Das denken Jobcenter Mitarbeiter wirklich über das Bürgergeld

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Seit der Einführung des Bürgergeldes im Januar 2023, liegen nun erste Ergebnisse zur Umsetzung und Wirkung der Reformen in der Praxis vor.

Eine Untersuchung des DIW in Zusammenarbeit mit der Universität Bochum, die von Januar bis Februar 2024 in sieben nordrhein-westfälischen Jobcentern durchgeführt wurde, liefert ernüchternde Erkenntnisse.

Die Einschätzungen der Jobcenterbeschäftigten sind überwiegend kritisch, was die neuen Regelungen, den bürokratischen Aufwand und die Auswirkungen auf die Leistungsberechtigten betrifft.

Bürgergeld als sozialpolitischer Meilenstein

Die Einführung des Bürgergeldes sollte dabei helfen, Bürgergeldbezieher besser zu fördern, die Rückführung in die Arbeitswelt zu erleichtern und die Grundsicherung sozial gerechter zu gestalten. Dafür ist der Vermittlungsvorrang weggefallen und Qualifizierungsmaßnahmen wurden verstärkt.

Höhere Vermögensfreibeträge in der ersten Bezugsphase, eine Reform der Sanktionspraxis und die Verbesserung der Antragsstellung durch digitale Lösungen sollen es den Beziehern leichter machen, einen neuen Job zu finden.

Organisatorische Umsetzung in der Praxis

In der Praxis zeigt sich, dass die Jobcenter die Umstellung auf das Bürgergeld organisatorisch gut gemeistert haben.

83 Prozent der befragten Beschäftigten gaben an, dass sie die neuen Regelungen gut kennen und die neuen Vorgaben umfassend in ihren Jobcentern vermittelt wurden.

Auch die Leistungsberechtigten seien mittlerweile überwiegend über die neuen Regelungen informiert.

Allerdings äußern viele Beschäftigte Bedenken hinsichtlich der Effektivität der Reformen. Lediglich 14 Prozent sehen eine positive Wirkung der neuen Maßnahmen, was auf erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der Änderungen hinweist.

Wenige Regelungen stoßen auf Zustimmung

Nur wenige der neuen Regelungen stoßen bei den Jobcenter-Mitarbeitern auf Zustimmung. Von insgesamt 14 untersuchten Regelungen befürworten die Jobcenterbeschäftigten lediglich vier:

  1. Coaching für Langzeitarbeitslose: Mit einer Zustimmung von 88 Prozent ist das Coaching für Langzeitarbeitslose die am positivsten bewertete Maßnahme. Diese gezielte Betreuung, die eine nachhaltige Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zum Ziel hat, wird als wirksames Instrument angesehen.
  2. Bagatellgrenze für Rückforderungen: 57 Prozent der Befragten befürworten die Einführung einer Bagatellgrenze von 50 Euro, unterhalb derer Überzahlungen nicht zurückgefordert werden. Diese Regelung wird als sinnvolle Entlastung im bürokratischen Alltag gewertet.
  3. Kooperationsplan statt Eingliederungsvereinbarung: 51 Prozent der Beschäftigten sehen den neuen Kooperationsplan, der gemeinsam mit den Leistungsberechtigten erarbeitet wird, als Verbesserung gegenüber der früheren Eingliederungsvereinbarung. Dieser Ansatz soll die Zusammenarbeit auf Augenhöhe stärken, wobei jedoch fast ebenso viele Fachkräfte (42 Prozent) darin keine Erleichterung ihrer Arbeit erkennen.
  4. Kinderregelsatz und Kinderzuschlag: Die Erhöhung der Regelsätze für Kinder und die Einführung eines individuellen Freibetrags von 520 EUR für Jugendliche in Bedarfsgemeinschaften, die einer Beschäftigung nachgehen, stoßen überwiegend auf Zustimmung (55 Prozent). Hier wird eine bessere finanzielle Unterstützung von Familien positiv wahrgenommen.

Regelungen, die bei Mitarbeitern auf Ablehnung stoßen:

Neue Sanktionspraxis: Die stufenweise Sanktionsregelung, die Leistungskürzungen bis zu 30 Prozent erlaubt, wird von 73 Prozent der Befragten als nicht zielführend betrachtet. Viele Fachkräfte sehen in dieser Praxis nicht genügend Anreize für Leistungsberechtigte, ihre Pflichten zu erfüllen.

