Ausgrenzen und Abschieben statt Fordern und Fördern
von Dietmar Brach
Ausgrenzen und Abschieben statt Fordern und Fördern In ihren Sonntagsreden sind sich Politiker über alle Parteigrenzen hinweg einig: Bildung ist der Schlüssel zum Weg aus der Arbeitslosigkeit. Der Staat beklagt, dass es Familien gibt, die bereits in der zweiten oder dritten Generation von Sozialhilfe leben. Die Ursache für dieses Dilemma sieht man in einer "bildungsfernen Unterschicht".
Die Arbeitslosenhilfe Rheinland Pfalz möchte hier einen Fall vorstellen, bei dem der Staat und seine Einrichtungen alles tun um einen Weg aus der Sozialhilfe unmöglich zu machen. Pascal B. ist ein 12 jähriger Schuler an einer rheinlandpfälzischen Realschule. Die Mutter von Pascal hat mehrere Schlaganfälle erlitten und musste wegen weiterer chronischen Erkrankungen regelmäßig in Kliniken behandelt werden. Pascal leidet deshalb unter schweren Trennungsängsten und ist emotional nicht sehr belastbar. Seine Eltern leben von Hartz IV.
Im Jahre 2004 zieht die Familie in direkte Nähe zu der örtlichen Gesamtschule, um dem Sohn lange Schulwege zu ersparen. Im Losverfahren erhält Pascal keinen Platz an einer Gesamtschule; ein Härtefallantrag in dem die Förderungsmöglichkeiten einer Gesamtschule vom Vater des Kindes, der selbst Pädagoge ist, zur Kompensierung der Defizite in der Entwicklung als dringend notwendig beschrieben werden, wird abgelehnt. Pascal wird dann von den Eltern in der 3 km entfernten Realschule angemeldet. Die Fahrtkosten zur Schule werden den Eltern, die von Hartz IV leben, nicht erstattet da der Schulweg, laut Begründung, nicht gefährlich sei.
Im fünften Schuljahr fallen Lehrmittelkosten in Höhe von 482 Euro an. Die Kreisverwaltung zahlt einen Zuschuss in Form eines Gutscheines in Höhe von 72 Euro, der allerdings ausschließlich für den Kauf neuer Bücher verwendet werden kann,. Die restlichen 412 Euro werden beim Arbeitsamt als Darlehen beantragt. Das Arbeitsamt gewährt dieses Darlehen und zieht von der ursprünglichen Regelleistung in Höhe von 675 Euro monatlich 50 Euro ab, so dass der dreiköpfigen Familie ein Betrag von 625 Euro monatlich bleibt. Dieser Umstand führt dazu, dass in der Folge die Stromrechnung nicht gezahlt werden kann und eine Stromsperre erfolgt. Nur durch einen Wechsel des Stromanbieters kann diese wieder aufgehoben werden. Ein weiterer Antrag der Familie an die Arge, das Darlehen auszusetzen bzw. mit dem Einkommen des Sohnes, sprich Kindergeld zu verrechnen, wird nicht beantwortet. Da die Schulbücher im fünften Schuljahr erst verspätet angeschafft wurden, kommt es zu diskriminierenden Äußerungen in der Schule. Ein Lehrer vertrat die Ansicht "wenn deine Eltern sich eine so gute Schule nicht leisten können sollen sie dich auf die Hauptschule schicken" eine andere Lehrkraft verbietet das Mitbenutzen des Schulbuchs des Tischnachbarn. Hausaufgaben, die wegen fehlender Bücher nicht gemacht werden, werden mit Note 6 bewertet. Das Resultat ist ein entsprechendes Zeugnis.
Im Hinblick auf den aktuellen Leistungsstand beantragen die Eltern eine freiwillige Wiederholung des fünften Schuljahres. Dies wird von der Schulleitung kategorisch abgelehnt. Zunächst sogar eigenmächtig, ohne Beschluss der Klassenkonferenz. Für das 6. Schuljahr werden nun wieder Schulbücher gebraucht die ebenfalls vom Hartz IV Satz bestritten werden sollen. Der Einwand des Vaters, dass es in Hessen Lehrmittelfreiheit gibt und der Hartz IV Satz dort genau so hoch oder besser gesagt niedrig ist, wie in Rheinland Pfalz wird mit der Empfehlung, „man könne ja nach Hessen ziehen“ abgetan.
Der Vater wendet sich an den Bürgerbeauftragten des Landes, schreibt an Ministerien – eine Lösung des Problems ist nicht in Sicht. Eine Beschwerde bei der Dienstaufsichtsbehörde in Neustadt hat zur Folge, dass die Schule darüber informiert wird, dass nicht die Schulleitung sondern die Klassenkonferenz über den Antrag auf freiwilliges Wiederholen entscheiden kann. Die Schule schiebt daraufhin eine nachträgliche Entscheidung der Klassenkonferenz nach. Das Kind ist nun im sechsten Schuljahr, allerdings ohne die notwendigen Schulbücher. Durch diese Situation wird das Kind krank, es entstehen im ersten Halbjahr 33 Fehltage. Dennoch schafft es Pascal sich in 3 Fächern um eine volle Note zu bessern, ebenso verbessern sich seine Kopfnoten. Statt dies mit einer Revidierung der falschen Entscheidung gegen eine freiwillige Wiederholung des 5 Schuljahres zu würdigen, wird im Halbjahreszeugnis erneut festgestellt, dass Pascal ohne Leistungssteigerung am Schuljahresende zur Hauptschule wechseln muss. Zwischenzeitlich hat die Dienstaufsichtsbehörde mit einer zynischen Begründung den Widerspruch gegen die Entscheidung kostenpflichtig (160,90 Euro)zurückgewiesen.
In der Begründung wird den Eltern die Schuld für das fehlende Lehrmaterial gegeben und von offensichtlichen Defiziten bei der Unterstützung durch die Eltern gesprochen. Die Eltern haben sich neben dem Dienstweg auch an den Bürgerbeauftragten des Landes Rheinland Pfalz gewandt, ebenso wurde die rheinlandpfälzische Sozialministerin um Hilfe gebeten. Während der Bürgerbeauftragte mit Schreiben vom 23. Januar noch auf erbetene Stellungnahmen wartet, blieb eine Antwort des Ministeriums bis heute aus. Ein Antrag auf einen Umzug nach Hessen bei der zuständigen Arge wurde von dort ebenfalls abgelehnt. Die Eltern von Pascal haben nun eine Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht, um das gemeinsame Bestreben von Schulleitung und Dienstaufsichtsbehörde, Kinder aus sozial schwachen Familien in die Hauptschulen abzuschieben, zu unterbinden. In einem Gespräch zwischen den betroffenen Eltern und der zuständigen Dienstaufsichtsbehörde, hat der Vertreter der Behörde diese Praxis auch offen zugegeben und davon gesprochen „man sitze eben am längeren Hebel“.
Es darf nicht länger sein, dass Kinder aus Hartz IV Familien von Bildung fern gehalten werden. Schlimm genug, wenn kein Geld für Nachhilfe da ist. Aber eine solches Versperren von Chancen muss ein Ende haben. Wir versuchen nun die Öffentlichkeit für diese Problematik zu interessieren. Wer uns dabei unterstützen kann und will, kann uns gerne mailen. (10.02.07, Arbeitslosenhilfe Rheinland-Pfalz Dietmar Brach)
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