Hartz IV Rollback: Neuer Zeitplan für Abschaffung von Bürgergeld in die “Neue Grundsicherung”

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Seit dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD im Frühjahr 2025 steht fest, dass das Bürgergeld nur eine kurze Episode in der Geschichte der Existenzsicherung sein wird.

Ab 2026 soll die Leistung als „Neue Grundsicherung“ firmieren, flankiert von Einschnitten beim Schonvermögen, strengeren Sanktionen und einer vorläufigen Nullrunde bei den Regelsätzen.

Die Bundesregierung begründet die Kehrtwende mit Haushaltsnöten und angeblich fehlenden Arbeitsanreizen; Sozialverbände sprechen von einem drohenden „Rollback“ in die harte Hartz-IV-Logik.

Leistungsanspruch für ukrainische Geflüchtete

Besonders kontrovers ist die Entscheidung, ukrainische Kriegsvertriebene, die ab 1. April 2026 ankommen, nicht mehr nach dem SGB II zu unterstützen. Künftig sollen sie lediglich die niedrigeren Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten.

Die Bundesregierung rechnet damit, dadurch mehrere hundert Millionen Euro zu sparen; zugleich räumen Beamte im Haushaltsausschuss ein, dass ein Teil der Entlastung durch höhere Erstattungen an Länder und Kommunen wieder aufgezehrt wird.

Flüchtlingsinitiativen verweisen darauf, dass der Wechsel den Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Gesundheitsversorgung erschwert und Integrationsfortschritte gefährdet.

Eckpunkte des Gesetzesentwurfs „Neue Grundsicherung“

Arbeitsministerin Bärbel Bas will im Spätsommer oder Herbst 2025 den Referentenentwurf für die Neue Grundsicherung vorlegen.

Geplant sind die vollständige Abschaffung der Karenzzeiten für Unterkunftskosten und Vermögen, eine Vermögensprüfung ab dem ersten Tag des Leistungsbezugs sowie eine deutliche Absenkung der Freibeträge auf 15 000 Euro pro erwachsene Person.

Künftig gilt bereits selbstgenutztes Wohneigentum über 130 Quadratmeter als verwertbar. Darüber hinaus sieht der Koalitionsvertrag vor, bei „beharrlicher Arbeitsverweigerung“ sämtliche Leistungen zu streichen – ein Vorhaben, das direkt mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2019 kollidiert, das Totalsanktionen als unverhältnismäßig bezeichnet hatte.

Sozialrechtsexperten wie Harald Thomé von Tacheles e.V. halten die Pläne deshalb für verfassungsrechtlich hochriskant.

Bundesverfassungsgericht: Regelleistungen: Die Nullrunde 2026

Weil die neue Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS 2023/24) erst zum Jahresende ausgewertet vorliegt, verzichtet das Bundesarbeitsministerium 2026 auf eine reguläre Neuberechnung der Regelsätze. Die Leistungen werden lediglich fortgeschrieben, bleiben faktisch auf dem Niveau von 2024/25.

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Für Alleinstehende bedeutet das weiterhin 563 Euro im Monat. Sozialverbände kritisieren die Nullrunde als „kalte Kürzung“, weil Mieten und Lebensmittelpreise weiter steigen.

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Einkommensanrechnung erst 2027

Die Koalition will auch die Freibeträge für Erwerbseinkommen überarbeiten, hat sich jedoch eine lange Vorlaufzeit gegeben. Vorgesehen ist, die bislang gestaffelten prozentualen Freibeträge in ein einfacheres Modell zu überführen und zugleich die Anreize für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu stärken.

Nach Angaben des Ministeriums dürfte das neue System frühestens 2027 greifen, weil erst dann die erforderliche IT-Umstellung in den Jobcentern abgeschlossen ist.

Der Bundesetat 2025 weist mit knapp 52 Milliarden Euro bereits Rekordausgaben für das Bürgergeld aus. Dennoch kalkuliert Finanzminister Lars Klingbeil für 2026 Kürzungen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro und für 2027 sogar 4,5 Milliarden Euro ein.

Fachleute bezweifeln, dass diese Ziele erreichbar sind: Zum einen dämpft die schwache Konjunktur die Beitragseinnahmen, zum anderen könnte die Verlagerung ukrainischer Geflüchteter ins Asylbewerberleistungssystem Mehrausgaben in anderen Haushaltskapiteln erzeugen.

Verfassungsrechtliche und sozialpolitische Einwände

Scharfe Kritik kommt von Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Teilen der Wissenschaft. Sie verweisen darauf, dass Totalsanktionen gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoßen könnten und dass die Abkehr von der inflationssensitiven Regelsatzfortschreibung realen Kaufkraftverlust bedeute.

Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigen zudem, dass der Rückgang der Beschäftigungsaufnahmen seit 2023 kaum dem Bürgergeld zuzuschreiben ist, sondern vor allem der konjunkturellen Flaute. Ein härteres Sanktionsregime würde deshalb vermutlich mehr Armut als Arbeitsplätze erzeugen.

Wie geht es weiter?

In den kommenden Monaten stehen die parlamentarischen Beratungen über den Entwurf zur Neuen Grundsicherung an. Sozial­politische Akteure wollen dabei vor allem die Abschaffung der Karenzzeiten, die Höhe der Regelsätze und die geplanten Totalsanktionen zum Gegenstand einer breiten Debatte machen.

Ob die große Koalition ihre ambitionierten Sparziele hält, ist offen – klar ist jedoch schon jetzt, dass die Reform tief in das Gefüge der sozialen Sicherung eingreift und weitreichende Folgen für mehrere Millionen Leistungsberechtigte haben wird.