Fallmanagerin klagt gegen Jobcenter wegen widerrechtlichem Umgang mit Hartz IV Beziehern
07.06.2016
In den meisten Fällen decken Journalisten, Betroffene oder Erwerbslosengruppen Rechtsverstöße und andere Schweinereien in den Jobcentern auf. Interessanterweise hat nun eine Jobcenter-Mitarbeiterin ihre Behörde verklagt. Der Grund: Ihre Vorgensetzen hätten sie angewiesen, „gegen die Menschenwürde zu verstoßen“. Das widerspreche aber ihrem Selbstverständnis und dem ihrer Stellenbeschreibung, nachdem sie das Wohl der Hartz IV Beziehenden im Blick haben müsse.
Modellprojekt: Gleichlautende Eingliederungsvereinbarungen
Wie die Erwerbslosen-Hilfegruppe Tacheles e.V. berichtet, unternimmt das Jobcenter Osterholz ein sogenanntes Modellprojekt, in dem vollkommen identische Eingliederungsvereinbarungen an Leistungsberechtigte massenhaft versandt werden, ohne dass zuvor ein persönliches Gespräch mit dem Betroffenen stattfand. Diese sollen ohne gegenseitige Vereinbarung von dem Empfänger unterschrieben zurück geschickt werden. In diesen Eingliederungsvereinbarungen werden „Eigenbemühungen“ eingefordert, ohne eine Prüfung, ob dies überhaupt vom Leistungsberechtigten eingehalten werden kann. So sollen die Hartz IV Beziehenden beispielsweise verpflichtet werden, jeden Monat fünf Bewerbungen zu schreiben – ohne Rücksicht auf Arbeitsfähigkeit oder chronischer Erkrankungen. Zusätzlich waren viele Empfänger durch Sprachbariren und dem Verfahren als solches überfordert.
Wer sich weigert wird bestraft
Nur wer sich im Nachhinein gegen die rechtswidrige Eingliederungsvereinbarung verwahrte, bekam nachträglich ein Gespräch angeboten. In diesem wurden dann auch individuelle Vereinbarungen angeboten. Wer sich dagegen nicht auflehnte aber vorgeschriebene einseitige Vereinbarungen nicht erfüllte, sollte nach Weisung der Vorgesetzten zuerst eine 30 prozentige Leistungskürzung als Sanktion aussprechen, um dann schrittweise weiter um 60 oder sogar 100 Prozent den Hartz IV Leistungssatz zu kürzen.
Das Jobcenter ignoriert dabei die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Das Gericht hat in mehreren Urteilen immer wieder betont, dass „standardisierte Massenverwaltungsverfahren bei Eingliederungsvereinbarungen“ rechtswidrig sind. Diese werden nämlich nicht den individuellen Bedürfnissen des Einzelnen gerecht.
Allerdings liegt hier offenbar neben dem sozialrechtswidrigen Verfahren auch ein strafbares Handeln vor. Die Leistungsberechtigten bestätigten nämlich mit ihrer Unterschrift, dass die Beratungsgespräche stattgefunden hätten und sogar gemeinsam die Inhalte erstellt wurden. Hier könnte eine Nötigung des Leistungsberechtigten vorliegen, zumal diese Gespräche ja nicht stattfanden.
Bewusst in existenzielle Nöte gebracht
Eine Fallmanagerin hat sich nun geweigert, diese rechtswidrige Praxis umzusetzen. Die Hilfesuchenden werden ihrer Ansicht nach bewusst in existenzielle Nöte gebracht. „Zahlreiche Versuche ihrerseits, behördenintern eine Lösung zu finden, hatten zur Folge, dass ihr sämtliche Kompetenzen entzogen wurden und ihr verboten wurde, ihrer gesetzlichen Beratungspflicht gegenüber den Kunden nachzukommen“, schreibt Tacheles. Die Jobcenter-Mitarbeiterin reichte Klage beim Arbeitsgericht ein. Das Gericht sollte feststellen, dass die Arbeitsweise der Behörde massenhaft gleichlautende Eingliederungsvereinbarungen rechtswidrig sei und deshalb der Entzug der Kompetenzen aufgehoben werden müsse. Doch das Gericht wies die Klage mit der Begründung ab, dass das Modellprojekt inzwischen beendet sei. Über die Verfahrensweise in der Vergangenheit wolle das Gericht nicht mehr urteilen.Das Arbeitsgericht glänzte dabei nicht gerade mit Wissen des Sozialrechts.
Hier wird deutlich, wie eingeschränkt Mitarbeiter in ihrem Handeln sind, wenn sie sich gegen Missstände wehren wollen. Leidtragende sind aber nicht nur kritische Mitarbeiter der Jobcenter, sondern vor allem Leistungsberechtigte, die so massenweise sanktioniert werden, obwohl die Praxis mehr als rechtswidrig erscheint. (sb)
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