Hartz IV: Jobcenter in Berlin verschicken massenhaft Mahnschreiben
27.02.2012
Etwa 100.000 Hartz IV Beziehern drohen in Berlin Zwangsumzüge. Die Jobcenter der Hauptstadt haben nach Medienberichten bereits 65.000 Mahnungen an Mieter verschickt. Der rot-schwarze Senat hat angekündigt neue Richtlinien vorzulegen. Kritiker glauben nicht daran, dass angemessene Richtlinien erarbeitet werden. Der Senat betont hingegen, dass Umzüge in die Randbezirke vermieden werden sollen.
Derzeit erarbeitet der Senat neue Richtlinien, um die Kosten der Unterkunft in Berlin für Arbeitslosengeld-II-Bezieher neu zu regeln. Der Gesetzgeber verlangt, dass sich die Wohnkosten an den tatsächlich zur Verfügung stehenden Wohnungen und deren Mieten orientieren muss. Nach Ansicht der Initiative „Gegen Zwangsumzüge in Berlin“ ist allerdings zu erwarten, dass sich der Senat dabei der „alten Methode der Leerstandserfassung nach Stromzählerabschaltung“ bedient. Dabei gibt es seit zwei Jahren eine nicht unerhebliche Anzahl an Mietern, die sich den Strom nicht mehr leisten können, aber auch keine preiswertere Wohnung finden. „So wird ihr Drama zur Grundlage der Behauptung, Berlin hätte genügend Leerstand und damit keine Wohnungsnot“.
Aktuell stehen z.B. 900 Bescheide zur Kostensenkung allein durch das Jobcenter in Neukölln max. 60 Wohnungen, die im Rahmen der Kosten der Unterkunft passen würden, gegenüber. Rund um das Kottbuser Tor hat jeder dritte Mieter durch die Mietsteigerungen u.a. der GSW nach Abzug der Wohnkosten weniger als 200 Euro im Monat zur Verfügung. Bei der Hälfte der Mieter beträgt der Anteil der Miete zwischen 50 und 70 Prozent von ihrem Haushaltsnettoeinkommen.
Durch den aktuellen Mietspiegel sehen sich zahlreiche Mieter, die in den letzten zwei Jahren gerade noch eine Wohnung gefunden hatten, schon wieder mit einer Mieterhöhung nach dem Mietspiegel von 2011 konfrontiert. Die Finanzierung der Miete aus dem Hartz IV Regelsatz stürzt zahlreiche Mieter in die totale Armut. „Erst wird der Strom abgestellt, dann kommt die Zwangsräumung in die Wohnungslosigkeit“. Die Betroffenen können dann nur noch in die Randbezirke ausweichen oder stehen auf der Straße.
„Mit der erwarteten Satzungsermächtigung wird die allgemein bekannte Situation, die jeden fünften Bewohner Berlins betrifft, nun weiter verschärft. Massenwohnungslosigkeit, soziale Ghettos und eine weitere Entsolidarisierung der angstbesessenen Mittelschicht werden ein Klima von rassistischen und faschistoiden Tendenzen befördern“, so ein Sprecher der Initiative.
Der Senat behauptet hingegen, man wolle zwar neue Richtlinien vorlegen, die aber im Gesamtkonzept verhindern sollen, dass ganze Stadtbezirke ihre Wohnstruktur verändern müssten. Bis zum Sommer diesen Jahres will der Senator für Arbeit und Soziales, Mario Czaja (CDU), die neue Rechtsverordnung erarbeitet und bekannt geben. Darin enthalten sollen „nachvollziehbare Richtwerte“ die Kosten der Unterkunft für ALG II Bezieher regeln. Seit letztem Jahr liegt ein Urteil des Bundessozialgerichts vor, dass nachvollziehbare Regelungen fordert. Bis zum heutigen Tage konnte sich der Berliner Senat nicht dazu durchringen, das Urteil umzusetzen.
Höhere Werte für Nebenkosten?
