EU-Sozialgipfel – Minimalkonsens der Arbeitspolitik

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Am 7. und 8. Mai fand in Porto der zweite Sozialgipfel der Europäischen Union statt. Herausgekommen ist ein Minimalkonsens an Maßnahmen, von denen eine Verbesserung der arbeitsmarktpolitischen Situation kaum zu erwarten ist.

Europäische Regierungen sind wenig interessiert an Arbeitsmarktreformen

Der erste EU-Sozialgipfel hatte 2017 in Göteborg stattgefunden. Auf dem Gipfel, an dem kein einziger europäischer Regierungschef teilnahm, wurde die Europäische Säule sozialer Rechte (ESSR) beschlossen. Seither hat vor allem die EU-Kommission eine Reihe von Richtlinien zur Regulierung der europäischen Arbeitsmärkte erlassen, die in den Mitgliedstaaten jedoch kaum Wirkung entfalteten.

Der Wandel in der Arbeitsmarktpolitik soll kommen

Unter dem Vorzeichen der Corona-Krise hat der Sozialgipfel 2021, an dem nun Regierungschefs und Minister sowie Vertreter der europäischen Gewerkschaftsverbände teilnahmen, drei zentrale Ziele für die kommenden Jahre definiert. Bis 2030 sollen mindestens 78 Prozent der 20- bis 64-Jährigen in Arbeit sein, 80 Prozent der Erwachsenen grundlegende digitale Fähigkeiten erlernen und nebenbei die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen mindestens halbiert werden, sowie die Zahl der Menschen in Armut um mindestens 15 Millionen verringert werden – aktuell erfasst die Statistik insgesamt 91 Millionen.

Der Minimalkonsens untergräbt die Stärkung der Arbeitnehmer

Die zentrale Anliegen der Europäischen Säule sozialer Rechte sind Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang, faire Arbeitsbedingungen und Sozialschutz und Inklusion. Diese Zielsetzungen klingen auf den ersten Blick vielversprechend. In der konkreten Ausgestaltung untergräbt der ausgehandelte Minimalkonsens jedoch sogar die Arbeitsrechtsstandards der Vereinten Nationen und der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Bei den einzelnen Themen bleibt die Erklärung unkonkret und inhaltsleer.

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(Un-)Soziale Arbeitsmarktreformen

Nach der ESSR-Erklärung sollen Arbeitslose „das Recht auf individuelle, fortlaufende und konsequente Unterstützung“ haben. Keine Angaben über eine mögliche Mindesthöhe oder andere Förderungen. Prekäre Arbeitsbedingungen sollen unterbunden werden, indem der „Missbrauch atypischer Verträge“ verboten wird. Nicht aber atypische Verträge an sich. Außerdem erklärt die ESSR sogenannte „Null-Stunden-Verträge“ für rechtmäßig, durch deren flexible Arbeitszeitgestaltung ein Recht auf Mehrfachbeschäftigung für Mini- und Teilzeit-Arbeitnehmer entsteht. Damit Niedriglöhner noch mehr prekäre Jobs zur gleichen zeit ausüben können. Arbeitnehmer sollen künftig die Gründe für ihre Kündigung erfahren, zudem soll die „unparteiische Streitbeilegung“ ausgebaut werden. Also die betriebsinterne Streitschlichtung vorbei an den Arbeitsgerichten. Soziale Rechte sollen „angemessen“ sein. Konkrete Mindestanforderungen werden nicht definiert, Tarif- oder Gewerkschaftsrechte werden überhaupt nicht erwähnt.

Flexibilisierung und Prekarität – unter allen Standards

Auf tragische Weise zeigt die Abschlusserklärung des Sozialgipfels, das Kernproblem der Europäischen Union. Ein so wichtiges Anliegen wie die unionsweite Stärkung der Arbeitsrechte wird durch die Erarbeitung des Minimalkonsenses zwischen den Regierungen der Mitgliedsstaaten zu einem inhaltsleeren unterfangen, das am Ende wegen der fehlenden Klarheit gar mehr Freiheiten für Arbeitnehmer und prekarisierte Arbeitsverhältnisse schafft. Natürlich auf Kosten all derer, die in der systematischen Armut der Arbeitslosensysteme wie Hartz IV gefangen sind und keine Chance auf den wirtschaftlichen Aufstieg haben.

Bild: rh2010 / AdobeStock