Atypische Lebenslage, besonderer Bedarf, klare Regeln: Wer Bürgergeld bezieht, kann zusätzlich zum Regelsatz einen Mehrbedarf bekommen, wenn ein unabweisbarer, besonderer Bedarf vorliegt.
Doch was gilt genau – und wo liegen die Grenzen? Wir ordnen die Rechtslage ein, korrigieren Mythen und zeigen, wie Betroffene ihren Anspruch durchsetzen.
Inhaltsverzeichnis
Was zählt als „Härtefall“?
Ein Härtefall liegt vor, wenn außergewöhnliche Umstände einen Bedarf auslösen, der im Regelsatz nicht vorgesehen ist – und weder durch Einsparungen noch durch Dritte gedeckt werden kann.
Es geht also um atypische Situationen, nicht um Alltagswünsche. Wichtig: Der Bedarf muss erheblich vom Durchschnitt abweichen.
Rechtsgrundlage – und was seit jüngerer Zeit anders ist
Der maßgebliche Anker ist § 21 Abs. 6 SGB II. Danach wird ein Mehrbedarf anerkannt, wenn im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht. Auch einmalige Bedarfe sind erfasst – aber nur, wenn ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II ausnahmsweise unzumutbar ist oder der Art nach nicht greift.
Zudem gibt es seit neueren Gesetzesänderungen einen eigenen Mehrbedarf für Schulbücher und Arbeitshefte: § 21 Abs. 6a SGB II. Das gilt ausdrücklich auch für digitale Schulbücher/Arbeitshefte oder entgeltliche Ausleihe.
Typische anerkannte Fälle – und klare Abgrenzungen
Umgangskosten: Wer getrennt von seinem Kind lebt, kann für Fahrten und ggf. Übernachtungen zur Ausübung des Umgangsrechts einen Mehrbedarf geltend machen. Maßstab ist das günstigste zumutbare Verkehrsmittel; starre Bagatellgrenzen gibt es nicht.
Gesundheitsbedingte Mehrbedarfe: Etwa spezielle Hygiene- oder Pflegeprodukte bei Hauterkrankungen, die nicht von Krankenkasse/anderem Träger übernommen werden und dauerhaft bzw. wiederkehrend anfallen. Hier prüft das Jobcenter streng die Vorrangigkeit anderer Leistungen.
Lassen Sie Ihren Bescheid kostenlos von Experten prüfen.
Bescheid prüfenHaushaltshilfen: Nur in eng begründeten Einzelfällen über § 21 Abs. 6 – regelmäßig sind Kranken‑/Pflegekasse oder die Eingliederungshilfe zuerst zuständig.
Nicht über § 21 Abs. 6:
- Nachhilfe/Lernförderung läuft als Bildungs- und Teilhabeleistung (§ 28 SGB II) – nicht als Härtefall-Mehrbedarf.
- Standard-Schulbedarf (Hefte, Stifte etc.) ist über BuT bzw. Pauschalen abgedeckt; Schulbücher/Arbeitshefte hingegen ausdrücklich als eigener Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6a.
Abgrenzung im Überblick
Regelung | Kurz erklärt |
§ 21 Abs. 6 SGB II | Härtefall-Mehrbedarf bei atypischen, unabweisbaren Bedarfen; auch einmalig möglich, wenn Darlehen unzumutbar oder artbedingt ausgeschlossen. Erforderlich: Erheblichkeit, keine Deckung durch Dritte, günstigste zumutbare Alternative. |
§ 21 Abs. 6a SGB II | Schulbücher/Arbeitshefte (inkl. digital, entgeltliche Ausleihe) als eigener Mehrbedarf. Kein „Allgemein-Schulmaterial“. |
§ 28 SGB II (BuT) | Lernförderung/Nachhilfe, Mehraufwand bei Teilnahme an Schulausflügen/Mehrtägigen Fahrten, Mittagessen, Schülerbeförderung etc. Nicht über § 21 Abs. 6. |
§ 24 SGB II | Darlehen für einmalige Bedarfe, soweit grundsätzlich möglich; Mehrbedarf nur, wenn Darlehen unzumutbar/unpassend. |
Wie hoch ist der Mehrbedarf?
Es gibt keine starre Pauschale. Das Jobcenter übernimmt die tatsächlichen, angemessenen Kosten – gedeckelt durch das, was kostengünstig und zumutbar ist.
Bei Umgangskosten sind z. B. Sparpreise/ÖPNV vorrangig. Bei gesundheitlichen Bedarfen zählen ärztliche Nachweise, Apothekenbelege oder produktbezogene Notwendigkeitsbescheinigungen.
U25: Auszug nur mit Zusicherung – Härtefall entscheidend
Unter 25-Jährige brauchen vor Abschluss des Mietvertrags die Zusicherung des kommunalen Trägers, damit Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) in der neuen Wohnung anerkannt werden.
Diese Zusicherung muss erteilt werden, wenn
schwerwiegende soziale Gründe ein Verbleib im Elternhaushalt unzumutbar machen (z. B. Gewalt, massiver Konflikt, untragbare Wohnverhältnisse), oder
der Umzug zur Eingliederung in Arbeit erforderlich ist, oder
ein ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
Wichtig: Wird ohne Zusicherung umgezogen, werden KdU regelmäßig nicht übernommen. Das ist eine Leistungsfolge, keine Sanktion. Sanktionen greifen nur bei Pflichtverletzungen – mit dem Umzug an sich hat das nichts zu tun.
So stellen Betroffene ihren Anspruch durch – in der Praxis
- Antrag/Anzeige: Den besonderen Bedarf schriftlich gegenüber dem Jobcenter geltend machen (kurze Begründung genügt; Mehrbedarf kann auch im Weiterbewilligungsantrag mit beantragt werden).
- Belege beifügen: Nachweise zur Notwendigkeit (ärztlich/therapeutisch, Schulbescheinigungen), Kostenbelege/Angebote, Reiseplan bei Umgangskosten, Vergleichsangebote für das günstigste zumutbare Mittel.
- Vorrangprüfung beachten: Krankenkasse, Pflegekasse, Eingliederungshilfe oder andere Leistungsträger zuerst – das Jobcenter springt nachrangig ein.
- Erheblichkeit darlegen: Kurz erläutern, warum der Bedarf deutlich über das Übliche hinausgeht und nicht aus dem Regelsatz bestritten werden kann.
- Bescheid prüfen & ggf. Widerspruch: Bei Ablehnung Widerspruch einlegen (Frist: 1 Monat). Kürzen Jobcenter pauschal oder ignorieren Belege, lohnt sich fachkundiger Rat.
Zusammenfassung
Härtefall-Mehrbedarfe sind kein Gnadenrecht, sondern ein klar geregelter Anspruch für außergewöhnliche Bedarfslagen. Wer sauber begründet, Belege sammelt und die richtige Rechtsgrundlage wählt (Härtefall-Mehrbedarf, Schulbuch-Mehrbedarf, BuT oder Darlehen), hat gute Chancen auf eine vollständige Kostenübernahme.