Erwerbsminderungsrente: Auch ohne die 45 Jahre mehr Altersrente

Lesedauer 3 Minuten

Im Netz kursieren nach wie vor Warnungen, eineย Erwerbsminderungsrente kรถnne den spรคteren Bezug einer abschlagsfreien Altersrente nach 45 Versicherungsjahren blockieren.

Die Sorge lautet, wer diese Marke verfehle, mรผsse im Alter dauerhaft mit weniger Rente auskommen.

Ein genauer Blick in die Rentengesetzgebung zeigt jedoch: Die 45โ€‘Jahreโ€‘Grenze ist fรผr viele Betroffene schlicht nicht entscheidend, weil ihre Erwerbsminderungsrente schon heute auf einem Niveau liegt, das selbst eine spรคtere Altersrente ohne Abschlรคge hรคufig nicht รผbertreffen wรผrde.

Die Wirkung der Zurechnungszeit

Drehโ€‘ und Angelpunkt ist die 2019 grundlegend ausgeweitete Zurechnungszeit. Sie sorgt dafรผr, dass die Deutsche Rentenversicherung so tut, als habe der oder die Versicherte bis zur jeweiligen Regelaltersgrenze weitergearbeitet โ€“ und zwar mit einem durchschnittlichen Einkommen, das sich aus der bisherigen Erwerbsbiografie ableitet.

Die gesetzliche Tabelle hebt dieses fiktive Ende Jahr fรผr Jahr an: Fรผr Rentenzugรคnge 2024 endet die Zurechnungszeit rechnerisch erst mit 66โ€ฏJahren und 1โ€ฏMonat, 2025 bereits mit 66โ€ฏJahren und 2โ€ฏMonaten. Jede Addition von Monaten bringt zusรคtzliche Entgeltpunkte und erhรถht die Monatsrente messbar.

Besitzschutz: Die Garantie, dass nichts verloren geht

Kommt es spรคter zum automatischen Wechsel in eine Altersrente, greift der sogenannte Besitzschutz nach ยงโ€ฏ88 SGBโ€ฏVI.

Die persรถnliche Entgeltpunktezahl wird vollstรคndig รผbernommen. Eine neue Rente darf also niemals niedriger sein als die bis dahin gezahlte Erwerbsminderungsrente, selbst wenn die Wartezeit von 45 Jahren nicht erfรผllt ist. Abschlรคge, die bereits in der EMโ€‘Rente enthalten waren, werden zudem nicht doppelt angerechnet.

Damit entkrรคftet der gesetzliche Mechanismus das Argument, eine frรผhe EMโ€‘Rente sei grundsรคtzlich ein finanzielles Risiko fรผr die spรคtere Altersversorgung.

Zahlen, die das Bild gerade rรผcken

Aktuelle Statistiken untermauern diese Logik: 2023 lag die durchschnittliche monatliche Erwerbsminderungsrente bei 972โ€ฏEuro, wรคhrend neue Altersrenten im Schnitt 1.099โ€ฏEuro erreichten. Durch die inzwischen weiter verlรคngerte Zurechnungszeit und die krรคftige Rentenanpassung von 3,74โ€ฏProzent zum 1.โ€ฏJuliโ€ฏ2025 verkรผrzt sich diese Differenz noch einmal deutlich โ€“ fรผr viele Neurentner gleicht sie sich sogar aus.

Ein zusรคtzlicher Zuschlag fรผr Bestandsrentner

Wer seine EMโ€‘Rente bereits zwischen 2001 und 2018 angetreten hat, profitiert seit Juliโ€ฏ2024 von einem pauschalen Zuschlag von 7,5 beziehungsweise 4,5โ€ฏProzent.

Er wird bis Dezemberโ€ฏ2025 vollstรคndig auf individuelle Entgeltpunkte umgestellt und dauerhaft in die Berechnung einflieรŸen. Spรคtestens ab diesem Zeitpunkt liegen viele รคltere EMโ€‘Renten ebenfalls auf Augenhรถhe mit vergleichbaren Altersrenten, ohne dass dafรผr 45 Versicherungsjahre nรถtig wรคren.

