Die Wahrheit: Jammern gilt nicht bei Hartz IV?

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Bildzeitung: "Jammern gilt nicht! Wir leben von Hartz IV und können sogar noch sparen" Doch ist dieses Interview tatsächlich authentisch?

Ein Schlag ins Gesicht für Hartz IV Betroffene war der heute erschienene Bildzeitungsartikel "Jammern gilt nicht! Wir leben von Hartz IV und können sogar noch sparen". Eine nicht unbekannte Familie F. hatte in der Bildzeitung vorgerechnet, wie man als 5 köpfige Familie von dem kargen Arbeitslosengeld II Regelsatz gut leben und sogar noch sparen kann. So sagte der Familien Vater in der Bildzeitung "Alles in allem sparen wir im Monat bis zu 250 Euro." Und um das ansonsten karge Interview noch aufzupeppen gab zudem Wilfried Fesselmann zum Besten: "Ich verstehe dieses Gejammer nicht. Hartz IV reicht!".

Ganz abgesehen davon, dass solche Artikel immer eine politische Komponente bedienen, fragt man sich, wie es die Bild geschafft hat, eine Familie zu finden, die derartige Äußerungen von sich gibt. Doch die Familie war nicht schwer zu finden, da sie verschiedene "Nabel-Shows" der privaten Medienanstalten bereits erfolgreich absolvierte. So war die Familie F. schon in der Pro7 Reihe: "We are Family" zu sehen. Hier lebte die Familie noch nach eigenen Angaben von 700 Euro monatlich, in der Bildzeitung weiß die Familie aber zu berichten, dass sie von 1335 Euro Hartz IV leben. Geld fehlte "an allen Ecken und Enden", heißt es in der Sendung. So reichte der Hartz IV Regelsatz der Familie in der Pro7 Sendung nicht – wie behauptet in der BILD- aus. Selbst das jüngste Kind musste Flaschen sammeln gehen. "Es kann schon einmal vorkommen, dass die Familie an zwei Tagen kein Geld zur Verfügung hat", ergänzte die Mutter Marion F. in der Pro7 Reality Show.

Doch das war nicht der einzige Fernsehauftritt der Familie F. Im Sat.1 Morgenmagazin wurde die Familie ebenfalls durch ein Kamerateam eine Woche begleitet. Jeden Tag berichtete das Sat.1 Magazin über das Leben der Familie. Auch hier erhielt die Familie lediglich 700 Euro Hartz IV zum Leben.

In einer ganz anderen TV Show hatte Herr F. einen sehr kurzen Auftritt. In der RTL II Sendereihe "Wahrheit und nichts als die Wahrheit" muss der Kandidat Fragen wahrheitsgemäß beantworten. Die Sendung an sich ist mehr als eine Nabelshow, sie stellt vor einem Millionen Publikum die eigene Würde in Frage. Die Kandidaten müssen Fragen "mit der Wahrheit" beantworten, da sie ansonsten kein Geld gewinnen. So wurde schon einmal eine Kandidatin in der ersten Sendung gefragt, "ob sie ihr großes Geschäft schon einmal in der Badewanne verrichtet hatte". Die Frau antwortete mit Ja und auch der angebliche Lügendetektor zeigte an, dass die Frage mit der "Wahrheit" beantwortet wurde. Doch schon einige Fragen später schied die Kandidatin aus. Das Ergebnis: Viel öffentliche Blamage und Null Euro. Wilfried F. kam allerdings nicht so weit in eine tatsächliche Verlegenheit zu geraten. Bei der zweiten Frage schied der Familienvater schon wieder aus. Er scheiterte an der "FKK" Frage.

Auch für Bild TV stand die Familie schon für verschiedene Drehs und Themen vor der Kamera. Eine große Sammlung der Fernseh-Auftritte lassen sich auf der privaten Homepage der Familie bewundern. Zudem hat Herr F. ein E-Buch mit dem Titel: "Besser leben mit Hartz IV" geschrieben. Allerdings darf man das E-Book nicht mit einem ebenso gleich lautenen Buch von Dieter Kerschkamp verwechseln.

Familien die sich gern in aller Öffentlichkeit zeigen und ihr Leben mit einem Millionen Publikum teilen, werden durch Medienagenturen herum gereicht. Der Redakteur bekommt einen Auftrag über ein bestimmtes Thema zu berichten. Um Protagonisten zu finden, bedient man dabei gern bei Agenturen. Ein offenes Geheimnis: Dabei fließt ab und zu auch Geld. Ob das in diesem Fall auch so war, kann nicht belegt werden.

Ein anderes Erklärungsmuster: Vielfach ist es bei der Bildzeitung vorgekommen, dass die Protagonisten ganz und gar nicht damit einverstanden waren, in welcher inhaltlichen Form der Bildzeitungsartikel erschien. Es reichen schon suggestive Fragen des Journalisten, um genau die Antworten zu erhalten, die man braucht. Eine Richtungsweisende Überschrift vermittelt dann die politisch gewollte Stoßrichtung der Bildzeitung, die da lautet: "Leute schaut her: Der Hartz IV Regelsatz ist zu hoch" und bereitet emotional auf die geplanten Hartz IV Kürzungen vor. Dennoch: Der Bildzeitungartikel entlarvt sich stellenweise auch selbst: Warum ist die Familie auf Spenden der Tafel angewiesen, wenn doch der Hartz IV Regelsatz "völlig" ausreicht? (27.04.2009)

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