Neuntes Gesetz zur Änderung des SGB II
Mit dem "Neunten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch" (Hartz IV) sind wieder einmal umfangreiche Änderungen des SGB II geplant. Wann diese Änderungen im Bundestag erstmals beraten werden, ist unbekannt. Nach dem ursprüglichen Plan sollten diese Änderungen schon am 1. April 2015 in Kraft treten. Wo die Ursachen und Gründe für die Verzögerungen liegen, ist ebenfalls unbekannt.
Bekannt zu diesem Gesetzesvorhaben ist aktuell nur der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales "Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung"
Überwiegender Hintergrund ist – wieder einmal – die (für BMAS und Jobcenter ungünstige) Rechtsprechung des BSG durch Gesetz zu negieren und den Druck auf Leistungsbezieher erheblich zu verschärfen (vgl. u.a. Änderungen in § 3 Abs. 2 und § 34 Abs. 1). Nur in sehr geringem Umfang wird die Rechtsprechung des BSG durch Gesetz festgeschrieben (§ 22 Abs. 10 SGB II, § 6 Abs. 1 Nr. 3 ALG II-V). Und es gibt – getreu dem Prinzip "Zuckerbrot und Peitsche" – auch ein paar durchaus nennenswerte Verbesserungen. So haben die meisten Azubis zukünftig einen ALG II Anspruch.
Nachfolgend eine Übersicht über die für ALG II-Empfänger relevanten Änderungen. (Anpassungen an bereits praktiziertes Recht und diesbezügliche Klarstellungen habe ich ausgelassen. Sollten sich Fehler eingeschlichen haben, diese bitte per Mail mitteilen.
Änderungen im SGB II
§ 3 Abs. 2
Jeder Antragsteller soll sofort in eine Eingliederungmaßnahme gezwungen werden. Bei fehlendem Berufsabschluss hat eine Ausbildung vorrang.
§ 3 Abs. 2a
Wird gestrichen. (Der Vorrang der Vermittlung von Personen ab dem 58. Lebensjahr in eine Arbeit entfällt zugunsten von § 3 Abs. 2.)
§ 5
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit werden vom JC nicht mehr an Empfänger von Arbeitslosengeld oder Teilarbeitslosengeld erbracht. Diese sind vom Arbeitsamt zu erbringen
§ 7 Abs. 3
Zuordnung von Kindern bei bisherigen sog. temporären Bedarfsgemeinschaften zu der Bedarfsgemeinschaft, in der sie sich überwiegend aufhalten. Bei wechselseitiger hälftiger Betreuung/Aufenthalt erfolgt eine hälftige Zuordung (und Leistungsbewilligung).
§ 7 Abs. 6
Bei BAB und Bafög entfällt der Anspruch auf ALG II nicht mehr. Ausnahmen:
– Studies an höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen, die nicht mehr bei den Eltern wohnen (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 Bafög)
– Azubis, die mit voller Verpflegung beim Ausbildenden untergeracht sind (§ 61 Abs. 2 und 3 SGB III sowie § 124 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 SGB III) (Neue Rechtslage)
§ 9 Abs. 2
Bei hälftiger Betreuung in temporären Bedarfsgemeinschaften werden Einkommen und Vermögen des Kindes jeweils hälftig bei jeder Bedarfsgemeinschaft berücksichtigt. (Folgeänderung zu § 7 Abs. 3; Abweichung von der Rechtsprechung des BSG)
§ 11 Abs. 1 S. 1
Einnahmen in Geldeswert sind kein anrechenbares Einkommen mehr, sofern es sich nicht um absetzbare Aufwendungen nach § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 bis 5 handelt. (Lt. Begründung wird teilweise etwas Anderes bezweckt, als mit dem Gesetzestext erreicht wird.)
§ 11 Abs. 3
Nachzahlungen von Erwerbseinkommen und Sozialleistungen werden als einmalige Einnahme angerechnet. (Abweichung von der Rechtsprechung des BSG)
§ 11a Abs. 3
BAB und Bafög wird komplett auf ALG II angerechnet, ebenso Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und der Aufstiegsfortbildung. Davon werden pauschal 100 Euro abgezogen, sofern die tatsächlichen nachgewiesenen Aufwendungen nicht höher sind. (Abweichung von der Rechtsprechung des BSG; neue Rechtslage)
§ 11a Abs. 7
Statt dem Mutterschaftsgeld wird das diesem zu Grunde liegende Erwerbseinkommen als fiktives Einkommen angerechnet.
