Ein halbes Jahrzehnt Hartz IV

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Mythen, Tatsachen und eine Bilanz: Die Arbeitsmarktreform Hartz IV nach fünf Jahren

Alle Seiten bemühen sich zu einer Bilanz der Arbeitsmarktreform Hartz IV, die unter einer rot-grünen Bundesregierung im Jahre 2005 eingeführt worden ist. Während der ehemalige “Superminister” Wolfgang Clement (ehemals SPD) nach fünf Jahren Hartz IV von einem “großen Erfolg” spricht und davor warnt die “Reform zu verwässern”, bemerken immer mehr politische Kreise, dass da einiges in Schieflage geraten ist.

Hartz IV ist zu einem Synonym für Statistikwunder, Verelendung der Menschen und prekäre Arbeitsverhältnisse geworden. Das Institut der Deutschen Wirtschaft und Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hören nicht auf zu propagieren, die Hartz IV Reform hätte gewirkt. Allen voran beschönigt das IAB, durch Hartz IV wäre die Arbeitslosigkeit gesunken. Doch schauen wir uns die Zahlen einmal genauer an:

Hartz IV sorgt für weniger Arbeitslosigkeit?
Die Anzahl der Hartz IV Bezieher sei von 5,4 Millionen im Jahre 2006 auf 4,9 Millionen in 2009, also um gerade einmal 500. 000 Bezieher, gesunken. Dieser Beleg für den Erfolg der Hartz IV-Reform ist aber aus unserer Sicht äußerst schwach. Schließlich lag die Zahl der Sozialleistungsempfänger 2005, bei 5,15 Millionen. Also in etwa bei genau so vielen Betroffenen, wie heute. Und die Statistik konnte durch einige Tricks noch weiter abgesenkt werden. Nicht aufgeführt werden zum Beispiel Erwerbslose, weil sie mit heftigen Abschlägen vorzeitig in Rente gingen oder der Partner sie mitversorgen musste. Und schließlich werden auch alle anderen nicht aufgeführt die in einem Haushalt in verwandtschaftliche Beziehungen zueinander stehen und sich deshalb gegenseitig unterstützen müssen. Diese Variante nennt man sog. “Bedarfsgemeinschaften”.

Hartz IV verdrängt Vollzeitstellen
Fast nicht umstritten ist die Tatsache, dass Hartz IV den Arbeitsmarkt ruinierte. Die Zahl der Teilzeitstellen wuchs zwischen 1998 und 2008 um rund 1,4 Millionen an. Im gleichen Ausmaß sanken dagegen die Vollzeitstellen. Hinter den Niederlanden, die im Übrigen über ein etwa ähnliches Sozialleistungssystem, weist Deutschland in Europa über den höchsten Anteil von Teilzeitarbeitsstellen auf. Der Arbeitsmarkt stellte sich auf Hartz IV ein und bot entsprechend immer mehr “Mini-Jobs” an. Die Folge: Immer mehr Menschen sind gezwungen sich in prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu begeben und zusätzliche Hartz IV Leistungen (sog. Hartz IV-Aufstocker) zu beantragen. Ein-Euro-Jobs taten ihr Übriges und verdrangen vor allem im sozialen Bereich reguläre Beschäftigung. Obwohl der Gesetzgeber vorgibt, Ein-Euro-Jobber dürfen nicht Arbeitsplätze verdrängen, konnten viele Arbeitgeber im großen Ausmaß diese Regelung umgehen.

