt. 8: Nachrichtenübermittlung;
Abt. 9: Freizeit, Unterhaltung und Kultur;
Abt. 11 Beherbergungs- und Gaststättenleistungen;
Abt. 12: Andere Waren und Dienstleistungen.
Abteilung 2 gibt es nicht und Abteilung 10, Bildung, wurde vom Gesetzgeber ausgeklammert.Auch im Rahmen der einmaligen Leistungen, für das Arbeitslosengeld m § 23 SGB II geregelt, ist dieser Bedarf nicht vorgesehen. Dennoch sind Lernmittel unbestreitbar ein notwendiger, sog. unabweisbarer Bedarf.
Die Ausstattung mit den notwendigen Schulmaterialien ist eine Grundvoraussetzung für das Recht auf Bildung und für eine erfolgreiche Teilnahme am Unterricht- und es ist eine Schande, dass nicht allen Schüler selbstverständlich diese Ausstattung zur Verfügung gestellt wird!
Was kann kommunal für Schulkinder getan werden?
Die Festsetzung der Regelsätze so wie die Gesetzgebung im SGB II ist Bundespolitik. Diese Feststellung wird von Kommunalpolitikern schnell (und gern?) vorgetragen, um sich aus der Verantwortung für die arbeitslosen BürgerInnen in der Stadt zu verabschieden. Aber diese Familien leben hier vor Ort mit uns zusammen in der Kommune. Rund 18.000 von 150.000 Einwohnern in Oldenburg, mehr als 20 Prozent aller Kinder unter 15 Jahren! Der Verweis auf die Bundespolitik heißt nichts anderes, als die Eltern und Kinder mit ihren Sorgen und Ängsten allein zu lassen. Es muss jedoch eine Lösung für die betroffenen Eltern geben, und es gibt Handlungsmöglichkeiten auf der kommunalen Ebene:
1. Möglichkeiten der ARGE
Die ARGE wird zur Hälfte von der Agentur für Arbeit, zur anderen Hälfte von der Stadt verwaltet. Darüber hat die Stadt einige Spielräume bei der Gestaltung und Umsetzung des SGB II vor Ort. § 44 SGB II ermöglicht die darlehensweise Bewilligung
eines Zuschusses bei gleichzeitigem Erlassen der Erstattung des Anspruches, wenn der zusätzliche Bedarf nicht bös- oder mutwillig oder gar fahrlässig herbeigeführt wurde und die Einziehung des darlehnsweise bewilligten Betrages eine unbillige Härte bedeuten würde. Davon kann man bei Ausgaben für Schulmaterialien ausgehen. Die Eltern stellen also einen Antrag auf ein Darlehen für Schulmaterialien und bezahlen damit die Kosten für diesen notwendigen Bedarf. Die ARGE verzichtet dann gemäß § 44 SGB II auf die Rückzahlung dieses Darlehns.
2. Möglichkeiten der Kommunalpolitik
Entsprechend könnte die Stadt Oldenburg einen kommunalen Lehrmittelfonds einrichten, der von der ARGE verwaltet wird und aus dem der Bedarf an Schulmaterial für betroffene Kinder als Zuschuss bezahlt wird. (ALSO Oldenburg, veröffentl. 26.05.07)
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