Schwerbehinderte Menschen stoßen in der Arbeitswelt oft auf Vorurteile und Fehlinformationen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind jedoch klar definiert und bieten umfassenden Schutz und Rechte. Wir betrachten elf gängige Missverständnisse und klären darüber auf.
1. Schwerbehinderte müssen ihren Arbeitgeber über ihre Behinderung informieren
Es gibt keine gesetzliche Verpflichtung, den Arbeitgeber über eine Schwerbehinderung zu informieren. Eine Ausnahme besteht, wenn die Behinderung die Erfüllung der vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung beeinträchtigt. In solchen Fällen ist eine Offenbarungspflicht notwendig, um rechtliche und praktische Probleme zu vermeiden.
2. Eine Verbeamtung mit Schwerbehinderung ist ausgeschlossen
Eine Schwerbehinderung stellt kein generelles Hindernis für eine Verbeamtung dar. Entscheidend ist eine positive Prognose zur Dienstfähigkeit über einen längeren Zeitraum, der in der Regel zwischen fünf und zehn Jahren liegt.
Die gesundheitliche Eignung muss nachgewiesen werden, wobei lediglich das Mindestmaß an körperlicher Eignung verlangt wird, wie in § 5 der Bundeslaufbahnverordnung festgelegt. Darüber hinaus erfahren schwerbehinderte Menschen keine bevorzugte Einstellung, sondern müssen die gleichen Anforderungen wie andere Bewerber erfüllen.
3. Schwerbehinderte haben Vorrang bei Bewerbungen
Schwerbehinderte Bewerber haben keinen automatischen Anspruch auf bevorzugte Einstellung. Arbeitgeber sind jedoch verpflichtet zu prüfen, ob freie Stellen mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können.
Öffentliche Arbeitgeber müssen fachlich geeignete schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einladen (§ 165 Satz 3 SGB IX). Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, den Bewerber einzustellen, wenn andere Bewerber besser geeignet sind.
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4. Arbeitgeber sind verpflichtet, Schwerbehinderte einzustellen
Die Verpflichtung zur Einstellung Schwerbehinderter hängt von der Größe des Unternehmens ab. Gemäß § 154 SGB IX müssen Betriebe mit mindestens 20 Arbeitsplätzen 5 % ihrer Stellen mit schwerbehinderten Menschen besetzen. Andernfalls wird eine Ausgleichsabgabe fällig:
- Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitern: keine Verpflichtung.
- 20 bis 39 Mitarbeiter: mindestens ein schwerbehinderter Angestellter.
- 40 bis 59 Mitarbeiter: mindestens zwei schwerbehinderte Angestellte.
- Ab 60 Mitarbeitern: 5 % Schwerbehinderte.
Die Höhe der Ausgleichsabgabe variiert zwischen 140 und 360 Euro pro nicht besetztem Pflichtarbeitsplatz.
5. Schwerbehinderte können nicht gekündigt werden
Schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen einen besonderen Kündigungsschutz, sind jedoch nicht unantastbar. Eine Kündigung durch den Arbeitgeber ist nur mit Zustimmung des Integrationsamtes möglich. Dieser Schutz greift erst nach Ablauf der Probezeit, also nach sechs Monaten Betriebszugehörigkeit. Eine Schwerbehinderung alleine bietet keinen absoluten Schutz vor Kündigungen.
6. Haben Schwerbehinderte automatisch mehr Urlaub?
Schwerbehinderte haben Anspruch auf Zusatzurlaub, der von der Anzahl der wöchentlichen Arbeitstage abhängt:
- 5-Tage-Woche: 5 zusätzliche Urlaubstage pro Jahr.
- 4-Tage-Woche: 4 zusätzliche Urlaubstage.
- 3-Tage-Woche: 3 zusätzliche Urlaubstage.
- 2-Tage-Woche: 2 zusätzliche Urlaubstage.
- 1-Tage-Woche: 1 zusätzlicher Urlaubstag.
Der Zusatzurlaub wird bei unterjähriger Beschäftigung oder Schwerbehinderteneigenschaft anteilig berechnet.
7. Es besteht ein Recht auf Teilzeitarbeit
Ein Anspruch auf Teilzeit besteht nur, wenn die kürzere Arbeitszeit aufgrund der Behinderung erforderlich ist (§ 164 Abs. 5 Satz 3 SGB IX). Unabhängig davon haben alle Arbeitnehmer das Recht auf zeitlich begrenzte Teilzeit, die sogenannte Brückenteilzeit.
8. Schwerbehinderte dürfen keine Überstunden machen
Schwerbehinderte haben das Recht, sich von Mehrarbeit freistellen zu lassen (§ 207 SGB IX). Mehrarbeit bezieht sich auf Arbeitszeiten, die über acht Stunden pro Tag hinausgehen.
Eine Ablehnung von Überstunden darf keine nachteiligen Konsequenzen nach sich ziehen. Gleichzeitig besteht keine Verpflichtung, Mehrarbeit grundsätzlich abzulehnen – dies bleibt den individuellen Umständen überlassen.
9. Schwerbehinderte gehen früher in Rente
Schwerbehinderte können, müssen aber nicht, früher in Rente gehen. Sie haben die Option, bis zu zwei Jahre vor der regulären Altersgrenze abschlagsfrei in Rente zu gehen.
Alternativ ist ein Renteneintritt mit Abschlägen bis zu fünf Jahre vor der Regelaltersgrenze möglich. Dies bietet Flexibilität, bedarf jedoch einer individuellen Abwägung der finanziellen Auswirkungen.
10. Schwerbehinderte sind von Nachtschichten ausgeschlossen
Schwerbehinderte können grundsätzlich Nachtschichten leisten. Sie haben jedoch das Recht, sich befreien zu lassen, wenn die Art oder Schwere der Behinderung dies erfordert und die Befreiung für den Arbeitgeber zumutbar ist (§ 164 Abs. 4 Nr. 4 SGB IX). Dies richtet sich nach der individuellen Situation des Arbeitnehmers und ist nicht pauschal geregelt.
11. Es gibt einen Anspruch auf Wunscharbeitsplätze
Das Arbeitsrecht räumt Schwerbehinderten keinen Anspruch darauf ein, dass ihnen der Arbeitgeber einen Wunscharbeitsplatz schafft. Er muss jedoch dafür sorgen, dass die Arbeitsstätte behindertengerecht ausgestattet ist. Dazu gehört die Anpassung von Arbeitsplätzen sowie die Bereitstellung notwendiger technischer Hilfsmittel, um eine barrierefreie Ausübung der Arbeit zu ermöglichen.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.