Das Hartz IV Grauen im Jobcenter Gotha

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Wie das Jobcenter Gotha auszog, um zu schikanieren!
Das Jobcenter Gotha, zuletzt in einem BILD-Ranking auf Platz 3 (von 407) der meisten Sanktionen negativ aufgefallen, versucht mit aller Macht, sich für eine öffentliche Bloßstellung sich an dem „Kunden“ ordentlich zu rächen. Wie das Ganze ablief, wie das Jobcenter arbeitet, ist im beliebten und durchaus gefragten Gothaer Anzeigenmagazin „Oscar am Freitag“ veröffentlich worden. Das mag schon was heißen, wenn ein Presseverlag diesen Skandal über Facebook mitbekommt und um ein Interview des Betroffenen bittet.

Unter dem Titel „Fragen kostet nichts“ wird die Geschichte eines jungen Familienvaters erzählt. Im Folgenden eine Abschrift des Beitrages, einige Teile wurden ergänzt oder näher erläutert. Da wir über Facebook auf den Artikel sowie den Betroffenen gestoßen sind, haben wir den Originaltext vor allem anhand von Nachfragen ergänzt

„Fragen kostet nichts“ Doch: Beim Jobcenter Gotha die Nerven
Mit Fragen ist das so eine Sache. Den Kindern sagt man, „Es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten“. Sie sollen neugierig die Welt entdecken. Schon Goethe meinte lapidar: „Wer nicht neugierig ist, erfährt nichts“. Im Laufe des Lebens ändert sich das. Die ehemaligen Weltentdecker lernen, dass falsche Fragen zur falschen Zeit Konsequenzen haben.
Die Fragen von Sascha T. aus Gotha an das Jobcenter Gotha bedrohen mittlerweile seine Existenz. Denn er stellte zwar die legitimen Fragen wie auch tausende andere , aber scheinbar die Falschen. Vom Jobcenter zugeteilt, stand er in einer Werkshalle, sägte und feilte dort ein sinnloses Stück Metall. Metall ohne Zweck, außer auf die vorgegebenen Maße gebracht zu werden. Als Mensch, der seit dem Abitur zum „Kopfarbeiter“ ausgebildet wurde, war das eine physisch und mental anstrengende Tätigkeit: Acht Stunden stand er, gelangweilt, und intellektuell schlichtweg unterfordert an der Werkbank.

Wie kam es dazu?
Vor elf Jahren fand in Deutschland eine stille Revolution statt. Das Verhältnis zwischen Staat und Bürger änderte sich. Denn mancherorts gehen Ämter und Behörden noch vom preußischen Obrigkeitsstaat aus: Der Bürger hat zu gehorchen, und lediglich Antworten geben. Seit 2006 können Bürger jedoch mehr als nur Fragen stellen: Die Revolution heißt „Informationsfreiheitsgesetz“, kurz IFG. Der Staat sollte transparenter werden, sich für seine Bürger öffnen, zeigen, wofür er ihre Steuern ausgibt oder Akten einsehen. Ohne Begründung, Neugier genügt. Und da wären wir wieder bei dem jungen Gothaer Sascha T.: „Ich wurde eher nebenbei über die Internetplattform „FragDenStaat.de“ auf eine Aktion aufmerksam, bei der man über eine Vorlage nur das Jobcenter und seinen Namen eingeben brauchte, um die lokalen Weisungen und Zielvereinbarungen anzufragen“ meint er im Gespräch mit „Oscar am Freitag“.

Für den Student der Wirtschaftspsychologie war das relevant: Der studierte Politikwissenschaftler sowie Marketing- und Werbepsychologe bekam ALG2, denn sein Zweitstudium wird als solches nicht von BaföG-Regelungen gefördert. Nach einer Hypophysenerkrankung mit mehreren Krankenhausaufenthalten galt er zudem als arbeitslos. Und somit sind die internen Weisungen auch für Ihn von Bedeutung, da er vom Jobcenter betreut wurde. Er wollte nur wissen „wie“ er betreut werden sollte.