Nach der Geburt wird das fiktive Einkommen um den mit dem Elterngeld aufgerechneten Teil des Mutterschaftsgeldes gemindert. (Abweichung von der Rechtsprechung des BSG)
§ 11b Abs. 2
Steuerfreie Einnahmen aus ehrenamtlichen Tätigkeiten werden bei Erwerbstätigen nur noch privilegiert, wenn und soweit diese 100 Euro pro Monat übersteigen. (Abweichung von der Rechtsprechung des BSG)
§ 14 Abs. 2
Hier wird (überflüssigerweise) die schon in §§ 13 bis 15 SGB I geregelte Pflicht zur Aufklärung, Beratung und Auskunft eingeführt. Der Focus liegt dabei auf Selbsthilfeobliegenheiten und Mitwirkungspflichten. (Dies legt den Schluss nahe, dass mit der diesbezüglichen "Pflichtberatung" der Druck auf Leistungsempfänger erhöht werden soll.)
§ 15a
Wird aufgehoben, da diese Regelung aufgrund der Änderungen in § 3 Abs. 2 überflüssig wird.
§ 16g
Die Dauer der Förderung bei Wegfall der Hilfebedürftigkeit wird auf 6 Monate begrenzt. Die Förderung wird zukünftig als Beihilfe erbracht (bislang als Darlehen).
§ 20
Bei hälftiger Betreuung in temporären BGs wird dem Kind der halbe monatliche Regelsatz zuerkannt. (Folgeänderung zu § 7 Abs. 3 und § 9 Abs. 2; Abweichung von der Rechtsprechung des BSG)
§ 21 Abs. 4
Kein Mehrbedarf i.H.v. 35% mehr bei Berufsvorbereitung und beruflicher Ausbildung (§ 33 Abs. 3 Nr. 2 und 4 SGB IX).
§ 22 Abs. 3
Rückzahlungen bei den Betriebskosten werden nicht als Einkommen angerechnet, sofern sie auf Vorauszahlungen beruhen, die der Betroffene für nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Abrechnungszeitraum selbst gezahlt hat.
§ 22 Abs. 4
Für die Zusicherung der Übernahme der neuen Kosten der Unterkunft und Heizung ist der neue Leistungsträger zuständig. Dort muss der Betroffene die Zusicherung einholen.
§ 22 Abs. 6
Genossenschaftsanteile werden Mietkautionen gleichgestellt.
§ 22 Abs. 10
Die Beurteilung der Gesamtangemessenheit kann in Form einer Warmmiete erfolgen.
§ 23
Bei hälftiger Betreuung in temporären Bedarfsgemeinschaften wird dem Kind der halbe monatliche Regelsatz zuerkannt.
(Folgeänderung zu § 7 Abs. 3 und § 9 Abs. 2; Abweichung von der Rechtsprechung des BSG)
§ 24 Abs. 4
Beim vorzeitigen Verbrauch einer einmaligen Einnahme wird ALG II als Darlehen erbracht. (Abweichung von der Rechtsprechung des BSG)
§ 27 Abs. 3 und 5
Werden gestrichen. (D.h. kein Zuschuss zu den KdU für weiterhin vom ALG II ausgeschlossene Azubis und Studis, keine Übernahme von Mietschulden als Darlehen mehr.)
§ 27 Abs. 4
Mehrbedarfe nach § 21 Abs. 7 und Bedarfe für Bildung und Teilhabe für weiterhin vom ALG II ausgeschlossene Azubis und Studis werden als Darlehen erbracht (bislang als Beihilfe).
§ 34 Abs. 1
Ein Ersatzanspruch tritt künftig auch dann ein, wenn durch das sozialwidrige Verhalten die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. (Damit wird eine zusätzliche Sanktion eingeführt, denn neben der 3monatigen Kürzung des ALG II nach § 31 SGB II muss der Betroffene künftig auch das ALG II erstatten, welches er und die anderen Mitglieder seiner BG weniger erhalten hätten, wenn er z.B. einen angebotenen Job angenommen hätte. Das bedeutet eine erhebliche Erhöhung des Drucks auf Arbeitslose, sowie eine massive Verschärfung des Sanktionrechts.)
§ 34b
Hiermit wird ein Herausgabeanspruch für vorrangige Sozialleistungen eingeführt, die der ALG II Bezieher erhalten hat, sofern diese Sozialleistungen nicht bereits als Einkommen angerechnet wurden. (Damit soll der Fall des § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X aufgefangen werden, in denen ein Erstattungsanspruch nicht mehr geltend gemacht werden kann, weil der vorrangige Leistungsträger die Leistung bereits an den Antragsteller ausgezahlt hat.)
§ 35
Wird aufgehoben, da die Erbenhaftung bereits in den §§ 34 geregelt ist.
§ 36 Abs. 2
Regelt die Zuständigkeit des örtlichen Trägers in Fällen temporärer Bedarfsgemeinschaften. (Folgeänderung zu § 7 Abs. 3 und § 9 Abs. 2)
§ 38 Abs. 3
Regelt, dass in Fällen temporärer Bedarfsgemeinschaften bei einer hälftiger Betreuung beide Elternteil ALG II für das Kind beantragen können. (Folgeänderung zu § 7 Abs. 3 und § 9 Abs. 2)
§ 40 Abs. 5
Leistungen an einem verstorbenen Leistungsempfänger, welche diesem im Sterbemonat gezahlt wurden, werden nicht zurückgefordert.
