Ein Mann des Geburtsjahrgangs 1962 erfüllt die Voraussetzungen für die abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Regulär könnte er mit 64 Jahren und 8 Monaten ohne Rentenabschläge in den Ruhestand gehen – zwei Jahre vor seinem gesetzlichen Rentenalter von 66 Jahren und 8 Monaten.
Nun plant er, bereits ein Jahr früher aus dem Berufsleben auszuscheiden. Was nach einer kleinen Entscheidung klingt, kann finanziell stark ins Gewicht fallen. Besonders relevant ist dabei eine Frage: Liegt ein Schwerbehindertenausweis vor oder nicht?
Inhaltsverzeichnis
Rentenmodelle im Vergleich: Abschläge mit und ohne Schwerbehinderung
Ob jemand mit 63, 64 oder 66 in Rente geht, ist kein reines Rechenspiel – sondern eine Frage der gesetzlich definierten Rentenzugangsarten. Für unser Beispiel gelten zwei Möglichkeiten:
- Mit Schwerbehindertenausweis: Wer einen anerkannten Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 besitzt, kann zwei Jahre vor der Regelaltersgrenze in Rente gehen – mit einem Abschlag von nur 0,3 % pro Monat für jeden Monat, den man zusätzlich früher geht.
→ Ein Jahr früher bedeutet 3,6 % Abschlag. - Ohne Schwerbehindertenausweis: In diesem Fall kommt nur die Altersrente für langjährig Versicherte infrage – sie erlaubt den Renteneintritt nach 35 Beitragsjahren, jedoch mit Abschlägen ab dem gesetzlichen Renteneintrittsalter.
→ Ein Jahr früher führt zu 10,8 % Abschlag – deutlich teurer.
Beispielrechnung: So viel Geld kostet der vorgezogene Ruhestand
Angenommen, der Mann erwartet eine Bruttorente von 1.600 Euro. Der finanzielle Unterschied zwischen den beiden Wegen ist gravierend:
- Mit Schwerbehinderung (3,6 %): verbleiben 1.543 Euro brutto
- Ohne Schwerbehinderung (10,8 %): verbleiben nur 1.427 Euro brutto
Das bedeutet: 116 Euro weniger pro Monat – lebenslang. Und das nur wegen des fehlenden Schwerbehindertenausweises.
Sozialabgaben und Steuern: Was zusätzlich von der Rente abgeht
Von der Bruttorente gehen zusätzlich rund 12 % für Kranken- und Pflegeversicherung ab. Beispiel: Bei 1.600 Euro brutto bleiben nach Sozialabgaben rund 1.408 Euro netto – vor Steuern.
Wer noch andere Einnahmen hat (z. B. Betriebsrente, Mieteinnahmen), kann zudem steuerpflichtig werden. Besonders kritisch: Die Steuerfreibeträge steigen nicht automatisch mit der Inflation – hier lohnt sich eine Steuerberatung oder ein Besuch beim Lohnsteuerhilfeverein.
Wichtiger Hinweis: Abschläge bleiben lebenslang – wachsen aber mit
Ein weitverbreitetes Missverständnis: Viele gehen davon aus, dass ein Rentenabschlag auch in Euro „eingefroren“ bleibt. Das stimmt nicht. Die jährlichen Rentenerhöhungen gelten auch für gekürzte Renten – der Prozentsatz bleibt gleich, aber der absolute Betrag steigt mit. So schrumpft die Lücke zur vollen Rente im Laufe der Jahre leicht, bleibt aber dauerhaft spürbar.
Voraussetzungen für die Altersrente bei Schwerbehinderung
Nicht jeder kann einfach den Weg über die Schwerbehindertenrente wählen. Neben dem GdB von mindestens 50 müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
- Mindestens 35 Jahre Wartezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung
- Der Schwerbehindertenausweis muss zum Rentenantrag bereits gültig sein
Die Bearbeitung eines Antrags beim Versorgungsamt kann mehrere Monate dauern. Wer gesundheitliche Einschränkungen hat, sollte den Antrag frühzeitig stellen, idealerweise vor dem 61. Lebensjahr.
Was tun, wenn der GdB unter 50 liegt?
Wird nur ein GdB von 30 oder 40 festgestellt, besteht oft die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. Viele Fälle werden nach Einreichung weiterer ärztlicher Unterlagen doch noch anerkannt. Wird auch der Widerspruch abgelehnt, bleibt der Weg über das Sozialgericht.
Tipp: Auch bei psychischen Erkrankungen, chronischen Schmerzen oder kombinierten Diagnosen lohnt sich ein Antrag – denn der Gesamt-GdB kann sich aus mehreren Einschränkungen zusammensetzen.
Alternativen: Teilrente und Flexi-Rente nutzen
Ein früherer Ausstieg muss nicht bedeuten, dass man komplett aus dem Berufsleben ausscheidet. Die sogenannte Flexi-Rente erlaubt es, die Arbeitszeit zu reduzieren und gleichzeitig eine Teilrente zu beziehen. Wer weiter Beiträge zur Rentenversicherung zahlt, kann den Rentenabschlag teils ausgleichen oder verringern.
Beispiel: Jemand arbeitet mit 63 nur noch 50 % in Teilzeit und bezieht dazu eine Teilrente von 50 %. Gleichzeitig erhöhen sich die Rentenansprüche weiter durch die restlichen Beiträge.
Weitere Rentenzugangsarten im Überblick
Neben der Altersrente für besonders langjährig Versicherte (ab 45 Versicherungsjahren) und der Altersrente für Schwerbehinderte gibt es weitere Optionen:
- Regelaltersrente: Ohne Abschläge, aber erst mit 66 Jahren und 8 Monaten (für Jahrgang 1962)
- Altersrente für langjährig Versicherte: Nach 35 Jahren – mit Abschlägen, wenn vorzeitig bezogen
- Erwerbsminderungsrente: Nur bei medizinisch begründeter Arbeitsunfähigkeit unter 6 Stunden täglich – ebenfalls mit Abschlägen, oft sogar höher
Beratung hilft: Nicht jeder kennt alle Optionen
Viele Menschen verlassen sich bei ihrer Rentenplanung ausschließlich auf die Deutsche Rentenversicherung – doch diese darf keine rechtliche Beratung leisten. Sinnvoll ist der Kontakt zu:
- Sozialverbänden wie SoVD oder VdK
- Versichertenältesten vor Ort (kostenlos)
Extra-Tipp: In einigen Bundesländern gibt es spezielle Förderprogramme für Menschen mit Behinderung – etwa Übergangsleistungen oder berufliche Reha-Angebote. Eine Recherche lohnt sich.
Ein kleiner Ausweis – ein großer Unterschied
Ob sich der Rentenbeginn um ein Jahr vorverlegen lässt, hängt nicht allein von den Versicherungsjahren ab. Viel entscheidender ist die Rentenzugangsart – und hier spielt die Schwerbehinderung eine zentrale Rolle. Wer frühzeitig den Ausweis beantragt, kann langfristig mehr als 1.000 Euro jährlich sparen. Ohne diesen Nachweis drohen deutlich höhere Verluste.
Wer gesundheitsbedingt ohnehin nicht länger arbeiten kann, sollte rechtzeitig in die Beratung gehen. Denn: Früh in Rente – das muss nicht gleichbedeutend mit finanziellem Verzicht sein.