Wenn Vorsicht teuer wird

Trotz dieser Fakten entscheiden sich manche Versicherte, eine gut dotierte Erwerbsminderungsrente vorzeitig zu beenden, um durch Minijobs oder kurzfristige Beschรคftigungen die 45 Jahre doch noch vollzubekommen.

Fachleute der Deutschen Rentenversicherung warnen jedoch, dass daraus kaum spรผrbare Mehrbetrรคge entstehen, wรคhrend der Anspruch auf den Besitzschutz verloren gehen kann, falls der รœbergang in die Altersrente erst nach Ablauf von 24 Monaten erfolgt. Besser ist es, vor jeder Rรผckkehr in den Job eine Rentenauskunft anzufordern und die individuelle Hochrechnung prรผfen zu lassen.

Praxisbeispiel

Ein Maschinenbautechniker bezieht seit 2025 eine volle Erwerbsminderungsrente von 1.270โ€ฏEuro brutto. Sein Versicherungskonto weist 41โ€ฏBeitragsjahre auf. Wรคre er gesund geblieben und hรคtte die abschlagsfreie Altersrente nach 45 Jahren erreicht, kรคme er โ€“ konservativ hochgerechnet โ€“ auf etwa 1.300โ€ฏEuro. Zu berรผcksichtigen ist jedoch, dass sein EMโ€‘Bezug wegen der Hochwertung bereits alle kรผnftigen Lohnerhรถhungen bis 66โ€ฏJahre und 2โ€ฏMonate abbildet.

Zuzรผglich der jรคhrlichen Rentenanpassungen entsteht damit ein reales Plus gegenรผber der fiktiven 45โ€‘Jahreโ€‘Rente. Der Besitzschutz garantiert, dass dieser Vorsprung beim Rentenรผbergang erhalten bleibt.

Warum die 45โ€‘Jahreโ€‘Grenze an Gewicht verliert

Der ursprรผngliche Gedanke hinter der abschlagsfreien โ€žRente mit 63โ€œ war sozialpolitisch sinnvoll: Menschen mit sehr langen Erwerbsbiografien sollten nicht fรผr frรผhere Berufsjahre benachteiligt werden.

In der Praxis hat die Ausweitung der Zurechnungszeit einen vergleichbaren Effekt fรผr Erwerbsgeminderte erzeugt. Hinzu kommen flexible Hinzuverdienstgrenzen und die Zuschlรคge fรผr รคltere Bestandsrentner. Das Ergebnis: Der Status der EMโ€‘Rente ist lรคngst kein Makel mehr, sondern in vielen Fรคllen ein finanzielles Polster, das die 45โ€‘Jahreโ€‘Strategie รผberflรผssig macht.

Was Betroffene jetzt tun sollten

Wer bereits eine Erwerbsminderungsrente bezieht, sollte rechtzeitig โ€“ spรคtestens vor Erreichen des 63. Lebensjahres โ€“ eine schriftliche Rentenauskunft anfordern. Darin lรคsst sich genau ersehen, wie hoch die Altersrente mit und ohne weitere Beitragszeiten ausfรคllt.

Wer die EMโ€‘Rente erst beantragen muss, sollte darauf achten, dass alle Zeiten von Krankheit, Pflege oder arbeitslosen Phasen korrekt gemeldet sind, weil sie bei der Zurechnungszeit eine Rolle spielen.

Fรผr beide Gruppen gilt: Die 45 Versicherungsjahre sind selten der entscheidende Hebel, der รผber eine sorgenfreie Rente entscheidet. MaรŸgeblich ist die reale Hรถhe der aktuell gezahlten oder berechneten EMโ€‘Rente.

Fazit

Die Rechtslage ist klar und in mehrfachen Reformschritten gefestigt: Eine Erwerbsminderungsrente wird รผber die verlรคngerte Zurechnungszeit systematisch aufgewertet, der Besitzschutz sichert die einmal erreichte Leistung dauerhaft ab und Zuschlรคge verbessern ร„lteren zusรคtzlich die Lage.

Wer die 45โ€‘Jahreโ€‘Grenze nicht erzielt, hat daher keineswegs automatisch das Nachsehen. Entscheidend bleibt die individuelle Rentenhรถhe โ€“ nicht die Symbolik einer abschlagsfreien Altersrente.