§ 40 Abs. 6
Die 56-Prozent-Klausel der Nichterstattung der Bedarfe für Unterkunft entfällt.
§ 41
Leistungen werden künftig für 12 Monate bewilligt.
Ausnahme: in Fällen vorläufiger Bewilligung oder bei unangemessenen KdU werden 6 Monate bewilligt.
§ 41a
Hier werden neu die Voraussetzungen und der Umfang einer vorläufigen Bewilligung geregelt. Ein Anspruch auf eine vorläufige Bewilligung besteht danach nicht, wenn der Antragsteller die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, zu vertreten hat (Allmachtsklausel, Beweislastumkehr). (Diese neue Ausnahmeregelung wird den Gerichten wieder mehr Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz bescheren.) Bei der vorläufigen Bewilligung kann ein Durchschnittseinkommen gebildet und es muss nur der Grundfreibetrag abgesetzt werden. Der Bestandsschutz (45 Abs. 2 SGB X) wird für vorläufige Bewilligungen ausgeschlossen, auch wenn diese rechtswidrig i.S.d. § 45 SGB X waren. Das JC ist nicht verpflichtet, eine abschließende Bewilligung vorzunehmen, wenn der Betroffene einen Nachzahlungsanspruch hat. Sofern der Betroffene nicht innerhalb eines Jahres nach Ablauf des vorläufigen Bewilligungszeitraumes eine abschließende Entscheidung beantragt, verliert er seinen Nachzahlungsanspruch.
§ 42
Sofern keine Aufrechnung oder Sanktion erfolgt, kann ein ALG II Bezieher jeden 4. Monat einen Vorschuss i.H.v. 100 Euro auf das ALG II des Folgemonats erhalten. (Eine, insbesondere aufgrund § 24 Abs. 1, vollkommen sinnfreie Regelung.) Die Unpfändbarkeit von ALG II wird festgelegt. (Positiv für alle von Pfändungen Betroffenen, da viele Banken nach wie vor erhebliche Verständnisprobleme mit der Umsetzung des Pfändungsschutzes bei P-Konten haben.)
§ 43
Erstattungsansprüche aus einer vorläufigen Bewilligung werden i.H.v. 10% aufgerechnet.
§ 52
Der automatisierte Datenabgleich wird auf Personen erweitert, die einer BG angehören, aber keinen Leistungsanspruch haben.
(Begründet wird dies damit, dass dies für die Feststellung von Leistungsmissbrauch erforderlich sei.)
§ 56
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte sollen in der Eingliederungsvereinbarung verpflichtet werden, eine Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen und nachzuweisen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht soll nicht sanktioniert werden. (Gehört unter § 15.)
§ 63
Ein Verstoß gegen § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I (Mitteilung leistungserheblicher Tatsachen sowie Zustimmung zur Erteilung entsprechender Auskünfte durch Dritte bei Antragstellung) wird zukünftig mit einem Bußgeld bis zu 5000 Euro geahndet.
(Hierbei geht es vorrangig um die Bekämpfung von Schwarzarbeit.)
§ 80
Übergangsregelung (Bestandsschutz) für bereits erfolgte vorläufige Bewilligungen und Aufrechnungen. Danach gilt für diese die bisherige Rechtslage weiter.
Änderungen in der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung
§ 1 Abs. 1 Nr. 3
Neuer eigenständiger Freibetrag für Kapitalerträge i.H.v. 100 Euro pro Kalenderjahr.
§ 1 Abs. 1 Nr. 10
Wird aufgehoben. (Folgeänderung zu § 7 Abs. 6 und § 11a Abs. 3 SGB II)
§ 2 Abs. 3 und Abs. 6 S. 2
Werden aufgehoben. (Folgeänderung zu § 11 Abs. 1 S. 1 und § 41a SGB II)
§ 3 Abs. 5 und 6
Werden aufgehoben. (Folgeänderung zu § 41 und § 41a SGB II)
§ 6 Abs. 1 Nr. 3
Die Absetzung der Werbekostenpauschale wird gestrichen. Stattdessen wird die zusätzliche Absetzung von 1/12 der Jahresbeiträge zu gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtversicherungen (§ 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3) festgeschrieben.
§ 9
Übergangsregelung (Bestandsschutz) für bereits erlassene Verwaltungsakte. Danach gilt für diese die bisherige Rechtslage (Fassung der ALG II-V) weiter. (aus unserem Hartz IV Forum hartz.info/ FM)
Bild: ferkelraggae – fotolia
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