Immer wieder wird behauptet, dass Bürgergeld-Bezieher nicht arbeiten wollen. Doch die Steine, die immer wieder auch seitens der Jobcenter in der Weg gelegt werden, machen eine Jobannahme oft unmöglich.
Erst vor kurzem wurde der Radius, in dem Leistungsberechtigte einen Job annehmen müssen, erweitert – mit der Unterstellung, die mangelnde Bereitschaft der Arbeitssuchenden sei Schuld.
Die Realität sieht jedoch gänzlich anders aus. Dies zeigt ein Fall deutlich, den die Initiative Sanktionsfrei öffentlich machte. Das Jobcenter ließ eine alleinerziehende Leistungsberechtigte im Stich, die mit ihrem Sohn umzog, um einen Job zu finden.
Die Betroffene sagt: “All meine Anträge: Kostenübernahme für den Umzug, Darlehen für die Kaution, sowie Überbrückungsdarlehen für den Monat September wurden von der Leistungsabteilung abgelehnt.”
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Was ist das Problem?
Bürgergeld bedeutet Existenzminimum. Menschen, die jeden Cent dreimal umdrehen müssen, haben keine Reserven, um einen Umzug zu finanzieren, oder eine Mietsicherheit zu bezahlen.
Die Erst-Lohnlücke
Wer jetzt einen neuen Job anfängt, bekommt den ersten Lohn Mitte oder Ende des Monats. Mit dem Beginn der Arbeit verfällt jedoch der Anspruch auf Bürgergeld.
Bis der erste Lohn kommt, stehen die Betroffenen also ohne Geld da. Sanktionsfrei schreibt: “Die Erst-Lohnlücke bringt Menschen im Bürgergeld zur Verzweiflung. Wovon sollen sie im ersten Monat ihrer neuen Arbeit leben und Miete zahlen?”
Die Hürden der Bürokratie
Zwar sieht das Sozialgesetzbuch II im Paragrafen 16b ein “Einstiegsgeld” vor, um diese Lücke zu schließen, und es liegt im Ermessen des Jobcenters, ob diese Leistung im konkreten Fall berechtigt ist.
Aber erstens verwechseln Jobcenter immer wieder Ermessen mit Willkür, und erst die Sozialgerichte sorgen dafür, dass Leistungsberechtigte die Unterstützung bekommen, auf die sie einen Anspruch haben.
Zweitens dauert die Bearbeitung der Anträge von Leistungsbeziehern durch das Jobcenter lange, und sehr häufig zu lange.
Keine Rückmeldung vom Jobcenter
Im Fall, den Sanktionsfrei öffentlich machte, bekam die Betroffene bis jetzt keine Rückmeldung des Jobcenters. Sie weiß also nicht einmal, ob sie Unterstützung von der Behörde bekommt oder nicht.
Wenn das Jobcenter den Antrag ablehnen sollte, geht die Leistungsberechtigte zusammen mit Sanktionsfrei in den Widerspruch.
Sanktionsfrei gibt Unterstützung
Sanktionsfrei schreibt: “Wir helfen (der Frau) und ihrem Sohn, den Monat bis zum ersten Lohn zu überbrücken. Außerdem haben wir die Kaution als Darlehen vorgestreckt, und wir haben die rechtliche Vertretung (…) übernommen.”
Private Hilfe gegen staatliches Versagen
Die Arbeit von Initiativen wie Sanktionsfrei ist wertvoll und leider notwendig. Es darf aber nicht sein, dass zivilgesellschaftliche Akteure mit privaten Spenden eingreifen, weil staatliche Behörden genau bei den Aufgaben versagen, für die es sie gibt.
Oft eine andere Realität
Dieser Fall zeigt klar, dass die Vorurteile gegen Leistungsberechtigte, sie seien “faul” oder “müssten zur Arbeit getrieben werden” nicht stimmen, kritisiert der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt.
Die Betroffene tat nämlich alles, um einen Job zu bekommen. Sie verließ für eine Arbeitsstelle sogar ihren Wohnort und ihr soziales Umfeld und zog mit ihrem Sohn um.
Das Jobcenter, dessen Aufgabe sich darüber definiert, Bürgergeldbezieher in Arbeit zu bringen, ließ sie jedoch genau dann im Stich, als sie eigenständig eine Stelle gefunden hatte – und Strapazen auf sich nahm, um diese anzutreten.
Es gibt das “Einstiegsgeld” nach §16b SGB II. Das Jobcenter entscheidet, ob eine solche Überbrückungsleistung wirklich notwendig ist.
B. hat bis heute noch keine Rückmeldung auf ihren Antrag erhalten. Sollte auch dieser abgelehnt werden, gehen wir in den Widerspruch.
— Sanktionsfrei (@sanktionsfrei) September 18, 2024
Oft keine Mitwirkungspflicht der Jobcenter
Bürgergeld-Bezieher werden vom Jobcenter schnell und sehr hart sanktioniert, wenn sie ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen.
Ein versäumter Termin bedeutet eine Kürzung des Bürgergeldes, mehrere “Pflichtversäumnisse” (nach Ansicht des Jobcenters) können zum kompletten Streichen der Mittel für den Lebensunterhalt führen.
Nur: “Wer sanktioniert die Jobcenter, die ebenfalls eine Mitwirkungspflicht haben, wenn sie sich immer wieder verhalten, als würde diese Pflicht nicht existieren?”, fragt Anhalt.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.