Freibetrag bei Schwerbehinderung: Das geht auch rückwirkend

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Wer einen Schwerbehindertenausweis oder einen Feststellungsbescheid zum Grad der Behinderung (GdB) erst spät erhält, stellt oft erst danach fest, dass damit auch steuerliche Entlastungen verbunden sind.

Schnell taucht dann die Frage auf, ob dieser „Freibetrag“ auch rückwirkend berücksichtigt werden kann – also für Jahre, die steuerlich eigentlich schon „durch“ sind.

Die gute Nachricht: Rückwirkung ist möglich. Die weniger bequeme Nachricht: Es hängt an Fristen, am Datum, ab dem die Behinderung offiziell gelten soll, und daran, ob die betreffenden Steuerjahre noch verfahrensrechtlich geändert werden dürfen.

Was mit „Freibetrag“ meist gemeint ist

Im Alltag wird oft vom „Freibetrag“ gesprochen. Steuerrechtlich sind dabei zwei Dinge gemeint, die leicht verwechselt werden.

Zum einen gibt es den Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Einkommensteuergesetz. Das ist ein jährlicher Pauschalabzug in der Einkommensteuererklärung, der behinderungsbedingte Mehraufwendungen typisierend abgelten soll. § 33b EStG beschreibt ausdrücklich, dass er Aufwendungen für Hilfe im Alltag, Pflege und erhöhten Wäschebedarf abdecken soll und dass er anstelle eines Abzugs nach § 33 EStG für diese Aufwendungen gewählt wird.

Zum anderen gibt es die Möglichkeit, einen Freibetrag im Lohnsteuerabzug eintragen zu lassen, damit schon monatlich weniger Lohnsteuer einbehalten wird. Das läuft über das Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren und wirkt nur im laufenden Jahr beim Gehalt, ersetzt aber nicht die Steuererklärung.

Wenn es um „rückwirkend“ geht, ist fast immer der Behinderten-Pauschbetrag in der Einkommensteuer gemeint – also die Erstattung über Steuerbescheide vergangener Jahre.

Behinderten-Pauschbetrag und Schwerbehinderung: Anspruch und Beträge

„Schwerbehinderung“ beginnt sozialrechtlich bei einem GdB von 50. Steuerlich ist der Einstieg aber niedriger: Einen Behinderten-Pauschbetrag bekommt bereits, wessen GdB mindestens 20 beträgt.

Die Höhe hängt vom festgestellten GdB ab und steigt stufenweise von 384 Euro pro Jahr (GdB 20) bis 2.840 Euro (GdB 100). Bei den Merkzeichen „H“ (hilflos), „Bl“ (blind) oder „TBl“ (taubblind) gibt es einen deutlich höheren Pauschbetrag von 7.400 Euro; dann kommt der „normale“ Pauschbetrag nach dem GdB nicht noch zusätzlich obendrauf.

Wichtig für die Praxis: Der Nachweis läuft typischerweise über den Schwerbehindertenausweis oder einen Bescheid der zuständigen Stelle nach § 152 SGB IX. Das ist in der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung geregelt.

Warum der Pauschbetrag oft „für das ganze Jahr“ zählt

Viele glauben, es komme darauf an, ab wann im Jahr die Behinderung anerkannt wurde. Für den Behinderten-Pauschbetrag ist das meist weniger dramatisch, weil die Finanzverwaltung Pauschbeträge als Jahresbeträge behandelt. Die Pauschbeträge werden demnach in voller Höhe gewährt, auch wenn die Voraussetzungen nicht während des gesamten Jahres vorlagen; ändert sich der GdB im Laufe des Jahres, wird der höhere Pauschbetrag für das Jahr berücksichtigt.

Das ist für Rückwirkung praktisch, weil es häufig nicht auf den exakten Monat ankommt, sondern auf das Steuerjahr, in dem die Voraussetzungen irgendwann vorlagen.

Rückwirkend anerkannt – heißt steuerlich oft auch rückwirkend nutzbar

Wenn die Behinderung erst später festgestellt wird, kann der Feststellungsbescheid dennoch ein früheres Datum als Beginn ausweisen. Genau dieser „Geltungsbeginn“ ist entscheidend: Wird die Behinderung rückwirkend festgestellt, kann der Pauschbetrag grundsätzlich auch für diese früheren Jahre beansprucht werden.

Sozialrechtlich ist eine rückwirkende Feststellung nicht ausgeschlossen. Sie setzt aber regelmäßig voraus, dass ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird – und als solches wird ausdrücklich auch das steuerliche Interesse genannt, den Behinderten-Pauschbetrag nutzen zu wollen.

Der Knackpunkt sind nicht die Steuern, sondern die Fristen

Rückwirkung endet dort, wo sich Steuerbescheide nicht mehr ändern lassen. Für die Einkommensteuer gilt grundsätzlich eine Festsetzungsfrist von vier Jahren.

Für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die freiwillig eine Steuererklärung abgeben (Antragsveranlagung), bedeutet das ganz konkret: Die Steuererklärung für 2021 kann noch bis zum 31.12.2025 gestellt werden.

Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie weit „rückwirkend“ in der Praxis oft reicht.
Noch feiner wird es, wenn Steuerbescheide bereits bestandskräftig sind und es um eine Änderung wegen des später erlassenen Feststellungsbescheids geht.

In solchen Fällen spielt das Zusammenspiel aus Grundlagenbescheid und Folgebescheid eine Rolle: Steuerbescheide sind nach § 175 AO zu ändern, wenn ein Grundlagenbescheid erlassen oder geändert wird.

Allerdings warnt der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt davor, die Fristen zu unterschätzen: “Nach einer verbreiteten Auffassung ist eine Änderung aufgrund eines rückwirkenden GdB-Feststellungsbescheids regelmäßig nur dann „offen“, wenn der Antrag auf Feststellung des GdB bei der zuständigen Behörde noch vor Ablauf der steuerlichen Festsetzungsfrist gestellt wurde”, so Anhalt.

Das ist der Grund, warum bei Verdacht auf einen länger zurückliegenden GdB viele Beratungsstellen empfehlen, den Feststellungsantrag nicht auf die lange Bank zu schieben – selbst dann, wenn die medizinische Aufarbeitung noch läuft.

Lohnsteuer-Freibetrag im laufenden Jahr: schnell, aber nur begrenzt rückwirkend

Wer als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer nicht bis zur Steuererklärung warten möchte, kann die Entlastung schon im laufenden Jahr über Freibeträge im Lohnsteuerabzug abbilden lassen. Die Finanzverwaltung weist ausdrücklich darauf hin, dass Freibeträge bereits im laufenden Kalenderjahr beim monatlichen Lohnsteuerabzug berücksichtigt werden können.

„Rückwirkend“ bedeutet hier praktisch meist nur: innerhalb desselben Kalenderjahres, sobald der Freibetrag eingetragen ist. Für vergangene Jahre führt der Weg fast immer über die Einkommensteuererklärung und gegebenenfalls über Änderungsanträge zu alten Bescheiden.

Sonderfälle, die bei Rückwirkung häufig übersehen werden

Wenn sich der GdB im Laufe eines Jahres ändert – etwa weil ein höherer GdB rückwirkend ab einem bestimmten Datum anerkannt wird – kann für dieses Jahr der höhere Pauschbetrag relevant werden. Die Finanzverwaltung beschreibt ausdrücklich, dass bei einer Änderung im Kalenderjahr der höhere Pauschbetrag für das ganze Jahr berücksichtigt wird.

Bei Merkzeichen und Pflegegrad lohnt ein genauer Blick in die Nachweise. Die einschlägigen Vorschriften nennen neben den Merkzeichen auch die Einstufung in Pflegegrad 4 oder 5 als wichtige Feststellung, die übermittelt und im Verfahren berücksichtigt werden kann.

Und auch Familienkonstellationen können Rückwirkung betreffen: Steht der Pauschbetrag einem Kind zu, kann er unter bestimmten Voraussetzungen auf die Eltern übertragen werden, wenn das Kind ihn nicht nutzt. Das ist gesetzlich ausdrücklich vorgesehen.

Wie man rückwirkend praktisch vorgeht – ohne sich im Verfahrensrecht zu verheddern

In der Praxis läuft es auf eine Reihenfolge hinaus: Zuerst braucht es den Feststellungsbescheid bzw. den Nachweis über GdB und Merkzeichen, denn ohne ihn wird das Finanzamt den Pauschbetrag nicht ansetzen. Welche Unterlagen dafür maßgeblich sind, regelt § 65 EStDV, etwa über den Ausweis nach SGB IX oder den Bescheid der zuständigen Behörde.

Sind die betroffenen Jahre noch nicht veranlagt, wird der Pauschbetrag einfach in der Steuererklärung für diese Jahre geltend gemacht. Sind Bescheide bereits ergangen, kommt es darauf an, ob sie noch offen sind oder ob eine Änderungsvorschrift greift. Für Änderungen wegen Grundlagenbescheiden ist § 175 AO der klassische Anknüpfungspunkt.

Wer das Thema erst spät entdeckt, sollte sich bei jedem betroffenen Steuerjahr gedanklich fragen, ob es noch innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist liegt. Für viele Beschäftigte gilt als Daumenregel: Die letzten vier Jahre sind häufig noch erreichbar, wie das Beispiel 2021 bis 31.12.2025 zeigt.

Fazit

Ja, der steuerliche „Freibetrag“ bei Schwerbehinderung kann auch rückwirkend wirken – in der Regel über den Behinderten-Pauschbetrag und immer dann, wenn der GdB (oder ein Merkzeichen) rückwirkend ab einem früheren Zeitpunkt festgestellt wurde und die betroffenen Steuerjahre verfahrensrechtlich noch geändert werden dürfen.

Entscheidend sind das im Bescheid ausgewiesene Geltungsdatum und die Festsetzungsfristen. Wer einen rückwirkenden Beginn erreichen möchte, hat zudem ein anerkanntes Interesse, das sich ausdrücklich auch aus der beabsichtigten steuerlichen Nutzung ableiten lässt.