Zu diesem Zeitpunkt war ihm die Politik der Jobcenterleitung weniger bewusst: In einem Ranking einer bekannten großen Tageszeitung vom Januar 2017 landete Gotha auf Platz 3 der meisten Sanktion. Später verteidigte sich das Jobcenter und erkämpfte sich Platz 5. Platz 5 von 409 Jobcentern in Gotha. Ja, sie lesen richtig: 407 Jobcenter (Stand: Mai 2017) gibt es, und nicht Nürnberg (Platz 259), Berlin Mitte (102) oder Erfurt (Platz 183) finden sich auf den oberen Plätzen. Gerade erst vor einem Monat (24. Mai) lag Gotha bei den Sanktionen für unter-25-Jährige in einem Ranking 19 Mal höher als im deutschlandweitem Schnitt (4 Prozent), die hiesigen Mitarbeiter sanktionierten fast zehn Prozent aller Hartz IV-Empfänger unter 25 Jahren.
Obwohl die Bundesagentur für Arbeit in einer Studie nachgewiesen hat: Rund sechs Prozent der jungen Menschen brechen den Kontakt zum Jobcenter nach einer Sanktion ab. Und zwar viermal häufiger als ohne Sanktion. Die Folgen sind ungewiss, sie können von Mangelernährung über wachsende Schuldenberge bis zur Kleinkriminalität reichen.

Für alle Jobcenter gibt es die gleichen Sanktions-Regeln, dennoch hängt die Art des Umgangs von dem Wohnort ab. Dennoch fragte der Familienvater über die Plattform „FragdenStaat.de“ nach.

Kurz gefasst: Ende Oktober gab es die Anfrage, das Jobcenter überschritt die gesetzliche Frist um 4 Tage. „Das soll sich mal ein ALG2-Bezieher trauen, der wäre doch schon mitten in der Sanktionsprüfung“ so der junge Gothaer. Er fragte erneut nach. Die Antwort war eine wohl fälschlicherweise gesendete Nachricht, denn man sah die Kommentare der Mitarbeiter, laut T. bezeichnete man ihn dort intern als „der Typ“. Nachprüfbar ist das nicht, das Jobcenter zog die Nachricht zurück. Auf Anfrage von Oscar am Freitag „bedauere“ das Jobcenter Gotha, „diesbezüglich nicht behilflich sein zu können“. Im digitalen Zeitalter eigentlich kein Problem.

Doch in seiner Antwort nahm er das mit Humor, „dennoch dachte ich: Irgendwann sagen die schon mal leise sorry“ meint Sascha T. Das Jobcenter begründete die Ablehnung des Anliegens mit den hohen Kosten, die sie ja rechtlich mit bis zu 500Euro geltend machen können. Das stimmt, und alleine die Drohung schreckte viele ab. Dennoch hat sich noch kein Jobcenter in der Bundesrepublik wirklich dazu entschieden, wohl durch den hohen Öffentlichkeitsdruck. „Die Antworten klangen, als ob das Jobcenter drei Mitarbeiter eine Woche ins Archiv schicken müsse, um dutzende Aktenorder durchzusehen“, so Sascha T., und er ergänzt mit einem Lächeln: „Ich verstehe das dort enorme Datenmengen digital auf den Rechnern sind, aber mit dem Schlüsselwort „Weisungen“ die eigene Festplatte durchzusuchen, ist doch kein Problem, oder?“

Es dauert bis zum Dezember, bis die Internetplattform auch die Möglichkeit bereitstellt, die „Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit“ zur Vermittlung anzuschreiben. Mit Wirkung: Anfang Februar ist es dann doch möglich die Weisungen zu versenden.

„Danach wurde es eigenartig“ sagt Sascha T.. „Obwohl ich regulär gerade erst einen neuen Fallmanager bekommen habe [Anm.: Die Fallmanager wechseln jährlich automatisch], wechselte er kurz nach Veröffentlichung der Weisungen erneut“, angeblich gesundheitlich bedingt. „Doch dauerhaft krank ist mein ehemaliger Fallmanager gar nicht, wie ich erfuhr“, sagt er. Das Jobcenter äußert sich dazu lapidar das die „interne personelle Organisation machte einen Wechsel der Vermittlungskraft erforderlich“. Und, während sein alter Fallmanager mit ihm die Bewerbungen nach der Gesundschreibung Anfang Januar durchging, Bewerbungsmagazine sowie Visitenkarten plante, eine selbstfinanzierte Homepage besprochen wurde, viel auch der Satz: „Es gibt zwar keinen Berufsschutz, aber unter Wert verkaufe ich sie nicht“ so Sascha T.