Sanktionspraxis “Fordern und Fördern”
“Fordern und Fördern” heißt der Leitspruch der Hartz IV Reform. Fordern im Sinne einer Drangsalierung und Sanktionswut der Behörden. So wurden “interne Weisungen” der Bundesagentur für Arbeit an die Jobcenter ausgegeben, die eine Sanktionsquote vor gab. Sanktionen werden in der Regel für drei Monate verhängt. Bei den tatsächlich Erwerbslosen wurde also etwa jeder Vierte einmal im Jahr sanktioniert (4 x 6,5 % = 26 %). Diese Schätzung bestätigte der damalige Geschäftsführer der Hartz IV-Behörde Münster, Dr. Gahlen, gegenüber dem Arbeitslosenmagazin “Sperre”. Und es gibt besondere Risikogruppen: Bei den Männern wurde etwa jeder Dritte (4 x 8,6 % = 34,4 %) und bei den Unter-25-jährigen mehr als jeder Zweite einmal im Jahr sanktioniert (4 x 14,6 = 58,4 %), jedenfalls in Münster (BA 2009). Wenn schon bezweifelt wird, ob man mit Hartz IV leben kann, dann ist auch zu fragen, ob man mit den Kürzungen noch überleben kann. Sanktioniert wird schon bei kleineren Vergehen. Die Menschen werden entmündigt. Dazu kommt die Quoten-Vorgabe der BA, die Jobcenter Mitarbeiter in die Lage versetzt, die Quote einhalten zu müssen.

Urteil zu den Hartz IV Regelsätzen erwartet
Lang erwartet und hart erkämpft ist das laufenden Verfahren zu den ALG II Regelsätzen vor dem Bundesverfassungsgericht. Verhandelt wird über die Bemessungsgrundlage der Regelsätze für Kinder und Erwachsene. Erwartet wird, dass zu mindestens die Regelsätze für Kinder als zu niedrig bemessen angesehen wird. Der tatsächliche Bedarf eines Kindes spielt bei der Festsetzung der Hartz IV Regelsätze keine Rolle. Vielmehr orientierte sich der Gesetzgeber am Eckregelsatz für Erwachsene und kürzte diesen auf eine “kindgerechte Höhe”. Das Bundessozialgericht ist der Auffassung, dass die prozentuale Ableitung “nicht ausreichend begründet” ist. Nicht ausreichend begründet deshalb, da es keinen Grund gibt, dass Kinder weniger zur Verfügung haben sollten, als Erwachsene. Nicht einberechnet wurden beispielsweise der Aspekt Bildung, der steigende Bedarf an Kleidung und ausreichend gesunde Ernährung. Mit einem Urteil wird im ersten Quartal 2010 gerechnet.

Gewerkschaften und Sozialverbände: “Hartz IV ist gescheitert!”
Der Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) stellt der Hartz-Reform nach 5 Jahren ein Armuts-Zeugnis aus. Die Menschen seien weder in Beschäftigung gekommen, noch wurden die Erwerbslose besser betreut. So sagte DGB Vorstandmitglied Annelie Buntenbach: “Das Plus bei der Erwerbstätigkeit lässt sich nicht auf Hartz IV zurückführen, sondern auf konjunkturelle Effekte”. Die Hartz 4-Gesetze haben mit ihren “drastischen Zumutbarkeitsregeln atypischen Beschäftigungsverhältnissen Tür und Tor geöffnet”. Statt zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, seien Arbeitnehmer mit regulären Arbeitsstellen unter Druck gesetzt worden. “Leiharbeit, Hartz IV und die Angst vor dem sozialen Anstieg wird bis heute dazu missbraucht, um die Beschäftigten zu Lohneinbußen zu drängen und ihnen schlechtere Arbeitsbedingungen aufzuzwängen.” Hartz IV Betroffene werden mehr als schlecht vermittelt, so das DGB Resümee. Die Menschen würden in Arbeit mit schlechter Bezahlung gedrängt, die zudem auch noch vom Staat zusätzlich finanziert werden muss. Hartz IV hat die “Ausbreitung des Niedriglohnsektors begünstigt”. Durch die verschärften Zumutbarkeitsregeln müssen Erwerbslose jede erdenkliche Tätigkeit aufnehmen, ansonsten wird massiv sanktioniert.

Unser Fazit: Hartz IV ist und bleibt ein Armutsgesetz, das Menschen in Armut hält und verwaltet. Es ist und bleibt ein Armutszeugnis für die Erfinder und Umsetzer dieser Reform. (02.01.2009)

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