Erhöhung des Regelsatzes für Erwachsene: Die Anhebung des Regelsatzes auf 563 EUR für Alleinstehende wird nur von einem Drittel der Beschäftigten als angemessen erachtet. Vor allem im Leistungsbereich kritisieren 78 Prozent der Beschäftigten, dass diese Erhöhung zu hoch sei, was auf die Sorge hinweist, dass die Abstände zu niedrigen Löhnen schrumpfen könnten.

Höhere Freibeträge für Schonvermögen: Auch die erhöhten Freibeträge für das Schonvermögen (40.000 EUR in der ersten Bezugsphase) werden von vielen Beschäftigten kritisch gesehen. 55 Prozent lehnen diese Regelung ab, da sie befürchten, dass sie Anreize mindern könnte, schnell wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukehren.

Auswirkungen auf Motivation und Kooperation

Ein Ziel des Bürgergeldes war es, die Motivation und Eigenverantwortung der Leistungsberechtigten zu fördern. Doch die Ergebnisse der Befragung zeichnen ein anderes Bild.

Über 60 Prozent der Jobcenterbeschäftigten berichten von einer Verschlechterung der Motivation und Mitwirkung der Leistungsberechtigten.

Besonders kritisch wird die veränderte Anspruchshaltung wahrgenommen: Viele Leistungsberechtigte pochen verstärkt auf ihre Rechte, während ihre Mitwirkungspflichten zunehmend vernachlässigt werden.

Die neue Sanktionsregelung wird von vielen als zu lasch empfunden, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken.

Auch die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs zugunsten von Weiterbildungsmaßnahmen und Qualifikationen wird überwiegend kritisch bewertet.

Nur 34 Prozent der Befragten sehen hierin eine langfristige Verbesserung der Arbeitsmarktintegration, während 51 Prozent der Ansicht sind, dass die frühzeitige Vermittlung in Erwerbstätigkeit nach wie vor vorrangig sein sollte.

Bürokratieabbau: Ein Ziel, das schwer erreichbar bleibt

Der Abbau bürokratischer Hürden war ein weiteres Versprechen des Bürgergeldes. Trotz verschiedener Maßnahmen zur Vereinfachung, wie der Einführung der digitalen Antragstellung und der Bagatellgrenze, zeigen die Ergebnisse, dass dieses Ziel bisher kaum erreicht wurde.

39 Prozent der Befragten berichten von einem gestiegenen bürokratischen Aufwand im Vergleich zum früheren System. Insbesondere die Anpassung an die neuen Regelungen und die veränderten Dokumentationspflichten führen zu einer zusätzlichen Belastung.

Einzig die Möglichkeit der digitalen Leistungsbeantragung wird von 28 Prozent der Befragten als positive Veränderung angesehen. Dieser Wert zeigt, dass die digitalen Verbesserungen zumindest teilweise zu einer Entlastung geführt haben, auch wenn der Gesamtaufwand durch andere Faktoren weiterhin hoch bleibt.

Bewertung der Regelsatzerhöhung

Die Erhöhung der Regelsätze auf 563 EUR für Alleinstehende zum 1. Januar 2024 war ein wichtiger Punkt der Reform. Die Befragung zeigt jedoch, dass die Einschätzungen stark auseinandergehen.

Während ein Drittel der Integrationsfachkräfte die Erhöhung als angemessen betrachtet, bewerten 62 Prozent diese als zu hoch. In der Leistungsabteilung fällt das Urteil noch kritischer aus: 78 Prozent der Beschäftigten empfinden die Erhöhung als überzogen.

Langfristige Perspektiven noch unklar

Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass viele der angestrebten Verbesserungen des Bürgergeldes in der Praxis bislang nicht spürbar sind.

Die neuen Sanktionsregelungen und die höheren Freibeträge werden bei den Befragten als besonders kritisch angesehen, da sie die Motivation der Leistungsberechtigten aus ihrer Sicht nicht ausreichend fördern.

Auf das Coaching für Langzeitarbeitslose und die vereinfachte digitale Antragstellung gibt es eine positive Resonanz. Das zeigt, dass punktuelle Verbesserungen möglich sind.

Die Studie ist eine erste Wasserstandsmeldung, langfristige empirische Untersuchungen müssen zeigen, ob die Reform tatsächlich die Ziele der sozialen Teilhabe und der besseren Arbeitsmarktintegration erreichen kann.

Nur knapp 20 Prozent der Befragten betrachten die Reformen als Verbesserung, während rund die Hälfte von einer Verschlechterung ausgeht. Im nächsten Schritt bietet es sich an, auch die Leistungsberechtigten nach ihren Erfahrungen zu befragen.