Hartz IV: Einschulungsbeihilfe gesetzliche Pflicht
Bochum. Die Unabhängige Sozialberatung bedauert, dass der Antrag der Linkspartei vom Rat abgelehnt wurde. Wenn – wie einhellig festgestellt – die Regelleistung dafür nicht reicht, gibt es eine gesetzliche Verpflichtung, diesen unabweisbaren Bedarf anderweitig zu decken. Wir empfehlen, die Einschulungsbeihilfe zu beantragen und bei Ablehnung zu klagen. Klage und anwaltliche Hilfe sind für die Betroffenen kostenfrei. Wir gehen von grossen Erfolgsaussichten aus: die Sozialgerichte haben immer wieder entschieden, dass die Kommune einzuspringen hat, wenn Mangel droht. Sie haben signalisiert, dass diese Möglichkeit „noch belastbar“ ist.
Käme es, wie von SPD und Grünen gefordert, zu einer gesetzlichen Wiedereinführung entsprechender einmaliger Beihilfen, so würde das nach der Systematik des Hartz IV- Gesetzes ohnehin zu Lasten der Kommune. Warum also nicht gleich dazu stehen?
Besondere Verantwortung der Kommune:
Die Kommune ist „Keimzelle staatlicher Ordnung“. Sie stellt die ursprüngliche Lebenseinheit dar, ursprünglich auch im Sinn der Aufgabenerfüllung. Denn hier erwarten und erleben die BürgerInnen das Handeln des Staates unmittelbar. Die Aufgaben der Gemeinde sind nicht begrenzt, nicht strikt aufgelistet. Prinzipiell gehört alles, was die örtliche Gemeinschaft betrifft, zu ihren Aufgaben (allumfassend). Wenn Probleme auftauchen, neue Herausforderungen sich stellen, werden sie an Ort und Stelle zuerst wahrgenommen und verlangen nach Antworten von der Gemeinde. Hier geht es um Lebensraum und Lebensbedingungen. Vor allem der Sozialbereich ist wegen seiner grundsätzlichen Zuständigkeit für alle Lebenslagen von Menschen in die Pflicht genommen. Hier geht es u.a. um die Aktivierung und Förderung von Menschen in schwierigen, prekären Lebenslagen, auch um die Förderung von Familien und jungen Menschen, um die Schaffung von Startpositionen für die heranwachsende Generation.
So gilt für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben bis heute die Zuständigkeitsvermutung der Gemeinden. Erst wenn sie überfordert sind oder übergeordnete Gesichtspunkte und Interessen großräumigere oder einheitlichere Lösungen notwendig machen, sind Land oder Bund gefordert. Auch alle ungewollten Lücken in der Staatstätigkeit füllen im Zweifelsfall die Gemeinden aus.
Wenn die Sozialdezernentin beklagt, es leide die Chancengleichheit, weil bestimmte Notwendigkeiten nicht bezahlbar seien (1), so gerät das in Konflikt mit grundgesetzlichen Prinzipien. (GG Art. 3) Die Verfassung des Landes NRW postuliert für jedes Kind „ein Recht auf Achtung seiner Würde als eigenständige Persönlichkeit und auf besonderen Schutz von Staat und Gesellschaft“ und „ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit“. „Jedes Kind hat Anspruch auf Erziehung und Bildung. …“ (2).
Als konkretes Recht sind hier anzuwenden das Hartz IV – Gesetz (SGB II), die allgemeine Sozialhilfe (SGB XII) und das Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII).
Letzteres bietet die Basis für Pflicht und Berechtigung kommunalen Tuns, denn: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (3). Auch der „Auffangparagraf“ 73 des SGB XII „Hilfe in sonstigen Lebenslagen“ bietet hier Verpflichtung und Berechtigung zugleich. Die Sozialgerichte machen zunehmend Gebrauch von dieser Norm, um Defizite des Hartz IV-Gesetzes „auszubügeln“; bis in höchste Richterkreise hinein wurde signalisiert, dass das durchaus „noch belastbar“ sei. Wir werden diesen Hinweis nutzen. Den gerade wenn die Gesetzeslage unzureichend ist, verlangt das Bundesverfassungsgericht, haben „die Gerichte sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen (zu) stellen. … “ (4): Das gilt in gleichem Maße für die Kommunen und ihre Verwaltung. Die Kommune steht in der Pflicht, sich um die Deckung unabweisbarer Bedarfe zu kümmern – selbst wenn das vorrangig Aufgabe Anderer wäre. Sozialrechtliche Normen stehen nicht zur Disposition für fiskalische Erwägungen.
So löst sich die Feststellung in der PM der GRÜNEN, eine Einschulungsbeihilfe sei im Nothaushaltsrecht nicht möglich, auf in die Feststellung der Sozialdezernentin, das sei „nicht bezahlbar“. Bezahlbar schon, meinen wir, aber da jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann, müsste dazu eine Umschichtung im Haushalt erfolgen. Weg von der Subventionierung derjenigen, die durch hohe Geburt oder durch Aufstieg ohnehin privilegiert sind, hin zu den genannten gesetzlichen Verpflichtungen. Chancenungleichheit kommt nicht von ungefähr.
Auch wenn zu Recht angemahnt wird, dass manche Probleme erst entstehen durch die „unsozialen Auswirkungen von Hartz IV“ (grüne PM) und weil der Staat sich aus der Verantwortung stiehlt: nach der Systematik des Hartz IV – Gesetzes würde eine Erweiterung der (wenigen) „einmaligen Beihilfen“ des SGB II ohnehin zu Lasten der Kommunen gehen (vgl. § 23 i.V. mit § 6 SGB II). Warum also nicht gleich dazu stehen?
(1) Ruhrnachrichten Bochum vom 1. März 2008
(2) Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Juni 1950, Art. 6 und 8.
(3) Sozialgesetzbuch (SGB) – Achtes Buch (VIII) – Kinder- und Jugendhilfe, § 1
(4) Bundesverfassungsgericht am 12.Mai 05 (Az.: 1 BvR 569/05)
(PM Sozialberatung Bochum, 02.03.2008)
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