Laut Czaja werde derzeit diskutiert, ob bei den Nebenkosten höhere Werte angesetzt werden. Der Mietspiegel soll sich dabei an „einfachen Wohnanlagen“ orientieren. Auch werde angedacht, regionale Unterschiede in den Förderungen anzulegen. Das würde bedeutet, dass für einzelne Stadtteile auch andere Mietrichtlinien gelten. Laut eines Senatssprechers könnte so verhindert werden, dass Hartz IV-Bezieher aus ihren Stadtteilen verdrängt und an die Randbezirke wie Marzahn gedrängt werden. Im Detail wollte sich der Senator dazu nicht äußern. Zunächst müssten Gespräche mit der Senats-Finanzverwaltung geführt werden. Erklärtes Ziel: Die Ausgaben für den Senat zu senken. Allerdings: .„Wir wollen aber auch keine Verdrängung an den Stadtrand“, sagte Czaja. Der ehemalige rot-rote Senat hatte sich trotz der Dringlichkeit nicht dazu durchringen können, die Ausführungsvorschrift Wohnen (AV Wohnen) neu zu berechnen. Zu sehr waren beide Koalitionäre unterschiedlicher Meinung. Der SPD waren das Sparen damals wichtiger. Daran wird sich auch heute nicht viel geändert haben.
Elke Breitenbach, sozialpolitische Sprecherin der Partei „Die Linke“ forderte, dass die „Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung“ in den neuen Haushalt der Stadt mit beachtet werden. Der neue Haushalt für dieses und nächstes Jahr wird im Mai verabschiedet.
100.000 Menschen von Zwangsumzügen bedroht
Nach Angaben der Jobcenter leben rund 100.000 Hartz IV Single und Bedarfsgemeinschaften in „zu teuren Wohnungen“. Allein in Mitte (mit den Stadtbezirken Alt-Mitte, Tiergarten und Wedding) lebten im letzten Jahr rund 14.027 Menschen in Wohnungen oberhalb des nicht angepassten Grenzwertes. In Neukölln waren es rund 11.500, in Tempelhof-Schöneberg ca. 9800. Rund 65.000 Hartz IV Betroffenen wurden seitens der Jobcenter Mahnungen verschickt, sie sollen die „Kosten der Unterkunft senken“.
Situation spitzt sich immer weiter zu
Die Problemlage in Berlin spitzt sich demnach immer weiter zu. Verantwortlich für die katastrophale Situation ist zum einen die unfähige Politik, die trotz Urteilen und Warnungen nicht ins Handeln kommt und zum anderen Mietspekulanten, die die Mieten immer weiter nach oben treiben. Der Berliner Mieterverein klagt seit mittlerweile einigen Jahren, dass die Richtwerte für Hartz IV Wohnungen viel zu niedrig sind und noch aus dem Jahre 2009 stammen.
Einzige Chance: Antrag auf Hartz IV Härtefallregelung
Wer zu den sogenannten „Härtefällen“ gehört, ist zunächst nicht von Zwangsumzügen bedroht. Dazu gehören Alleinerziehende, ältere Menschen und werdende Mütter. Laut des Mietervereins konnten 36.335 der sogenannten Bedarfsgemeinschaften bei einer Überprüfung geltend machen, dass sie zu den „Härtefällen“ gehören. In diesen Fällen konnte ein zwangsweiser Umzug verhindert werden. Alle anderen sehen sich der Gefahr ausgesetzt, bald umziehen zu müssen. Einziger Ausweg sind Untermietverträge, Rücknahme durch Mieterhöhungen durch den Vermieter oder Aufschlagzahlungen durch den Mieter selbst. 1313 Menschen konnten im letzten Jahr die Kostensenkung nicht erreichen und mussten umziehen. „Ob es Hoffnung gibt?“ Die Gruppe „ Kampagne gegen Zwangsumzüge in Berlin“ glaubt nicht an verbesserte Richtlinien. Sie plant für den Tag X, also für den Tag der Bekanntgabe der neuen Richtlinien, Protestaktionen. „Das Recht auf Wohnen will erkämpft werden“, so ein Sprecher. (sb)
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