Menschen mit Behinderung müssen im Alltag vieles organisieren und bezahlen, was für andere gar nicht anfällt. Genau dafür gibt es spezielle Leistungen: von Assistenz und Eingliederungshilfe über das Persönliche Budget bis hin zu Nachteilsausgleichen und steuerlichen Entlastungen.
Doch die Regeln sind komplex – und oft werden Bürgergeld und Sozialhilfe durcheinandergebracht. Wir zeigen, was zusteht, wie Sie es beantragen und wo typische Missverständnisse lauern.
Inhaltsverzeichnis
Teilhabe statt Bittstellerei
Ziel des Sozialrechts ist die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Leistungen sollen Nachteile ausgleichen – im Job, in der Ausbildung, in der Schule, im Wohnen und in der Mobilität. Zentral ist dabei der Grad der Behinderung (GdB) und die Merkzeichen (z. B. G, aG, H, RF, B).
Beides stellt die Versorgungsverwaltung per Feststellungsbescheid fest. Erst mit diesem Bescheid sind viele Nachteilsausgleiche überhaupt abrufbar.
Eingliederungshilfe: Wenn Teilhabe wesentlich eingeschränkt ist
Die Eingliederungshilfe unterstützt Menschen, deren Teilhabe wesentlich eingeschränkt ist – oder bei denen eine solche Einschränkung droht. Sie umfasst u. a. Assistenz im Alltag, Wohn- und Arbeitsassistenz, heilpädagogische Leistungen sowie Hilfsmittel. Grundlage ist eine individuelle Bedarfsermittlung; daraus wird ein Ziel- und Hilfeplan entwickelt.
Wichtig: Leistungen gibt es nicht „von der Stange“, sondern genau in dem Umfang, der den festgestellten Bedarf deckt.
Persönliches Budget: Selbst bestimmen statt Sachleistung
Wer Unterstützung benötigt, kann statt Sachleistungen ein Persönliches Budget wählen. Das bedeutet: Geld statt Dienstleistung, selbstbestimmt eingesetzt – zum Beispiel für Assistenz, Fahrdienste oder therapeutische Angebote.
Die Budgethöhe wird individuell aus dem Bedarf abgeleitet und soll die Kosten einer gleichwertigen Sachleistung nicht überschreiten. Zuständig sind je nach Leistung u. a. Krankenkasse, Renten- oder Unfallversicherung, Integrationsamt, Sozialamt oder Agentur für Arbeit.
Treffen mehrere Zuständigkeiten zusammen, gibt es ein trägerübergreifendes Budget – ein Antrag bei einem Träger genügt, die Abstimmung läuft im Hintergrund. Eltern können das Budget auch für ihre minderjährigen Kinder beantragen.
Bürgergeld (SGB II) und Sozialhilfe (SGB XII): sauber trennen!
Hier passieren die meisten Fehler. Bürgergeld erhalten erwerbsfähige Menschen in einer Bedarfsgemeinschaft, Sozialhilfe/Grundsicherung dagegen dauerhaft voll erwerbsgeminderte Personen oder Menschen im Rentenalter, wenn das Einkommen nicht reicht. Beide Rechtskreise kennen Mehrbedarfe, aber zu unterschiedlichen Bedingungen.
Mehrbedarfe richtig zuordnen
Rechtskreis | Mehrbedarf wegen Behinderung | Wichtig |
SGB II (Bürgergeld) | 35 % des Regelbedarfs, wennerwerbsfähige Leistungsberechtigte Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder Eingliederungshilfenerhalten | Eine bloße Schwerbehinderung genügt nicht. Anspruch besteht zusätzlich zum Regelbedarf; Nachweis durch Bewilligungsbescheide der jeweiligen Träger. |
SGB XII (Sozialhilfe/Grundsicherung) | Mehrbedarfe u. a. bei Merkzeichen G(häufig 17 % des maßgeblichen Regelsatzes) sowie in weiteren Konstellationen | Gilt für nicht erwerbsfähigeLeistungsberechtigte bzw. im Alter. Voraussetzungen und Höhe sind SGB-XII-spezifisch und unterscheiden sich vom Bürgergeld. |
Merke: SGB II ≠ SGB XII. Wer Bürgergeld bezieht, kann den 35-%-Mehrbedarf nur bei laufenden Teilhabeleistungen geltend machen. Die oft zitierte „17-Prozent-Regel“ gehört nicht ins Bürgergeld.
Nachteilsausgleiche: Welche Vorteile bringt der Ausweis?
Viele Vergünstigungen knüpfen direkt an GdB/Merkzeichen an. Eine Auswahl:
Bereich | Was ist möglich? |
Mobilität & ÖPNV | Unentgeltliche Beförderung oder Ermäßigung mit Wertmarke (Merkzeichen G/aG/H/B), Begleitperson fährt mit (B), Parkerleichterungen bei aG (blaue EU-Parkkarte) |
Arbeit | Zusatzurlaub (Schwerbehinderte), besonderer Kündigungsschutz, Anspruch auf behinderungsgerechte Arbeitsplatzgestaltung; Gleichstellung ab GdB 30 möglich |
Steuern | Behinderten-Pauschbetrag (nach GdB gestaffelt) und weitere Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen |
Rundfunkbeitrag | Ermäßigung/Befreiung mit Merkzeichen RF (je nach Konstellation) |
Kfz-Steuer | Ermäßigung/Befreiung bei bestimmten Merkzeichen |
Kultur & Freizeit | Ermäßigungen bei vielen Anbietern (freie Entscheidung der Häuser, Nachweise mit Ausweis/Merkzeichen) |
Landesleistungen: Blindengeld und Gehörlosengeld
Wichtig: Blindengeld und Gehörlosengeld sind Leistungen der Bundesländer. Höhe, Voraussetzungen und teils sogar die Existenz eines Gehörlosengeldes variieren von Land zu Land. Wer Anspruch vermutet, sollte die Landesregelung prüfen (Sozial-/Versorgungsamt).
Grundsicherung bei voller Erwerbsminderung und WfbM
Wer dauerhaft voll erwerbsgemindert ist oder die Regelaltersgrenze erreicht hat und seinen Lebensunterhalt nicht decken kann, hat bei Bedürftigkeit Anspruch auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Das gilt auch für Menschen, die im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) tätig sind.
So kommen Sie an Ihre Rechte – kurz & knapp
- Feststellungsverfahren anstoßen: GdB/Merkzeichen beim Versorgungsamt beantragen – ohne Bescheid bleiben viele Nachteilsausgleiche verschlossen.
- Bedarf klären: Für Eingliederungshilfe und Persönliches Budget zählt die individuelle Bedarfsermittlung. Gute Vorbereitung spart Zeit.
- Richtigen Rechtskreis wählen: Bürgergeld (SGB II) bei Erwerbsfähigkeit, Sozialhilfe/Grundsicherung (SGB XII) bei voller Erwerbsminderung/Alter.
- Mehrbedarf gezielt beantragen: Im Bürgergeld nur bei Teilhabemaßnahmen; im SGB XII je nach Merkzeichen/Konstellation. Nachweise beifügen.
- Widerspruch nicht scheuen: Fristen beachten (i. d. R. 1 Monat). Bei Bedarf Beratungshilfe und Sozialverbände nutzen.