Die Debatte um die Bezahlkarte für Geflüchtete hat sich in den vergangenen Monaten merklich verschärft. Ursprünglich als technisches Mittel gedacht, um Bargeldauszahlungen zu ersetzen und Verwaltungsvorgänge zu vereinfachen, ist die Karte längst zu einem Brennpunkt sozial‑ und rechtspolitischer Kontroversen geworden.
Aktueller Zündstoff kommt aus Hamburg: Dort prüft der Senat in einem Vorprojekt, ob das sogenannte „Social Card“-System auch bei Sozialhilfe‑ und Jugendhilfebeziehern eingesetzt werden kann – ein Schritt, der Ängste vor einer Ausweitung auf das reguläre Bürgergeld schürt.
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Vom Pilotprojekt zur fast bundesweiten Einführung
Seit 2024 haben sich vierzehn der sechzehn Bundesländer auf gemeinsame Standards geeinigt, um die Bezahlkarte flächendeckend für Asylbewerber einzuführen.
Nur Bayern und Mecklenburg‑Vorpommern verfolgen eigene Modelle. Damit ist die Karte faktisch zu einem bundesweiten Instrument avanciert, auch wenn Konditionen, Bargeldobergrenzen und technische Anbieter weiterhin regional variieren.
Wie funktioniert die Bezahlkarte?
Technisch handelt es sich um eine guthabenbasierte Debit‑ oder Prepaid‑Karte, die – je nach Landesvorgabe – Zahlungen im Handel ermöglicht, Online‑Transaktionen jedoch häufig blockiert und Bargeldabhebungen stark limitiert; meist dürfen monatlich höchstens fünfzig Euro in bar bezogen werden.
In einigen Kommunen ist der Einsatz räumlich auf ein bestimmtes Land‑ oder Postleitzahlengebiet beschränkt. Die Finanzbehörde in Hamburg beschreibt das Konzept offiziell als „Mehr an Ermöglichung“, weil Menschen ohne Konto so erstmals digital bezahlen könnten.
Kritik an Einschränkungen und Kosten
Menschenrechts‑ und Wohlfahrtsverbände bemängeln dagegen eine Reihe praktischer Probleme: Viele kleine Geschäfte akzeptieren die Karte nicht, Rückerstattungen sind kompliziert oder unmöglich, und Gebühren fallen teils bereits bei Barabhebungen an.
In Berlin explodierten die Einführungskosten von ursprünglich veranschlagten 366 000 Euro auf rund fünf Millionen Euro – ohne dass der behauptete Spareffekt für die öffentliche Hand eintrat.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Rechtlich stützt sich die Bezahlkarte auf § 3 Asylbewerberleistungsgesetz, der ausdrücklich Sach‑ und Geldleistungen in Form von Wertgutscheinen oder Karten vorsieht.
Das Bayerische Landessozialgericht hat in einem vielbeachteten Beschluss vom 19. Februar 2025 klargestellt, dass die Karte verfassungskonform sein kann, solange das menschenwürdige Existenzminimum gewahrt bleibt – selbst wenn Bargeld nur in geringem Umfang verfügbar ist.
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Bescheid prüfenFür das Bürgergeld nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch gilt eine andere Systematik: Der Regelbedarf wird als monatlicher Pauschalbetrag anerkannt. Zwar erlaubt § 4 SGB II auch Sachleistungen, doch fehlen bislang explizite Kartenvorschriften.
Sozialrechtler wie der Hamburger Emeritus Karl‑Jürgen Bieback halten deshalb flächendeckende Beschränkungen für Bürgergeld‑Empfänger rechtlich für anfechtbar, weil hier anders als im Asylrecht kein Sachleistungsprinzip vorgesehen ist.
Hamburger Vorstoß: Ausweitung auf weitere Leistungsbereiche
Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) erprobt die Social Card derzeit in der Jugendhilfe: Betreuerinnen und Betreuer heben Taschengeld am Automaten ab, anstatt Bargeld in Behörden zu holen. Der Senat betont, dass für diese Zielgruppe keine zusätzlichen Restriktionen vorgesehen seien. Gleichwohl warnt die Links‑Abgeordnete Carola Ensslen, nach dem Asylsystem könne nun eine „nächste Gruppe, die diffamiert wird“, folgen.
Was bedeutet das für Bürgergeld‑Empfänger?
Noch ist eine Bezahlkarte im SGB‑II‑System politisch nicht beschlossen. Doch Stimmen aus CDU und FDP haben eine solche Option wiederholt ins Spiel gebracht – etwa als flankierende Sanktion für „Totalverweigerer“. Würde die Karte in dieser Form kommen, stünden neben Bargeldlimits auch regionale Einsatz‑Beschränkungen, Online‑Ausschlüsse und Zusatzgebühren im Raum.
Der Streitpunkt lautet, ob solche Eingriffe vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hätten oder eine unzulässige Kürzung der Teilhabemöglichkeiten darstellen.
Der digitale Euro als Hintergrundrauschen
Parallel läuft im Eurosystem die zweijährige Vorbereitungsphase für einen möglichen digitalen Euro, die Ende 2025 ausläuft. Ob die EZB anschließend wirklich eine digitale Zentralbankwährung einführt, entscheiden Politik und Notenbanken später.
Dennoch fließt die Diskussion in das Bezahlkarten‑Narrativ ein: Kritiker sehen in beiden Projekten Schritte in Richtung einer weitgehend bargeldlosen und stärker kontrollierten Zahlungsinfrastruktur.
Wer ist dafür und wer dagegen?
Während auf Landes‑ und Kommunalebene regelmäßig über technische Details gestritten wird, kulminiert die politische Dimension im Bund: Die Unionsparteien drängen auf flächendeckende Umsetzung zur „Missbrauchsbekämpfung“, die Grünen mahnen Datenschutz und Stigmatisierungsgefahr an, und Teile der SPD werben für eine sozial ausbalancierte Anwendung.
Ob der Hamburger Modellversuch Schule macht, dürfte damit vor allem eine Frage politischer Mehrheiten und gerichtlicher Bewertungen werden.