Wenn ein Empfänger bestreitet, Dokumente des Jobcenters auf dem Postweg erhalten zu haben, muss die Behörde den Nachweis bringen, dass die Papiere dem Betroffenen zugegangen sind.
Die Behauptung, dass nicht zugestellte Post notwendig an den Sender zurückgingen, hätte keine reale Basis und statistische Überlegungen ersetzten keinen Nachweis. So urteilte das Sächsische Landessozialgericht gegen das zuständige Jobcenter (Az: L 3 AS 64/18).
Inhaltsverzeichnis
Kläger versäumt Termin ohne Angaben
Dieses hatte dem Kläger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (heute Bürgergeld) gemindert, weil dieser einer Einladung zur „Besprechung seiner beruflichen Situation“ nicht gefolgt war und auch keinen wichtigen Grund dafür angegeben hatte.
Überprüfungsantrag vom Jobcenter abgelehnt
Der Leistungsberechtigte stellte einen Überprüfungsantrag und sein Prozessbevollmächtigter begründete diesen damit, dass die Rechtsfolgenbelehrung im Bescheid des Jobcenters fehlerhaft sei.
Die Behörde lehnte den Überprüfungsantrag ab und behauptete, die Meldeaufforderung hätte eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung enthalten.
Sozialgericht weist Klage ab
Der Betroffene klagte vor dem Sozialgericht. Hier gab er auch an, dass er sich nicht mehr erinnern könne, die Einladung erhalten zu haben. Das Gericht wies die Klage ab. Die Leistungsminderung sei rechtmäßig, so das Gericht.
Der Kläger sei in Kenntnis der Rechtsfolgen der Aufforderung nicht nachgekommen. Er hätte die Rechtsfolgen aus vorangegangenen Vorgängen gekannt.
Schreiben nicht an Absender zurückgegangen
Die Einladung hätte ihn außerdem erreicht, auch wenn er behauptet, sich daran nicht mehr zu erinnern. Weder sei das Schreiben an den Sender zurückgegangen, noch hätte er im Überprüfungsantrag oder im Widerspruch angegeben, sie nicht bekommen zu haben. Er hätte also keinen wichtigen Grund nachgewiesen.
Landessozialgericht gibt dem Kläger recht
Der Kläger legte Berufung ein und gab vor dem Landessozialgericht an, er könne sich nicht daran erinnern, die Einladungen zu den Meldeterminen erhalten zu haben, und das Jobcenter hätte dazu keinen Nachweis erbracht.
Das Landessozialgericht gab ihm recht und sagte, das Sozialgericht hätte seine Klage zu Unrecht abgewiesen. Es sei weder belegt, dass die Einladung der Kläger erreicht hätte, noch dass diese eine Rechtsfolgenbelehrung enthielt. Deshalb sei der Überprüfungsantrag berechtigt gewesen.
Leistungsminderung nur bei Kenntnis des Meldetermins
Eine Minderung von Leistungen setze voraus, dass der Leistungsberechtigte einer Meldeaufforderung nicht nachkomme, obwohl er schriftlich über diese belehrt worden sei. Zudem müsse er Kenntnis davon haben, dass er sich zu melden habe.
Objektive Beweislast liegt beim Jobcenter
Er müsste also über den Meldetermin, Meldeort und Meldezweck informiert sein. Bestreite der Betroffene jetzt, die Aufforderung erhalten zu haben, dann liege die objektive Beweislast nicht bei ihm, sondern bei dem Träger der Grundsicherung, also dem Jobcenter.
Brief mit einfacher Post versandt
Auch wenn der Kläger sage „er könne sich nicht erinnern“, bestreite er mit dieser Formulierung den Zugang der Einladung. Dies ginge daraus hervor, dass er auf die Beweislast und Verpflichtung des Jobcenters hinweise, im Zweifel den Nachweis zu bringen, dass er die Papiere bekommen habe.
Das Jobcenter erbringe diesen Nachweis jedoch nicht. Die Schreiben hätte die Behörde mit einfacher Post versandt und damit in Kauf genommen, dass deren Zugang beim Betroffenen nicht durch eine entsprechende Urkunde belegt ist.
Fehlende Zurücksendung belegt keinen Zugang
Das Landessozialgericht lehnte auch die Ausführung des Sozialgerichts ab, dass es ein „Freibeweis“ für eine Zustellung sei, wenn versandte Schriftstücke nicht an den Empfänger zurückgingen. Es gebe keine Erfahrung, die diese Ansicht rechtfertige. Das Jobcenter könnte darüber hinaus auch keinen Nachweis darüber angeben, dass der Kläger die Rechtsfolgenbelehrung erhalten hätte.
Jobcenter muss Nachweis führen
Zwar spreche vieles dafür, dass es wenig wahrscheinlich sei, dass gerade missliebige Schreiben den Betroffenen nicht erreichen und er sich die Möglichkeit zunutze machen, dass einfache Post keinen Zugangsnachweis habe. Trotzdem hätte das Jobcenter den Nachweis zu führen und könnte dem entgegentreten, indem es diese Schriftstücke mit Nachweis verschicke.
Ohne Nachweis keine Leistungsminderung
Da das Jobcenter weder den Zugang der Einladung noch den Zugang der Rechtsfolgenbelehrung nachweisen könne, gebe es keine Grundlage, um Leistungen zu mindern. Die Leistungsminderung müsse das Jobcenter aufheben.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.