Sein neuer Fallmanager ist nun das Gegenteil: „Am selben Tag, wo ich ihn das erste Mal traf, hatte er mich schon in eine Maßnahme mit einem Zeitarbeitsunternehmen gesteckt, er wusste also schon vor dem Gespräch was gut für mich ist“ so Sascha T. und weiter: „Dort sollte ich meinen Lebenslauf vorzeigen, man wusste also nichts über mich“. Die Mitarbeiter schauten wohl nicht begeistert, meint er. Warum, das merkte er bald: Seine gesundheitlichen Einschränkungen, seine Tochter, und keine Erfahrungen in den Berufszweigen, die dort sonst vermittelt werden. Zumeist sind die Ausbildungsberufe wie Schlosser oder Lagerfacharbeiter. Aber er als Sozial- und Verhaltenswissenschaftler konnte nur zu einem gebracht werden: Als „Ungelernter“ Reinigungskraft sein. Ein einziger Einsatz, danach drei Mal die besagte Metallbearbeitung.

Nach zwei Wochen die Kündigung, da er, obwohl laut Arbeitsschutzgesetz vorgeschrieben, die Anweisungen des Werksarztzentrums Folge leistete, und Krampfanfälle in der Vergangenheit gesundheitlich abklären sollte. Denn: Mit Epilepsie oder Krampfanfällen in der Geschichte darf er keine Maschinen bedienen oder in der Nähe sein, zu groß die Gefahr, bei einem Anfall hineinzustürzen. Als Sascha T. das bei seinem Arzt abklären wollte, kam er heim, mit der Kündigung im Briefkasten.
Nun drohen Sanktionen: Laut dem neuen Fallmanager, so die Aussage von Sascha T., solle er sowas verschweigen. Was eigentlich eine Straftat wäre, da so eine Empfehlung ausgesprochen wurde, das Arbeitsschutzgesetz zu missachten. Laut dem Gothaer nicht die einzige unangenehme Aussage.

Der Wechsel zu einem neuen Fallmanager wird natürlich ausweichend begründet. Der junge Familienvater meint: „Ich denke aus Rache für die Nachfrage und offener Entblößung des Jobcenters wurde mir ein „Mann für’s Grobe“ geschickt. Die Unterschiede und Zufälle sind zu auffällig. Erst beruhigt man mich, ich werde nicht unter Wert verkauft, um dann von heute auf morgen ohne Vorgespräch genau das zu machen“. Er fügt im Gespräch auch hinzu: „Ich war gerade mitten in einer erfolgreichen Bewerbung, um ein Unternehmen zu finden, in dem ich meine Master-Thesis verfassen kann. Aber die Zeitarbeits-Maßnahme hat mich enorm zurückgerufen, brachte mit der Firma Ärger und fehlende Bezahlung. Eine sinnlose Strafmaßnahme, meiner Meinung“. Einen Akademiker, der gerade seine Master-Thesis schreibt, an die Werkbank zu stellen, um sinn- und ziellos ein Stück Metall 8 Stunden zu feilen, ist wirklich auffällig.

Natürlich steht Aussage gegen Aussage. Aber da das Jobcenter Gotha schon mehrfacht mit übermäßigen Sanktionen auffiel, Sanktionen die nachgewiesener weise kontraproduktiv sind, sind Zufälle weitaus weniger glaubwürdig. Im Moment läuft die Sanktionsprüfung. „Zum Glück nicht sofort, da Anfang Juli meine Tochter Geburtstag hat“ sagt er, sowie: „Am zweitwichtigsten ist mir jedoch, dass die Mitarbeiter, die zu mir standen, keine beruflichen Folgen erwarten müssen“.

Sascha T. scheint ein „Opfer“ der „Revolution“ von 2006 zu sein: Er stieß auf eine Behörde, die zwar Pflichten einfordert, aber Rechte auf Transparenz nicht gewähren will. Das Gesetz beschloss er nicht: „Es geht hier eigentlich „nur“ um ein modernes liberales Staatsverständnis. Es wundert mich nicht, dass gerade das Sozialgericht Gotha beim Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit des Grundrechtes auf Menschenwürde und der Sanktionspraxis der Jobcenter überprüfen lässt“